Bewertet am 8. August 2014
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk
In einem Beitrag des Deutschlandfunks wird berichtet, dass sich die Zahl der Seebären an den Küsten einer Insel im Südatlantik verringere. Die Forscher sehen den Klimawandel als Ursache: Er dezimiere den Krill, von dem sich die Robben ernähren. Der Nahrungsmangel  führe zu einer schärferen Auslese, sodass nur noch besonders kräftige Weibchen das Fortpflanzungsalter erreichen und Junge aufziehen könnten. Die komplexen biologischen Zusammenhänge werden jedoch im Beitrag nicht ausreichend erklärt.

Zusammenfassung

Der Hörfunkbeitrag in „Forschung aktuell“ des Deutschlandfunks berichtet sachlich über eine interessante Studie über Seebären in Südgeorgien, die im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht wurde. Darin werden langjährig gesammelte Informationen zur Entwicklung der Bestände mit Ergebnissen genetischer Untersuchungen der Tiere und Daten zur Klimaentwicklung in Beziehung gesetzt. Nachdem die Bestände sich nach dem Ende der Bejagung zunächst erholt hatten, verringerten sie sich in den letzten Jahrzehnten wieder, berichten die Forscher. Weniger Weibchen würden Junge aufziehen, und die Jungtiere seien kleiner. Es wird deutlich, dass es sich um eine umfassende Erhebung zu dieser einen Tierart und Region handelt, die Methodik aber auf andere Arten und Gebiete übertragbar sein könnte.

Der Beitrag erfüllt viele unserer Kriterien. So wird klar, auf welches Gebiet und welche Zeiträume sich die Aussagen beziehen; mit O-Tönen eines beteiligten Forschers und eines weiteren Experten geht der Beitrag klar über die Pressemitteilung hinaus. Jedoch gelingt es nicht in allen Punkten, die komplexe Materie angemessen zu vermitteln. Der scheinbare Widerspruch, dass die Fitness der Weibchen, die sich fortpflanzen, gestiegen ist, die Bestände der Seebären sich aber gleichwohl verringern, wird nicht so erklärt, dass Laien dies nachvollziehen könnten. Warum die individuelle genetische Vielfalt (Heterozygotie) der Weibchen größer geworden ist, sich aber nicht auf die Nachkommen vererbt, wird ebenso wenig verständlich wie der Zusammenhang solcher Beobachtungen mit dem Klimawandel.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Radiobeitrag beschäftigt sich mit einer Studie von Joe Hoffman von der Universität Bielefeld und Jaume Forcada vom British Antarctic Survey. Die beiden Wissenschaftler haben Langzeitdaten über eine Seebärenpopulation auf einer Insel im Südatlantik ausgewertet. Es wird beschrieben, dass die Zahl dieser Robben seit Jahrzehnten zurückgeht, ohne dieses Problem zu dramatisieren. Etwas unglücklich finden wir die Formulierung „Außerdem sind die Weibchen, die erfolgreich Junge großziehen, heute schwerer als früher. Dies klingt wiederum positiv.“ Tatsächlich  beschreibt die Studie aber, dass sich  die Situation der Tiere so verschlechtert habe, dass schwächere Weibchen sich nicht mehr erfolgreich fortpflanzen können. Hier hätten wir uns eine bessere Erläuterung gewünscht.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag nennt eine Reihe von Zahlen und Fakten aus der Fachveröffentlichung: Die Zahl der Weibchen, die Junge großzogen, ging seit Anfang der 80er Jahre um 25 Prozent  zurück, die Jungtiere wiegen im Schnitt acht Prozent weniger, die Weibchen, die ihren Nachwuchs durchbringen, sind im Schnitt schwerer als vor 30 Jahren, und sie verfügen häufiger über verschiedene Genvarianten.

Durch den Kommentar des Zoologen Tim Coulson wird deutlich, dass hier „Langzeitdaten aus der Lebensgeschichte der Robben mit deren genetischen Daten kombiniert“ werden. Wozu allerdings die Mikrochips genau dienen, die den Tieren unter die Haut gepflanzt werden, erfährt man nicht.

Vor allem aber erklärt der Beitrag die Ergebnisse der genetischen Untersuchungen nur unzureichend. Der O-Ton des Wissenschaftlers Joe Hoffmann, der erläutert, was Heterozygotie ist und warum sie für dieses Untersuchung relevant ist, dürfte für fachlich nicht vorgebildete Hörerinnen und Hörer weitgehend unverständlich bleiben. Hier hätte besser erläutert werden müssen, dass der Besitz unterschiedlicher Genvarianten die Überlebenschancen unter widrigen Bedingungen erhöht. Es werden also nicht etwa mehr heterozygote Weibchen geboren, sondern diese erreichen mit größerer Wahrscheinlichkeit das fortpflanzungsfähige Alter. Diese Auslese findet in jeder Generation von neuem statt.

Was all dies mit dem Klimawandel zu tun hat, erfahren Hörerinnen und Hörer nicht. Dass „vom Klimawandel beeinflusste Wetterphänomene” den Krill und damit die Seebären dezimieren, wird in den Raum gestellt, ohne zu erklären, wie die Forscher zu diesem Schluss kommen, und wie das mit den übrigen Beobachtungen zusammenhängt. Ein Zusammenhang mit dem Klimawandel wird so zwar angesprochen, im Beitrag aber nicht nachvollziehbar erläutert.

Tatsächlich ist Verringerung der Anzahl der Seebären nach Auffassung der Forscher ein Indikator für eine weit umfassendere Veränderung des Ökosystems durch den Klimawandel. Auf diesen Punkt geht der Beitrag nicht ein.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Es wird hinreichend klar, wer die Forscher sind, welchen Institutionen sie angehören, und wo die zugrunde liegende Fachveröffentlichung erschienen ist. Nützlich wäre es gewesen, außerdem den British Antarctic Survey  näher zu  erklären und zu erwähnen, dass er staatlich finanziert ist. Beim O-Ton von Tim Coulson hätten wir uns gewünscht, dass er nicht nur als Professor an der Universität Oxford genannt, sondern auch erwähnt wird, dass er Autor eines Kommentars („News and Views“) zur hier beschriebenen „Nature“-Publikation ist.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es geht bei diesem Radiobeitrag um die Auswertung von Naturbeobachtungen. Die Forscher setzen verschiedene Datensätze – Wetterbedingungen, Vorhandensein der Hauptnahrung Krill – mit Daten zur Entwicklung des Bestands der Seebären und genetischen Untersuchungen in Beziehung. Eine Kontroverse dazu, die hätte dargestellt werden müssen, ist für uns nicht erkennbar.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Für den Radiobeitrag ist einer der beteiligten Forscher und ein weiterer nicht an der Studie beteiligter Wissenschaftler befragt worden. Damit geht er deutlich über die Pressemitteilung hinaus. Allerdings erklärt die Antarctic-Survey-Pressemitteilung  das Problem der  Heterozygotie besser, als das im Beitrag gelingt.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird deutlich, dass die hier vorgestellte Fachveröffentlichung Messungen aus einer Langzeitstudie in neuer Weise aufarbeitet und mit anderen Daten zu einem Modell kombiniert. Damit entsteht ein umfassenderes Bild als bei früheren Auswertungen.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag befasst sich nicht mit Lösungsansätzen für die beschriebene Problematik. Doch sind hier auch keine speziellen Handlungsmöglichkeiten erkennbar. Die Studie nennt eine Kombination von Faktoren (geänderte Fischereipraktiken, Klimawandel), die dazu beitragen, dass es immer weniger Seebären in Südgeorgien gibt. Hier etwa einen „Stopp des Klimawandels“ als Handlungsoption zu nennen, würde vom Thema weg führen und keine zusätzlichen Informationen liefern. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Es wird klar, dass die vorgestellten Ergebnisse sich allein auf Südgeorgien beziehen, „eine Insel im Südatlantik, etwa 1.400 Kilometer vor der Ostküste Argentiniens“. Am Ende des Beitrags wird erläutert, dass diese Untersuchungsmethoden auch auf Daten aus anderen Regionen übertragen werden könnten. Ob dann ähnliche Ergebnisse zu erwarten sind, wird korrekt als offene Frage beschrieben.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beobachtungszeitraum der Langzeitstudie wird genannt, und die Ergebnisse werden in einen größeren zeitlichen Rahmen eingeordnet. Ausgangspunkt des Beitrags ist die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Seebären nahezu ausgerottet waren. Nach einem Jagdverbot konnte sich die Art erholen. Doch seit den frühen achtziger Jahren – also seit verwertbare Daten über diese Seebären-Population vorliegen – ist die Zahl der Tiere wieder zurückgegangen. Die zeitlichen Bezüge sind damit klar umrissen.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Die beobachteten Veränderungen beziehen sich auf eine einzelne Tierart in einem bestimmten Lebensraum. Die Seebären selbst haben, soweit uns bekannt,  aktuell keine wirtschaftliche Bedeutung.

Da jedoch die Dezimierung der Robben eng damit zusammenhängt, dass ihre Nahrungsgrundlage (der Krill) in den antarktischen Gewässern abnimmt, hätte das Problem der Krillfischerei zumindest kurz angesprochen werden sollen. Krill wird beispielsweise als Futtermittel für die Aquakultur genutzt (siehe hier). Da solche Zusammenhänge völlig ausgespart bleiben, werten wir „knapp nicht erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Der Beitrag bezieht sich auf eine kurz zuvor veröffentlichte Studie, das Thema ist daher aktuell. Die Studie beschreibt eine Fortentwicklung der wissenschaftlichen Methodik, mit der untersucht wird, wie Umweltveränderungen durch den Klimawandel sich auf die Überlebenschancen von Tieren auswirken. Sie behandelt damit – auch über die untersuchte Tierart hinaus – eine relevante Frage.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Radiobeitrag ist gut gesprochen und mit den O-Tönen zweier Wissenschaftler und den Tonaufnahmen einer Seebärenkolonie akustisch abwechslungsreich. Jedoch werden einige wichtige Aussagen der Fachveröffentlichung nicht verständlich vermittelt. So wird es nicht fachlich vorgebildeten Hörerinnen und Hörern anhand dieses Beitrags kaum gelingen, zu verstehen, was es mit der Heterozygotie auf sich hat, die hier eine zentrale Rolle spielt. Wie Klimawandel, Nahrungsmangel und Selektion dazu führen, dass weniger Tiere sich fortpflanzen können, während doch gleichzeitig die Fitness der Weibchen gestiegen ist, wird nicht verständlich. Die z.T. sehr fachsprachlichen O-Töne hätten der Erläuterung bedurft.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

In der Fachveröffentlichung heißt es, die Zahl der Weibchen, die sich fortpflanzen, sei um 24 Prozent zurückgegangen. Im Betrag ist von 25 Prozent die Rede. Bis auf diese kleine Ungenauigkeit sind uns keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 8 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar