Bewertet am 28. November 2014
Veröffentlicht von: dpa | Focus Online

Ein Beitrag auf Focus.de, der auf einer dpa-Mitteilung beruht, befasst sich damit, dass immer mehr bewässerte landwirtschaftliche Fläche versalzt und so an Fruchtbarkeit verliert. Er fasst zwei aktuelle Pressemitteilungen zum Thema zusammen; wesentliche Aussagen einer Studie zu wirtschaftlichen Aspekten fehlen im Beitrag.

Zusammenfassung

Der Online-Beitrag bezieht sich auf zwei wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Problem der Versalzung von Ackerflächen: eine Studie unter der Federführung des United Nations University Institute for Water, Environment and Health und eine Publikation von Pflanzenforschern der University of Tasmania in Australien und der Universität Würzburg. Dabei greift er allerdings jeweils nur die Informationen auf, die in den betreffenden Pressemitteilungen zu finden sind. Insbesondere wird so nicht deutlich, dass die UN-Studie zahlreiche bereits vorliegende Arbeiten zum Thema auswertet und dabei die Kosten untersucht, die durch die Versalzung bzw. durch Gegenmaßnahmen entstehen. Das eigentlich Neue an dieser Veröffentlichung – es lohnt sich wirtschaftlich, Strategien gegen die Bodenversalzung zu entwickeln – kommt im Beitrag nicht vor.

Auch der Charakter der anderen Fachveröffentlichung bleibt unklar: Sie wird als „Studie“ bezeichnet, während es sich tatsächlich um einen Text handelt, der unter der Rubrik „Opinion“ die Meinung der Autoren darlegt. Sie schlagen vor, mit gentechnischen Verfahren salztolerante Nutzpflanzen zu erzeugen. Hierzu wird im Beitrag weder erläutert, dass dieser Lösungsweg umstritten ist, noch werden die weit umfassenderen Maßnahmen, die die UN-Studie nennt, im Verhältnis zu diesem Ansatz richtig gewichtet.

Zur Geschwindigkeit, mit der sich die Versalzung ausbreitet, machen die beiden Fachveröffentlichungen unterschiedliche Angaben. Der journalistischen Beitrag nimmt dies nicht zum Anlass nachzufragen, die Unsicherheit der genannten Zahl wird nicht deutlich.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass hier ein wichtiges Thema unter zu großem Zeitdruck bearbeitet wurde und die zitierten Publikationen nicht gelesen wurden. Weitere unabhängige Quellen bezieht der Text nicht ein.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Artikel berichtet in überwiegend sachlichem Ton über zwei vor kurzem veröffentlichte Publikationen, die sich mit der Ausbreitung versalzter Böden in der weltweiten Landwirtschaft und der möglichen Zucht salztoleranter Nutzpflanzen als Gegenmaßnahme beschäftigen. Dabei wird die Versalzung von Böden im Beitrag von Focus.de mit nachdrücklicheren Worten beschrieben („Forscher schlagen Alarm“ ) als in der sachlicher gehaltenen dpa-Mitteilung; doch angesichts der Problemlage scheint uns diese Formulierung nicht übertrieben. Eher fragwürdig finden wir dagegen die Focus.de-Formulierung „Wo wächst unser Essen morgen?“, die alarmierend klingt, ohne dass der mögliche Zusammenhang mit der hiesigen Ernährungslage dann erläutert würde – siehe dazu Kriterium 8. Auch hier ist die dpa-Meldung sachlicher.

Lösungsmöglichkeiten, insbesondere die Option, künftig mit gentechnischen Mitteln salztolerante Nutzpflanzen zu erzeugen, werden gar zu optimistisch dargestellt. Im Focus.de-Beitrag wird dieser Vorschlag in der Zwischenüberschrift noch einmal besonders als „Lösung“ akzentuiert. Warum er gegenüber den anderen genannten Handlungsoptionen derart hervorgehoben wird, ist nicht ersichtlich. Wir werten insgesamt „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Bericht bezieht sich auf zwei Fachpublikationen, dabei wird deren Qualität und Aussagekraft nicht ausreichend deutlich. Es entsteht der Eindruck, dass es sich bei der Studie der United Nations University um eine neue Untersuchung zur zunehmenden Versalzung von Böden handelt. Tatsächlich aber fasst die UN-Studie zahlreiche bereits veröffentlichte Untersuchungen zusammen, um die wirtschaftlichen Kosten der Versalzung und möglicher Gegenmaßnahmen abzuschätzen.

Bei der anderen Veröffentlichung zu salztoleranten Pflanzen wird nicht klar, dass es sich hier um einen Meinungsartikel („Opinion“) in einer Fachzeitschrift handelt, in dem Wissenschaftler aus Würzburg und Australien die in Zukunft vielleicht mögliche Zucht gentechnisch veränderter, salztoleranter Pflanzen erörtern und sich für ein solches Vorgehen aussprechen. Um eine „Studie“ handelt es sich dabei nicht.

Zum Ausmaß der wachsenden Versalzung von Böden nennen die beiden Fachveröffentlichungen unterschiedliche Zahlen: Während sich aus den Angaben in der Studie der UN-University rund 2.000 Hektar pro Tag errechnen lassen, wird im Beitrag der Pflanzenforscher die Zahl von 3 ha pro Minute genannt – das wären 4.320 Hektar am Tag, also mehr als das Doppelte. Dieser Diskrepanz nachzugehen, wäre interessant gewesen, zumindest aber hätte auf die Unsicherheit der Angaben hingewiesen werden müssen. Stattdessen übernimmt der Beitrag unkommentiert die Angabe aus der Pressemitteilung der UN-University.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Artikel erwähnt korrekt die Institutionen, an denen die zitierten Forscher arbeiten. Wir haben keine Hinweise auf Interessenkonflikte gefunden, die hier hätten genannt werden müssen. Hilfreich wäre die Einordnung durch weitere Experten gewesen, die nicht an den Veröffentlichungen beteiligt sind.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Zum Thema Versalzung von Böden gibt es unseres Wissens keine grundsätzlich verschiedenen Standpunkte. Dagegen ist die Frage strittig, ob und ggfs. in welchem Umfang gentechnisch veränderte Pflanzen einen Beitrag zur Ernährungssicherheit und speziell gegen die Probleme, die durch versalzte Böden hervorgerufenen werden, leisten können. Kritik an dieser Strategie kommt in dem Artikel jedoch nicht vor. Da das Potenzial neuer gentechnisch veränderter Pflanzen für die Welternährung sehr umstritten ist, halten wir hier zumindest eine kurze Erwähnung des Für und Wider für notwendig.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Online-Beitrag geht nicht über die Pressemitteilungen zu den beiden Studien hinaus. So übernimmt der Artikel den Schwerpunkt der Pressemitteilung der UN-University, die den Eindruck erweckt, dass die Studie sich vorrangig mit neuen, aktuellen Erkenntnissen zur Ausbreitung versalzener Böden beschäftige. Über den eigentlichen Fokus der Studie zur Ökonomie der Versalzung – die Gegenüberstellung von verringerten Ernteerträgen und den Kosten möglicher Gegenmaßnahmen– erfahren Leserinnen und Leser nichts. In der Pressemitteilung dagegen werden diese Punkte immerhin noch angesprochen; insgesamt ist diese informativer als der journalistische Text. Weitere Quellen und Experten bezieht der journalistische Beitrag nicht ein.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Artikel erweckt den Eindruck, als würde die Studie der UN-University neue, überraschende Zahlen zur Ausbreitung versalzener Böden vorstellen. Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl, dass etwa 20 Prozent des bewässerten landwirtschaftlichen Nutzlandes von Versalzung betroffen sind, stammt aus dem Jahr 1995, wie der Studie der UN-University zu entnehmen ist. Neu ist dagegen die Übersicht über die wirtschaftlichen Aspekte – doch diese werden im Artikel nicht angesprochen. Auch die Idee, dass salztolerante, gentechnisch veränderte Sorten möglicherweise einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten könnten, ist nicht neu. Der spezielle Ansatz, den die Pflanzenforscher hier vorschlagen, wird nicht dargestellt.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Artikel erwähnt einige mögliche Gegenmaßnahmen im Kampf gegen die Versalzung von Böden („das Pflanzen von Bäumen, tieferes Pflügen, gut unterhaltene Drainagegräben um die Felder, Einarbeitung von Pflanzenresten in die Erde und das Pflanzen salztoleranterer Nutzpflanzen“). Darüber hinaus werden gentechnisch veränderte Nutzpflanzen als Lösungsmöglichkeit vorgestellt. Letztere werden dabei stark in dem Mittelpunkt gerückt, es kann so der Eindruck entstehen, dass sowohl die UN-University-Studie wie auch die Pflanzenforscher aus Würzburg und Australien diese Lösung favorisieren. Tatsächlich kommen in der weitgefächerten Analyse der UN-Studie salztolerante Sorten nur am Rande vor, von gentechnisch veränderten Pflanzen wird überhaupt nicht gesprochen. Stattdessen bezieht diese Studie ein ganzes Maßnahmenbündel im Rahmen eines umfassenden Landwirtschaftsmanagements ein. Insgesamt erscheint uns die Darstellung der Handlungsoptionen im Beitrag verzerrt und das Kriterium daher nur „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Artikel nennt die hauptsächlich von Versalzung betroffenen Regionen der Welt. Unklar bleibt aber, wie sich das Problem auf andere Regionen auswirkt. Die Formulierung im Online-Beitrag „Wo wächst unser Essen morgen?“, die sowohl in der Überschrift als auch im Text auftaucht, suggeriert, dass auch die hiesige Ernährung künftig betroffen sein wird. Doch fehlen zu diesem Aspekt jegliche Erläuterungen. Sind Nahrungs- oder Futtermittelimporte nach Deutschland / Europa gefährdet? In welchem Umfang? Da diese Fragen nicht angesprochen werden, werten wir „knapp nicht erfüllt“.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Die zentrale zeitliche Angabe im Beitrag lautet: „Jeden Tag gehen auf der Welt 2000 Hektar fruchtbares Land durch Versalzung verloren.“ Zum einen gibt es dazu jedoch unterschiedliche Schätzungen (siehe Kriterium 2, Belege). Zum anderen macht die hierzu genannte Studie gar keine Aussage dazu, wie rasch derzeit die Versalzung voranschreitet, sondern berichtet über einen Durchschnittswert aus den vergangenen 24 Jahren: Aus Angaben in der Studie zur der weltweit seit 1990 gewachsenen Fläche bewässerter Böden und der Annahme, dass 20 Prozent davon von Versalzung betroffen sind (letzteres ist einer Arbeit aus dem Jahr 1995 entnommen), kann ein durchschnittlicher Verlust von knapp 2000 Hektar pro Tag errechnet werden – in der Studie selbst findet sich diese Aussage aber nicht explizit. Nur in der Pressemitteilung heißt es: „Every day for more than 20 years, an average of 2,000 hectares of irrigated land in arid and semi-arid areas across 75 countries have been degraded by salt (…)”. Im journalistischen Test wird daraus eine Aussage zum aktuellen Geschehen. Diese ist aber aus den genannten Quellen nicht abzuleiten.

Zum zweiten Aspekt des Beitrags – der gentechnischen Erzeugung salztoleranter Nutzpflanzen – fehlen jegliche Zeitangaben. So hinterfragt der Beitrag nicht, wie lange die Entwicklung solcher Pflanzen dauern würde.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Die Studie der UN-University-Studie befasst sich im Wesentlichen mit der Frage, wie groß einerseits die Ernteverluste durch die Versalzung der Böden sind (geschätzt 27 Milliarden US-Dollar pro Jahr), wie teuer andererseits Gegenmaßnahmen sind und ob sie sich wirtschaftlich rechnen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Gegenmaßnahmen möglich und ökonomisch sinnvoll sind. Auch andere sozioökonomische Aspekte spricht die Studie an. Das zentrale Ergebnis der Studie ist, dass ein landwirtschaftliches Management gegen die Versalzung zwar erhebliche Investitionen erfordert, die Kosten des Nicht-Handelns jedoch weit höher sind. Der Beitrag erwähnt diese Hauptaussage der Studie nicht.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Es handelt sich um ein relevantes Thema, über das nicht allzu oft berichtet wird. Der Beitrag führt zwei thematisch verwandte, vor kurzem veröffentlichte Publikationen zusammen.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Beitrag greift zwei Pressemitteilungen auf und kombiniert diese zu einem flüssig lesbaren Text. Da jedoch eine darüber hinausgehende journalistische Leistung (Recherche, Einordnung) fehlt, werten wir nur „knapp erfüllt“.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen, allerdings ist die Angabe zum täglichen Verlust an landwirtschaftlicher Fläche sehr fragwürdig (siehe Kriterium 2). Wir werten „knapp erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 3 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar