Der Beitrag, der in der Hannoverschen Allgemeinen erschienen ist, fasst die Ergebnisse des 3. Teilberichts des Weltklimarats IPCC zusammen und nimmt auch auf die Situation in Deutschland Bezug. Dabei werden viele Aspekte – von den Zielhorizonten des IPCC über den Anstieg der CO2-Emissionen in Deutschland bis zu Atomkraft und CO2-Abtrennung als Handlungsoptionen – kurz angesprochen. Doch bleibt der Beitrag dabei an vielen Stellen recht oberflächlich.
Zusammenfassung
Der Artikel nennt wesentliche Informationen aus dem Bericht des Weltklimarats, ist dabei allerdings wenig präzise. Zahlen und Fakten aus dem IPCC-Report werden berichtet, ohne ausreichend deutlich zu machen, wie sie ermittelt wurden, und dass sie jeweils Mittelwerte aus einer großen Anzahl unterschiedlicher Szenarien darstellen.
Der Artikel betrachtet sowohl die globale Situation als auch die Notwendigkeit, in Deutschland effektiver dem Klimawandel entgegenzuwirken. Indes gelingt es nicht, regionale und globale Handlungsoptionen miteinander zu einem interessanten Beitrag zu verknüpfen. Der Artikel stellt im Wesentlichen Informationen aus dem Pressematerial und Zitate aus Pressekonferenzen zusammen, ohne diese zueinander in Beziehung zu setzen oder zu hinterfragen. So wird als Äußerung des Umwelt-Staatssekretärs wiedergegeben, er hoffe, dass „der Gong jetzt gehört worden ist“. Dass der Regierungsvertreter, der Politik gestalten kann, sich hier auf eine Ebene mit den Wissenschaftlern stellt, die nur mahnen können, hätte Anlass für kritische Nachfragen sein können, die im Beitrag jedoch fehlen. Konkrete Handlungsansätze für Deutschland werden nur kursorisch genannt („weitere Maßnahmen bei der Gebäudesanierung, in der Landwirtschaft und beim Verkehr“).
Der politische und soziale Kontext des globalen Klimaschutzes, der im 3. IPCC-Teilbericht eine zentrale Rolle spielt, findet im Artikel keine Erwähnung.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Die Überschrift mit dem Begriff „Klimakiller“ ist sprachlich zugespitzt und nicht unbedingt glücklich gewählt. Doch angesichts der Sachlage ist sie auch nicht völlig falsch und unangemessen. Allerdings wird im Laufe des Beitrags nicht klar, welche „Rekorde“ da gebrochen werden.
Da im Fließtext ansonsten auf effekthascherische Begriffe verzichtet wird und die Ergebnisse aus dem Bericht des Klimarates insgesamt relativ nüchtern dargelegt sind, werten wir „knapp erfüllt“.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Beitrag reduziert die komplexen Informationen des IPCC-Teilberichts so, dass sie leicht verständlich erscheinen. Allerdings sind dabei einige Punkte nicht korrekt dargestellt. So heißt es im Artikel: „Dazu müssten die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden“. Das steht so nicht im Bericht. Der IPCC problematisiert die Stromerzeugung mit Kohle und formuliert das Ziel, aus der Kohle auszusteigen. Aber er beschreibt sehr differenziert, dass der Kohleausstieg von Region zu Region verschieden verlaufen wird, weil viele Investitionen auf lange Zeit gebunden sind. In dem journalistischen Text bleibt unklar, auf welche Region und welchen Zeitraum sich der Satz überhaupt bezieht – siehe dazu auch Kriterien 8 und 9. Generell sind die Aussagen in diesem Text sehr viel schärfer als im IPCC-Report. So heißt es im Beitrag, wir würden ohne politische und wirtschaftliche Veränderungen auf 4,8 Grad Erwärmung zusteuern; beim IPCC wird dagegen eine Bandbreite von 3,7 Grad bis zu 4,8 Grad genannt. Das folgt aus verschiedenen Modellierungen, je nach Szenario. Diese Zahl erhöht sich auf bis zu 7,8 Grad, wenn Unsicherheiten und mögliche verstärkende Effekte mit eingerechnet werden. Auch wenn in dem Beitrag nicht unbedingt alle diese Zahlen genannt werden können, müssten doch zumindest angesprochen werden, dass es unterschiedliche Szenarien und eine entsprechende Schwankungsbreite der Prognosen gibt.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Alle Quellen sind klar benannt, der Weltklimarat wird als „beratende Instanz für die Politik“ eingeführt. Genannt wird die IPCC-Arbeitsgruppe III und deren Vorsitzender Ottmar Edenhofer, (der allerdings fälschlich als Klimaforscher eingeführt wird – er ist Klimaökonom). Zitiert werden außerdem der Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth und die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Beide haben sich bei zwei aufeinanderfolgenden Pressekonferenzen nach der IPCC-Tagung geäußert. Besondere Interessenkonflikte, die hier genannt werden müssten, sind nicht ersichtlich.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Es wird kein Pro und Contra zum Bericht des Klimarates herausgearbeitet. Da der Bericht jedoch bereits das Ergebnis einer langen und auch kontrovers geführten Diskussion ist, in die weltweit die relevanten Fachleute einbezogen waren, ist hier eine seriöse „Gegenstimme“ kaum zu erwarten. Interessant wäre es sicher gewesen, die die Argumente darzulegen, die für unterschiedliche konkreten Vorgehensweisen zum Klimaschutz in Deutschland angeführt werden können. Doch würde das womöglich den Rahmen dieses eher kurzen Beitrags sprengen. Wir wenden diese Kriterium daher nicht an.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
Der Beitrag verwertet neben der Pressemitteilung offensichtlich Informationen aus Pressekonferenzen in Berlin zur Vorstellung des IPCC-Berichts. Die Politikerzitate sind nicht der Pressemitteilung des Weltklimarats entnommen. Außerdem wird die aktuelle Treibhausgasbilanz Deutschlands angesprochen.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
Der Artikel macht nicht deutlich, dass der IPCC Bericht der jüngste einer längeren Reihe ist. Unterschiede und Kontinuitäten zu früheren Berichten werden nicht einmal in Ansätzen angesprochen, Leserinnen und Leser erfahren so nicht, was neu und was altbekannt ist.
7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Der IPCC-Report zu Optionen des Klimaschutzes befasst sich naturgemäß mit Lösungsansätzen, die auch der Beitrag auflistet, allerdings recht pauschal und ohne auf deren Wirksamkeit einzugehen. Umstrittene Maßnahmen, wie die Kohlendioxid-Abscheidung aus Abgasen, werden kurz genannt – wer nicht ohnehin informiert ist, dürfte kaum verstehen, worum es dabei geht, geschweige denn, warum die Technologie „unpopulär“ ist. Auch der „Preisverfall bei Verschmutzungszertifikaten“ wird angesprochen – indirekt werden damit höhere Preise für CO2-Emissionen als Handlungsoption ins Spiel gebracht, doch ohne dass der Beitrag dazu Erläuterungen liefert. Konkrete Handlungsansätze für Deutschland zählt der Beitrag nur sehr kursorisch auf („weitere Maßnahmen bei der Gebäudesanierung, in der Landwirtschaft und beim Verkehr“). Wir werten hier nur „knapp erfüllt“.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
Die globale Dimension ist bei einem Bericht des Weltklimarats offensichtlich; es wird im Artikel ausgeführt, wie stark die „weltweiten Emissionen“ sinken müssten, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Die deutsche Situation wird erwähnt („Auch Deutschland macht dabei keine Ausnahme. Trotz kräftigen Ausbaus der erneuerbaren Energien steigt der Kohlendioxid-Ausstoß seit 2011“), ohne sie allerdings näher auszuführen oder genauer in Beziehung zum IPCC-Report zu setzen. Ansonsten fehlen alle Hinweise auf regionale Unterschiede bei den Auswirkungen des Klimawandels und den Möglichkeiten, ihn zu begrenzen. Wir werten „ knapp erfüllt“ .
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Der Artikel nennt zeitliche Bezüge beim Klimaziel für Deutschland („den deutschen Kohlendioxidausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken“) und bei den Angaben des IPCC zur weltweiten Emissionsminderung: Um unter zwei Grad Erwärmung zu bleiben, müssten die Emissionen global bis 2050 um 50 bis 70 Prozent gesenkt werden, zitiert der Artikel den IPCC-Report. Es fehlt die zweite Hälfte des Satzes, dass die Emissionen bis 2100 weltweit nahe Null sein müssten. Der Beitrag macht außerdem deutlich, dass die Treibhausgasemissionen derzeit weiter steigen. Der Mangel an Nachhaltigkeit der Klimapolitik wird damit implizit angesprochen. Wir werten daher „knapp erfüllt“.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Im dritten Teilbericht des IPCC geht es vor allem um politische, wirtschaftliche und soziale Fragen, die als wesentliche Faktoren für den Klimaschutz gesehen werden. Im journalistischen Beitrag wird dies nur an einer Stelle kurz angesprochen, nämlich bei der Globalaussage, dass ein starker Klimaschutz rund 0,06 Prozent des jährlichen globalen Wachstums kosten würde. Doch wird nichts zu den Bedingungen gesagt, die der IPCC zu dieser Zahl formuliert hat. Andere politische und soziale Aspekte, die in diesem IPCC-Bericht eine erhebliche Rolle spielen (Armut, nachhaltige Entwicklung, Situation von Entwicklungs- und Schwellenländern…) werden nicht erwähnt.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Die Berichterstattung über den IPCC-Report ist aktuell, und das Thema Klimaschutz dauerhaft relevant.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Der Text ist leicht lesbar und verzichtet weitgehend auf Fachvokabular. Doch folgt er keiner nachvollziehbaren Struktur, sondern ist eher ein „Patchwork“ aus Globalaussagen aus dem IPCC-Report und der Pressekonferenz sowie einzelnen Informationen zur deutschen Situation. Die Aussagen dazu stehen recht unvermittelt nebeneinander.
Einige Formulierungen sind sprachlich unschön, so in der Überschrift (siehe Kriterium 1), oder wenn es heißt, Atomkraft sei eine Option „den Ausstoß von Klimagasen umzudrehen“. Holprig klingt auch der Satz, Bevölkerungszunahme und Wirtschaftswachstum zehrten Erfolge „mehr als auf“.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.
Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 9 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt
4 von 6 erfüllten Kriterien sind nur „knapp erfüllt“, wir werten daher um einen Stern ab.