Bewertet am 31. Oktober 2014
Veröffentlicht von: taz - die tageszeitung
Die taz nimmt sich in einem sachlichen Nachrichtenbeitrag der Frage an, wie sich ein Erdgas-Boom durch den Einsatz von Fracking auf das Weltklima auswirken würde. Es wird eine aktuelle Studie dazu vorgestellt. Demnach sind vor allem wirtschaftliche Aspekte ausschlaggebend dafür, dass billiges Gas die CO2-Emissionen wahrscheinlich nicht senken wird.

Zusammenfassung

Eine im Fachmagazin „Nature“ publizierte Studie hat untersucht, ob die CO2-Emissionen sinken würden, wenn weltweit vermehrt „unkonventionelles Gas“ auf den Markt käme – Gas also, das durch das umstrittene Fracking gewonnen wird. Der Artikel in der taz erläutert, dass laut dieser Studie keineswegs die erhofften CO2-Einsparungen die Folge wären und macht klar, dass die Ergebnisse auf energiewirtschaftlichen Modellrechnungen beruhen. Diese ergaben, dass der Ausstoß von Klimagasen eher steigen würde und das Verfahren daher nicht als „Brückentechnologie“ ins Zeitalter erneuerbarer Energien tauge. Der Beitrag erläutert, dass dies im Gegensatz zu bisherigen Erwartungen steht, wie sie auch vom Weltklimarat formuliert wurden.

Die komplexen Zusammenhänge werden im Beitrag verständlich erklärt: Zwar entsteht bei der Gasverbrennung nur etwa halb so viel CO2 wie beim Verbrennen von Kohle. Doch würde das billige Gas den aktuellen Berechnungen zufolge nicht nur Kohlekraftwerke ersetzen, sondern auch Strom aus emissionsarmen Energiequellen verdrängen. Gleichzeitig würden niedrigen Gaspreise der Anreiz zum Energiesparen senken. Die meisten Berechnungen ergaben daher im Endeffekt sogar eine Erhöhung des CO2-Ausstoßes. Der schnörkellose aber sachlich gut gelungene Nachrichten-Beitrag erläutert, dass diesen Ergebnissen unterschiedliche Simulationen zugrunde liegen – wenn auch nicht immer die Spannweite der Ergebnisse angegeben wird. Es wird deutlich, dass für die Auswirkungen eines Gas-Booms auf das Klima vor allem der wirtschaftliche Kontext eine Rolle spielt.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Text greift eine im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichte Studie auf, in der fünf Forschergruppen mit Computersimulationen berechnet haben, wie eine Ausweitung des Fracking sich auf den globalen Kohlendioxid-Ausstoß auswirken würde. Die Studie wird sachlich zitiert. Es wird klar, dass das Ergebnis für die Wissenschaftler überraschend ist, ohne diese Tatsache als Sensation zu überhöhen.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die Fakten und Zahlen stellt der Beitrag korrekt dar. Er macht deutlich, dass es sich um die Ergebnisse von Simulationen mit fünf unterschiedlichen Modellen handelt, deren Ergebnisse zwar nicht völlig übereinstimmen, aber doch ähnlich sind. Die Bandbreite der CO2-Emissionen, die laut unterschiedlichen Modellrechnungen bei einem weltweiten Gas-Boom zu erwarten sind, wird genannt. Allerdings beschreibt der Beitrag  das Vorgehen an einer Stelle ungenau: Demnach sei untersucht worden, welche Auswirkungen eine Steigerung des Gasverbrauchs um 170 Prozent bis zum Jahr 2050 hätte. Tatsächlich ist dies der obere Teil einer Bandbreite (zwischen 11 und 170 Prozent), die in den fünf ökonomischen Modellen unterschiedlich berechnet worden ist (siehe dazu auch allgemeinjournalistisches Kriterium 3, Faktentreue). Wir werten daher „knapp erfüllt“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die aktuelle Nature-Publikation wird als Hauptquelle benannt. Der Beitrag zitiert den Leiter der Studie und macht dabei deutlich, dass das Zitat aus Informationsmaterial des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung stammt. Damit ist der Beitrag genauer in seinen Quellenangaben als üblich. Besondere Interessenkonflikte sind für uns bei den beteiligten Wissenschaftlern aus fünf verschiedenen Instituten nicht erkennbar.

Im letzten Absatz nennt der Artikel außerdem eine Studie aus der Fachzeitschrift Climatic Change zu Methanemissionen beim Fracking, die 2011 veröffentlicht worden sei. Hier  hätten wir uns die Zuordnung zu einer Forschungseinrichtung gewünscht, sodass besonders Interessierte die Studie leichter finden könnten. Für die außerdem kurz erwähnten „Befürchtungen eines Expertenteams der US-Universität Stanford aus dem letzten Jahr“ wäre ebenfalls eine genauere Angabe zu Quelle und Inhalt der Studie wünschenswert gewesen.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es wird deutlich, dass die Gewinnung sogenannten unkonventionellen Gases durch Fracking wegen der damit verbundenen Umweltrisiken eine umstrittene Technologie ist. Gleichwohl hätten sowohl Industrievertreter als auch unabhängige Experten (etwa des Weltklimarates) bislang angenommen, dass dies eine Möglichkeit sei, den CO2-Ausstoß zu senken. Auch die Wissenschaftler, die die neue Studie vorgelegt haben, hätten mit einem spürbaren Sinken der CO2-Emissionen durch einen massiven Einsatz der Fracking-Technologie gerechnet, heißt es im Artikel. Ihre ökonomischen Modelle haben nun ergeben, dass sich diese Erwartungen nicht erfüllen. Damit werden die unterschiedlichen Positionen und Annahmen in diesem Themenfeld ausreichend deutlich. Interessant wäre es aber noch gewesen, einen Befürworter der Fracking-Technologie aus Wirtschaft oder Wissenschaft mit den aktuellen Studienergebnissen zu konfrontieren.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Zu der vorgestellten Studie liegen Pressemitteilungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des  Pacific Northwest National Laboratory vor, die an den Forschungsarbeiten beteiligt waren. Der Beitrag bezieht diese Informationen ein, geht aber deutlich darüber hinaus. Er nennt die Bandbreite der CO2-Emissionen, die sich nach den Modellrechnungen ergaben, und beschreibt damit die Forschungsergebnisse genauer als die Pressemitteilungen. Außerdem werden weitere Quellen genutzt. So zitiert der Beitrag den jüngsten Weltklimabericht, in dem der IPCC annimmt, dass unkonventionelles Gas die Emissionen zeitweise begrenzen könnte. Außerdem wird zum Problem der Methan-Emissionen beim Fracking, die ebenfalls zum Treibhauseffekt beitragen, eine weitere Fachpublikation herangezogen.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird klar, dass die Idee nicht völlig neu ist, den CO2-Ausstoß  zumindest für eine Übergangszeit durch die Gewinnung unkonventionellen Gases zu begrenzen. Ebenso klar wird aber auch, dass dazu jetzt neue Erkenntnisse vorliegen. Der Beitrag beschreibt, dass es sich um eher unerwartete Ergebnisse handelt, wenngleich zuvor auch schon Befürchtungen geäußert worden seien, die in die gleiche Richtung wiesen.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Artikel berichtet über eine Studie, die unkonventionelles Gas als Lösungsoption für das Klimaproblem untersucht. Diese ergab, dass die Erwartung enttäuscht wird, durch Fracking gewonnenes Erdgas könne zum Klimaschutz beitragen. Zudem wird der Klimaökonom Ottmar Edenhofer zitiert, der eine andere Handlungsoption nennt: Er erklärt, dass ohne eine „Bepreisung“ von CO2-Emissionen das Klimaproblem nicht gelöst werden könne. Ein weiterer Aspekt seiner Ausführungen – dass dazu internationale Kooperation und eine globale Einigung nötig sind – wird im Artikel nicht angesprochen.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Die Studie, über die berichtet wird, untersucht die globalen Auswirkungen eines Gas-Booms – das wird im Artikel ausreichend deutlich. Er stellt dar, dass die Ergebnisse von  fünf Forschergruppen rund um den Erdball erarbeitet wurden; auch das unterstreicht die weltweite Bedeutung des Themas. Dass Fracking-Gas in den USA aktuell die Energiepreise und den CO2-Ausstoß gesenkt hat, erwähnt der Beitrag, macht aber zugleich deutlich, dass das der Studie zufolge nicht einfach auf die künftige globale Entwicklung zu übertragen ist. Interessant wäre noch ein Hinweis gewesen, wo ein künftiger Fracking-Boom denn stattfinden könnte.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

In der Studie geht es um eine Abschätzung der Klimawirkung von unkonventionellem Erdgas bis 2050, wie der Artikel berichtet. Damit ist der zeitliche Rahmen abgesteckt. Auch bei der Studie zum Thema Methanfreisetzung wird angegeben, auf welche Zeiträume sich die Wissenschaftler bezogen: Sie hätten befunden, „dass die Treibhausbilanz von Fracking-Gas kurzfristig sogar zwischen 20 und 100 Prozent höher sei als bei der Kohle und über einen Zeitraum von 100 Jahren vergleichbar“.

Nützlich wäre für nicht vorinformierte Leserinnen und Leser noch eine zeitliche Einordnung der Fracking-Problematik insgesamt gewesen, so etwa die Information, dass der Fracking-Boom in den USA 2008 nach der Finanzkrise begann.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag berichtet über die Problematik des Fracking als vermeintliche Lösung für das Energie- und Klimaproblem. Dabei werden auch technische Aspekte – das dabei entweichende Methan – angesprochen. Im Mittelpunkt stehen jedoch Modellrechnungen, die die wirtschaftlichen Folgen betrachten. Zwar nennt der Beitrag nicht die in der Studie errechneten Kostengrenzen, die entscheiden, ob und wie der Einsatz von Fracking-Gas das Energiesystem beeinflusst. Er berichtet jedoch, dass der Energieverbrauch insgesamt durch das billige Gas wahrscheinlich steigen würde. Damit wird hinreichend deutlich, dass vor allem der wirtschaftliche Kontext, nämlich das Sinken der Gas- und Ölpreise, ausschlaggebend dafür ist, wie sich eine Ausweitung des Fracking aufs Klima auswirken würde.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Die Studie ist aktuell, das Thema ist wegen der  Folgen für den Klimawandel relevant und wird derzeit stark debattiert.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Text ist verständlich und gut strukturiert, er folgt bis zum letzten Absatz auch einer Dramaturgie (enttäuschte Erwartungen – inwiefern hatte man sich vom Fracking eine Lösung erhofft – warum wird dies nicht eingelöst – Einordnung in bisherige Erkenntnisse). Der letzte Absatz zur Ablehnung des Fracking durch Umweltverbände erscheint allerdings etwas lustlos drangehängt. Insgesamt aber ein interessanter und trotz des komplexen Themas gut zu lesender Nachrichten-Artikel.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Der Beitrag spricht von einer „Steigerung des Gasverbrauch um 170 Prozent“, dessen Auswirkungen berechnet worden seien. Dies klingt etwas danach, als sei diese Zahl eine einheitliche Vorgabe für die verschiedenen Modelle gewesen. Tatsächlich haben die Modelle simuliert, was bei einer Ausweitung des Fracking (durch verringerte Kosten für die Gasgewinnung) geschehen würde. Dabei ergaben sich, dass der Verbrauch von unkonventionellem Erdgas steigen wird – je nach Modell zwischen 11 und 170 Prozent. Die im Artikel genannten 170 Prozent sind also die Obergrenze einer Bandbreite. Es  ergeben sich dann jeweils unterschiedliche Effekte auf den CO2-Ausstoß. Zumindest hätte man unseres Erachtens deutlich machen müssen, dass hier eine obere Grenze genannt ist, besser wäre es gewesen die Bandbreite zu nennen.

Umweltjournalistische Kriterien: 10 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar