Bewertet am 11. August 2014
Veröffentlicht von: Süddeutsche Zeitung
Ein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung berichtet, dass Ameisen die Verwitterung von Gestein beschleunigen können. Bei diesem Prozess wird CO2 gebunden, und so spekulieren Wissenschaftler darüber, das Verfahren für den Klimaschutz einzusetzen. Das Vorgehen der Forscher wird gut beschrieben, doch macht der Beitrag nicht ausreichend deutlich, ob dies eine realistische Option sein könnte, der Atmosphäre CO2 zu entziehen.

Zusammenfassung

Der Beitrag behandelt einen interessanten Aspekt an der Schnittstelle von Geologie, Biologie und Klimaforschung: Ameisen, die die Verwitterung von Silikatgesteinen beschleunigen, tragen zur Bindung von CO2 bei, da bei diesem Prozess Carbonate entstehen. Der Beitrag spricht die Frage an, ob diese Vorgänge zum „Geo-Engineering“ genutzt werden können. Unter diesem Begriff werden großtechnische Eingriffe in globale ökologische Abläufe zusammengefasst, die dem Klimawandel entgegen wirken sollen. Der Text beruft sich auf eine langjährige Versuchsreihe der Arizona State University und bezieht darüberhinaus weitere Quellen ein.

So spannend das Thema ist, es bleiben am Ende etliche ungeklärte Fragen: Wie relevant ist der Beitrag, den Ameisen erbringen können, und wie funktioniert das überhaupt? Wie dauerhaft ist das CO2 tatsächlich gebunden? Wie groß wären Aufwand und Kosten? Der Beitrag berichtet zwar über eine aus wissenschaftlicher Sicht interessante Erkenntnis, hinterfragt das Thema aber nur unzureichend in all seinen Konsequenzen.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag beschreibt die Erkenntnis, dass Ameisen die mineralische Bindung von CO2 beschleunigen können. Der Studie zufolge fördern die Tiere die Verwitterung von Gestein zu Carbonaten, in denen Kohlenstoff gebunden wird. Ob sich daraus eine Methode entwickeln lässt, Kohlendioxid im großen Stil aus der Atmosphäre zu entfernen, wird zutreffend als „Spekulation“ beschrieben. Die Überschriften („Klimaschutz mit sechs Beinen“ im gedruckten Artikel, bzw. „Ameisen als Klimaretter“ in der Online-Version) wecken allerdings unangemessene Erwartungen – darin erscheint der Einsatz von Ameisen für den Klimaschutz schon als reale Option. Im Zentrum des Beitrags stehen dann aber die wissenschaftlichen Experimente. Die Tauglichkeit der Ergebnisse für Klimaschutzmaßnahmen würden „zur Zeit erst erforscht“, heißt es dort. Da zugleich auf die Schwierigkeiten hingewiesen wird, die Erkenntnis in der Praxis zu nutzen („Schließlich müssten dazu riesige Mengen Silikatgesteine abgebaut, gemahlen und auf Brachland, Äckern oder Stränden verteilt  werden.“), werten wir „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Das Vorgehen der Forscher, die die Verwitterung von Silikatgesteinen unter verschiedenen Bedingungen erforscht haben, wird ausführlich und verständlich beschrieben. Jedoch erfährt man nicht, in welcher Weise die Ameisen zur Verwitterung beitragen. Durch mechanische Prozesse oder durch chemische Einflüsse? Da sich diese Frage aufdrängt, wäre eine Nachfrage bei den Autoren der Fachveröffentlichung oder anderen Experten angebracht gewesen.

Vor allem aber fehlt eine Einordnung der Möglichkeiten, die sich durch Ameisen für den Klimaschutz ergeben könnten. Zwar heißt es im Text, dass „pro Tonne Fels eine halbe bis eine Tonne Kohlendioxid gespeichert“ werden kann. Doch was bedeutet das? Wie viele Tonnen CO2 müsste man binden, um den atmosphärischen CO2-Gehalt messbar zu senken, wie viel Gestein müsste man künstlich verwittern lassen, um einen nennenswerten Effekt zu erzielen? Erst anhand solcher Zahlen ließe sich beurteilen, ob die vorgestellten Erkenntnisse praktische Relevanz haben.

Im Text ist außerdem von 10 Billiarden Ameisen die Rede, die es auf der Welt gäbe, während die Fachpublikation 1013, also 10 Billionen Ameisen nennt. Dazu kursieren offenbar sehr unterschiedliche Schätzungen; daher hätten wir uns eine Erläuterung gewünscht, auf welche Quelle der Beitrag sich bezieht, wenn er hier von der Fachpublikation abweicht.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der für die Studie verantwortliche Wissenschaftler wird benannt und zugeordnet, Hinweise auf besondere Interessenkonflikte liegen nicht vor. Außerdem werden weitere Quellen herangezogen (Publikation von Forschern der Universität Hamburg, Francesc Montserrat vom Niederländischen Institut für Meeresforschung).

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Zwar wird einschränkend bemerkt, „Noch müssten aber mögliche ökologische Nebenwirkungen geprüft werden.“ Doch insgesamt kommt die Kritik an derartigen Geoengineering-Projekten zu kurz. Es werden mehrere Wissenschaftler zitiert, die an solchen Forschungsvorhaben arbeiten, Kritiker an derart schwerwiegenden Eingriffen in die  Natur kommen dagegen nicht zu Wort. Dabei gibt es durchaus gewichtige Gegenargumente. So stellte das Umweltbundesamt 2011 fest, um CO2 durch Verwitterung von Gestein der Atmosphäre zu entziehen sei „eine gigantische Menge an Ausgangsgestein erforderlich.“ Erforderlich seien 7 Kubikkilometer Gestein pro Jahr, um die jährliche CO2-Emission zu binden. Weiter heißt es: „Der nötige Ausbau der Bergbautätigkeiten, die Aufbereitung und der Transport wären zum einen sehr kosten- und energieintensiv, zum anderen würden erhebliche lokale Umweltschäden verursacht“.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Wesentliche Aussagen des Beitrags basieren auf der Pressemitteilung. Es werden aber darüber hinaus Informationen aus der Studie selbst sowie aus weiteren Untersuchungen herangezogen. Auch wurde ein externer Forscher befragt.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag macht einerseits deutlich, dass hier über neue Erkenntnisse und – spekulative – Anwendungsmöglichkeiten berichtet wird. Durch die weiteren herangezogenen Quellen wird aber auch klar, dass andere Arbeitsgruppen schon länger in ähnlicher Richtung forschen, es sich also nicht um ganz und gar unerwartete Ergebnisse und Denkansätze handelt.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Ein denkbarerer Ansatz, den CO2-Gehalt der Atmosphäre zu senken, und damit eine Handlungsmöglichkeit, ist Gegenstand des Beitrags. Jedoch wird weder deutlich, wie realistisch diese Option ist (siehe Kriterium 2), noch wird dieser Handlungsansatz irgendwie eingeordnet. Hier wäre es wichtig gewesen, andere Möglichkeiten der CO2-Speicherung zumindest zu erwähnen, die vom Weltklimarat diskutiert werden, etwa die Kombination von Bioenergie mit der Abscheidung und Einlagerung von CO2 (BECCS = bioenergy with carbon capture and storage). Wir werten „knapp nicht erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Beitrag berichtet, wo die Versuche durchgeführt wurden („in gebirgigen Gegenden von Arizona und Texas“, „ auf unterschiedlichen Höhen und so auch in ganz verschiedenen Vegetationen“). Implizit wird klar, dass das Konzept – wenn es denn umsetzbar wäre – überall dort angewendet werden könnte, wo es Silikatgestein und Ameisen gibt (bzw. wo diese existieren könnten).

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Es wird beschrieben, dass 25 Jahre Forschungsarbeit in der Studie stecken und dass die Forscher alle fünf Jahre nachgesehen haben, wie weit die Verwitterung unter verschiedenen Bedingungen gekommen ist. Damit wird die Zeitskala der untersuchten Prozesse hinreichend deutlich.

Außerdem wird erklärt, dass das CO2 „für viele Hunderttausend Jahre“ gebunden sei. Da dies eine zentrale Aussage für den denkbaren Nutzen des Verfahrens ist, hätten wir uns gewünscht, dass diese Zahl ausführlicher belegt würde.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Nur an einer Stelle werden die möglichen ökologischen Nebenwirkungen einer CO2-Speicherung durch Verwitterung von Gestein erwähnt (als unerforscht). Unerwähnt bleiben aber die Wirtschaftlichkeit und die Frage der Realisierbarkeit solcher Geoengineering-Optionen. Auch wenn es beim derzeitigen Stand dazu keine exakten Zahlen geben kann, wäre es doch sinnvoll gewesen, die Dimensionen anzusprechen, von denen hier die Rede ist. So wären nach Angaben des Umweltbundesamtes etwa 7 Kubikkilometer Gestein erforderlich, um die jährlichen CO2-Emissionen zu binden. Zumindest die Fragen nach den Kosten für das Fördern und Zermahlen von Gestein und nach dem Energieaufwand sollten hier angesprochen werden (siehe auch Kriterium 4).

In der Zusammenfassung der zweiten zitierten Studie heißt es, dass vor einer großskaligen Anwendung erst die Verwitterungsraten, mögliche Nebeneffekte, die soziale Akzeptanz sowie Verwaltungsmechanismen („mechanisms of governance“) erforscht werden müssten. Das alles kommt in dem Beitrag zu kurz.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Die Speicherung von CO2 ist ein Thema, das trotz vieler Kritikpunkte eine Rolle spielt, wenn über Maßnahmen gegen die Klimabeeinflussung durch den Menschen diskutiert wird. Aufgrund der kurz zuvor erschienenen Fachveröffentlichung ist das Thema aktuell. Die Idee, mit Ameisen die Verwitterung zu beschleunigen und so dem Klimawandel entgegenzuwirken, ist außerdem – jenseits der Frage nach der Realisierbarkeit – überraschend und originell.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Die Darstellung ist im Großen und Ganzen verständlich und flüssig zu lesen. Allerdings gibt es einige fachsprachliche Einsprengsel, die nicht allen Leserinnen und Lesern geläufig sein dürften: „Kontrollumgebung“, „Silikate“, „die Kohlendioxidbilanz falle positiv aus“.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Einige Fakten hätten wir gerne etwas genauer belegt gehabt – von der Zahl der Ameisen, die hier stark abweichend von der Fachpublikation angegeben wird, bis zur Frage, wie lange CO2 in Kalkstein gebunden wird. Auch heißt die Fachzeitschrift, in der die zweite zitierten Studie erschienen ist, korrekt „Environmental Science and Technology“ und nicht „Journal Environmental Science and Technology“. Von solchen Ungenauigkeiten abgesehen sind uns keine Faktenfehler aufgefallen. Wir werten „knapp erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar