Bewertet am 2. Oktober 2014
Veröffentlicht von: Nürnberger Nachrichten

Ein Artikel im Lokalteil der Nürnberger Nachrichten greift aktuelle Untersuchungen zu Arzneimittelrückständen im Trinkwasser auf und berichtet insbesondere über die im Verbreitungsgebiet der Zeitung erhobenen Werte. Allerdings wird nicht recht klar, was wann genau gemessen wurde. Die eher verharmlosenden Stellungnahmen der kommunalen Versorger hinterfragt der Beitrag nicht.

Zusammenfassung

Der Beitrag bezieht sich auf eine aktuelle Untersuchung der Zeitschrift ÖKO-Test . Diese ließ in 69 Städten Trinkwasser auf Spuren des Elements Gadolinium analysieren, das als Kontrastmittel bei Untersuchungen im Kernspintomographen dient. Der Artikel in den Nürnberger Nachrichten geht näher auf die in Nürnberg und Fürth ermittelten Werte ein und berichtet auch über weitere lokale Messungen, die im Auftrag kommunaler Unternehmen vorgenommen wurden. Er lässt dazu Mitarbeiterinnen dieser Betriebe, die für die Trinkwasserversorgung und die Stadtentwässerung zuständig sind, zu Wort kommen. Stellungnahmen unabhängiger Experten fehlen dagegen.

Warum Arzneimittel im Trink- und Grundwasser nach Auffassung vieler Wissenschaftler ein Problem darstellen, auch wenn die Konzentrationen weit unterhalb der Werte liegen, die eine akuten Gefahr bedeuten, spricht der Beitrag nicht an. Eine Lösungsmöglichkeit wird kurz genannt, ohne allerdings auf die Kosten einzugehen. Insgesamt gelingt es nicht, die Informationen und Ergebnisse so einzuordnen, dass sich Leserinnen und Leser ein klares Bild davon machen können, was die Untersuchungen für das Trinkwasser in ihrer Stadt bedeuten.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag erwähnt allgemein, dass Rückstände von Arzneimitteln im Wasser negative Auswirkung auf die Umwelt haben können. Es sei beunruhigend, dass „niemand genau weiß, welche Folgen die Rückstände auf Mensch und Natur haben können.“ Zu Wort kommen dann allerdings nur entwarnende Stimmen. So erklärt eine Angestellte eines kommunalen Unternehmens aus Nürnberg, Gadolinium sei nicht gefährlich, „sonst dürfte das Mittel keinem Patienten verabreicht werden.“ Demnach würde die medizinische Anwendung einer Substanz automatisch bedeuten, dass diese völlig unbedenklich ist – eine offensichtlich unsinnige Aussage, die im Beitrag nicht hinterfragt wird. Der Unterschied zwischen einer diagnostischen oder therapeutischen Anwendung von Arzneimitteln einerseits und der ungewollten Aufnahme mit dem Trinkwasser andererseits wird nicht erläutert. Auch die ökotoxikologische Wirkung bleibt weitgehend außen vor. Damit wird nicht klar, warum auch Konzentrationen von Arzneiwirkstoffen, die weit unterhalb einer akut giftigen Dosis für den Menschen liegen, von vielen Wissenschaftlern als problematisch angesehen werden (siehe z.B. hier). Während die Darstellung in der Zeitschrift ÖKO-Test die Risiken weder bagatellisiert noch übertreibt, halten wir die Darstellung im begutachteten Artikel insgesamt doch für zu verharmlosend. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Artikel nennt eine Vielzahl an Wirkstoffen und Substanzen, die im Trinkwasser gefunden werden, ohne die Werte einzuordnen. So wird von „leicht erhöhten” und „erhöhten” Werten gesprochen, Leserinnen und Leser erfahren aber nicht, was das bedeutet. Hierfür wäre es nötig, die absoluten Zahlen anzugeben und diese mit Richt- oder Grenzwerten zu vergleichen. Ob es solche überhaupt gibt, wird im Artikel nicht erwähnt. Lediglich für Gadolinium berichtet der Beitrag, es sei ein Wert von sieben Nanogramm pro Liter gemessen worden. Mit einem Zitat wird erläutert, was diese Menge ungefähr bedeutet (demnach „entspricht ein  Nanogramm pro Liter etwa einem Stück  Würfelzucker, aufgelöst im Brombachsee“). Aber auch diese Angabe wird in kein Verhältnis zu erlaubten oder bedenklichen Konzentrationen gesetzt.

Der Beitrag bezieht sich zudem auf Messungen, die ganz verschiedene Dinge untersucht haben, nämlich Trinkwasser, Abwasser und Grundwasser. Auf die grundsätzlichen Unterschiede geht der Artikel nicht weiter ein, die Angaben stehen ohne weitere Erläuterung nebeneinander.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Artikel gibt die Messergebnisse aus der Zeitschrift ÖKO-Test wieder, die von zwei Mitarbeiterinnen kommunaler Unternehmen (örtliche Städtentwässerung, Wasser- und Energieversorger) kommentiert werden. Außerdem wird über deren regionale Untersuchungen zu Arzneimittelrückständen berichtet. Es gibt somit mehrere Quellen, die Zugehörigkeit der Interviewpartner wird eingeordnet.

Wir hätten uns gewünscht, dass bei den Zitaten der kommunalen Expertinnen ausdrücklich erwähnt worden wäre, dass diese interessengebunden sind. Auch wenn die Unternehmen gesetzlich nicht zur Analyse von Arzneimittelrückständen verpflichtet sind, könnten bedenkliche Werte den Ruf nach möglicherweise teuren Gegenmaßnahmen zur Folge haben. Hier wäre es sinnvoll gewesen, zusätzlich unabhängige Experten zu befragen (siehe dazu Kriterium 4). Wir werten daher „knapp erfüllt“.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Schwerpunkt des Artikels liegt eindeutig auf entwarnenden Stellungnahmen. Probleme, wie sie in der Zeitschrift ÖKO–Test angesprochen werden, thematisiert der Artikel nicht: zum Beispiel das Zusammenwirken mehrere Wirkstoffrückstände im Wasser oder die Langzeitwirkung der Chemikalien. Zu diesen Themen gibt es eine seit vielen Jahren andauernde wissenschaftliche Debatte. Daher wäre es unseres Erachtens notwendig gewesen, dazu auch unabhängige Experten zu befragen, z.B. Umwelthygieniker, Trink- und Abwasserexperten oder Vertreter des Umweltbundesamtes, das in ÖKO-Test ausführlich zu Wort kommt. Diese hätten die eher interessengeleiteten Positionen der beiden Interviewpartner einordnen können.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Eine Pressemitteilung haben wir nicht gefunden. Der Artikel geht über den Bericht der Zeitschrift ÖKO-Test deutlich hinaus, da zwei regionale Experten befragt werden.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es liegt nahe, dass die ÖKO-Test-Untersuchung, die der Aufhänger des Artikels ist, erst kürzlich publiziert wurde; allerdings wird nicht ausdrücklich gesagt, wann diese erschienen ist oder wann die Messungen durchgeführt wurden. Für die im Zeitungsartikel außerdem angeführten lokalen Untersuchungen zu Arzneimittelrückständen im Nürnberger Trink-, Grund- und Abwasser bleibt völlig offen, wie lange diese zurückliegen, bzw. wie häufig sie durchgeführt werden. Dass die Problematik von Arzneimitteln im Trinkwasser bereits seit Jahrzehnten diskutiert wird (Übersicht siehe z.B. hier), erfahren Leserinnen und Leser nicht.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Artikel erwähnt, dass es technische Verfahren wie die Aktivkohlefiltrierung gibt, die auch Arzneimittelrückstände entfernen können. Man würde sich hier weitere Informationen wünschen, etwa: Wie wirksam ist das Verfahren, lassen sich alle erwähnten Rückstände entfernen?

Weitere Handlungsoptionen nennt der Beitrag nicht. Es fehlt vor allem der für Leserinnen und  Leser wichtige Hinweis, dass Arzneimittel nicht in die Toilette geschüttet werden sollten, und dass die unsachgemäße Entsorgung eine wesentliche Ursache für die Umweltbelastung mit Medikamentenwirkstoffen ist.

Das Umweltbundesamt forderte unlängst, Umweltaspekte bereits bei der Entwicklung von Medikamenten zu berücksichtigten, zum Beispiel im Hinblick auf verbesserte Abbaubarkeit der Wirkstoffe. Einen wichtigen Beitrag könne vor allem der verantwortungsbewusste Umgang mit Arzneimitteln leisten, angefangen bei einer veränderten Verschreibungspraxis durch den behandelnden Arzt bis hin zu einer sachgerechten Entsorgung von Arzneimittelresten durch Patientinnen und Patienten. (siehe hier und hier). Auch diese Aspekte spricht der Beitrag nicht an. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Beitrag nimmt eine bundesweite Untersuchung zum Anlass, speziell die Situation in Nürnberg und Fürth darzustellen – ein guter Ansatz, um die Leser der Lokalzeitung für dieses Thema zu interessieren. Der Beitrag macht zugleich klar, dass es sich um ein Problem handelt, das überregional besteht. Es wird erwähnt, dass Untersuchungen in 69 deutschen Städten stattgefunden haben, und dass Nürnberg mit erhöhten Werten keinen Einzelfall darstellt. Im Ruhrgebiet seien die Werte ähnlich.

Zusätzlich wäre es hier interessant zu erfahren, ob es Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt, und wie die Situation in Deutschland sich im Vergleich zu anderen Länder darstellt. Auch die europäische Dimension bleibt außen vor, so wird die für dieses Thema bedeutsame Europäische Wasserrahmenrichtlinie nicht erwähnt (siehe dazu Kriterium 10, Kontext).

Da in diesem Beitrag jedoch die lokale Berichterstattung im Vordergrund steht, werten wir dennoch „erfüllt“.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Zeitliche Aspekte kommen in diesem Beitrag erheblich zu kurz. Man erfährt weder, wann gemessen wurde, noch wie oft. Wie sehr schwanken die Ergebnisse? Handelt es sich um kurzfristige Peaks oder um eine dauerhafte – eventuell sogar zunehmende – Belastung? Es fehlen Informationen darüber, wie lange die Wirkstoffe im Wasser erhalten bleiben, ob sie sich mit der Zeit addieren, ob sie abgebaut oder weggeschwemmt werden, und ob sie sich in der Nahrungskette anreichern oder nicht.

Leserinnen und Leser erfahren auch nicht, seit wann das Problem besteht bzw. bekannt ist (siehe dazu Kriterium 6, Neuheit), und seit wann Arzneimittelrückstände im Wasser überhaupt untersucht werden. Es heißt lediglich vage, dass der Nürnberger Wasserversorger N-Ergie „seit Jahren“ Trinkwasser auf Arzneimittelrückstände untersuche. Ob und wie sich die Belastung im Laufe der Zeit verändert hat, bleibt unklar. Das Umweltbundesamt verwies 2011 auf die „drastische Zunahme der Verbrauchsmengen“ von neuen Arzneimittelwirstoffen, die ein „ein hohes Gefährdungspotenzial erwarten lassen“ (S. 43).

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Auf den politischen und wirtschaftlichen Kontext des Themas Medikamentenrückstände im Trinkwasser und in der Umwelt geht der Beitrag nicht ein. Es fehlen jegliche Informationen über die politischen Debatten zum Thema in den letzten Jahren. So sind Arzneimittelwirkstoffe bislang nicht in regulären Überwachungsprogrammen nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) enthalten, sie wurden 2013 nach langen Auseinandersetzungen nicht in die EU-weite „Liste prioritärer Stoffe” aufgenommen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass Grenzwerte festgelegt und eingehalten werden müssen. Lediglich drei Arznei-Wirkstoffe, u.a. das im Beitrag erwähnte Schmerzmittel Diclofenac, wurden 2013 von der Europäischen Kommission auf die „watch-list of emerging aquatic pollutions“ gesetzt.

Wichtig wären auch Informationen über die Kosten für neue Reinigungsverfahren wie z.B. die Aktivkohlefilterung gewesen. Hierzu liegen zum einen Abschätzungen in der Fachliteratur vor, zum anderen wäre in Erfahrung zu bringen gewesen, wie teuer die Anlagen sind, die in Bayern derzeit getestet werden.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Der Beitrag bezieht sich auf eine aktuelle Untersuchung, das Thema ist interessant und dauerhaft relevant.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Artikel bemüht sich, eine bundesweite Untersuchung anhand von Beispielen aus der eigenen Stadt für ein regionales Publikum interessant zu präsentieren. Dabei führt er eine Vielzahl von  Stoffen und Ergebnissen an. Doch fehlt es an einer klaren Struktur, die beim Lesen durch den Text führt: Zu Beginn des Artikels vermutet man, dass es vor allem um Schmerzmittel geht, im weiteren Verlauf spielen diese dann kaum noch eine Rolle, statt dessen geht es um Kontrastmittel, Antibiotika, Östrogene und – im letzten Satz – um ein Antiepileptikum. Auch die Bereiche Trinkwasser, Abwasser und Grundwasser werden nicht klar voneinander abgegrenzt. Vieles wird nur so kurz angerissen, dass Leserinnen und Leser, die nicht bereits vorinformiert sind, damit kaum etwas anfangen können. Beispielsweise wird kaum verständlich, welche Bedeutung die Neuerungen in der Arzneimittelzulassung für das Thema haben.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar