Bewertet am 28. Juli 2014
Veröffentlicht von: Rhein-Zeitung

Ein Artikel, der in der Rhein-Zeitung erschienen ist, und fast hundertprozentig einen Text der dpa übernimmt, stellt eine Studie zur Überfischung im Mittelmeer vor. Die Probleme werden, wenn auch mit wenigen konkreten Zahlen, sachlich dargestellt. Handlungsoptionen zeigt der Beitrag nicht auf. Eine Einordnung der Ergebnisse durch Wissenschaftler, die nicht an der Studie beteiligt waren, fehlt.

Der Artikel liegt nicht online vor. Wir verlinken daher auf eine Quelle, die die dpa-Meldung unverändert wiedergibt. Die kleinen Abweichungen zum Text der Rhein-Zeitung sind in der Zusammenfassung genannt. Der Beitrag ist nicht mehr online verfügbar.

Zusammenfassung

Der Beitrag berichtet über Ergebnisse griechischer Forscher, die Fischfangdaten ausgewertet und ermittelt haben, dass die Bestände vieler Arten im Mittelmeer von 1990 bis 2010 erheblich geschrumpft sind. Der überwiegende Teil der Informationen wurde offenbar der Pressemitteilung zur Fachveröffentlichung entnommen, die in einigen Punkten informativer ist als der journalistische Beitrag. Außerdem werden Zahlen genannt, die die EU-Fischereikommissarin einige Wochen zuvor bekannt gegeben hat.

Der Artikel der Rhein-Zeitung unterscheidet sich insofern vom dpa-Text, als in vielen Fällen der Indikativ verwendet wird, statt, wie bei dpa, durch den Konjunktiv zu verdeutlichen, dass hier Angaben der Forscher referiert werden (die durch keine weitere wissenschaftliche Quelle bestätigt sind). Auch fehlt in der Rheinzeitung der Vorspann („In Teilen der europäischen Meere…”) Einen Hinweis, dass es sich um einen dpa-Text handelt, bekommen Leser nicht.

Es wird deutlich, dass das Problem der Überfischung schon seit längerem besteht und dazu jetzt aktuelle Ergebnisse vorliegen. Der Beitrag nennt allerdings nur wenige konkrete Daten und erläutert nicht, wie diese genau erhoben wurden. Handlungsoptionen sind nicht ausreichend beschrieben, obwohl sie in der Studie relativ breit vorgestellt werden. Es fehlt eine externe fachliche Einschätzung der Studie, ebenso wie die Einordnung der Forschungsresultate in einen wirtschaftlichen Kontext.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Artikel schildert nüchtern, dass einer aktuellen Studie im Fachblatt „Current Biology“ zufolge die Überfischung im Mittelmeer ein ernstes Problem darstellt, das bei einigen Arten zur Bestandsgefährdung führen kann, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Es wird dabei nicht der Eindruck erweckt, dass sich die Entwicklung nicht mehr umkehren ließe. Der Text verzichtet auf übertrieben drastische Formulierungen; Begriffe wie „alarmierend“ halten wir in diesem Zusammenhang für zulässig, zumal dies als Einschätzung der Forscher kenntlich gemacht wird und auch im Fachartikel von „Alarming Decline“ gesprochen wird.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die Studie enthält zahlreichen Daten, aus denen für den Beitrag Angaben zur Anzahl der bedrohten Fischarten und -bestände ausgewählt wurden. Außerdem nennt der Zeitungsartikel mit Bezug auf Äußerungen der EU-Fischereikommissarin Prozentangaben zum Ausmaß der Überfischung.

Zu den Zahlen aus der Studie heißt es vage, es seien „Fischfangdaten aus den Jahren 1990 bis 2010“ ausgewertet worden; der Text erläutert nicht, wie die Forscher festgestellt haben, dass „im Jahr 2010 erstmals bei allen Arten der höchstmögliche Dauerertrag überschritten“ wurde. Auch für die EU-Zahlen zur Überfischung bleibt offen, wie diese ermittelt wurden. Insgesamt wird der Eingangssatz „Die Fischbestände im Mittelmeer schrumpfen“ im weiteren Textverlauf nicht ausreichend mit nachvollziehbaren Zahlen untermauert. Auch andere Angaben bleiben ungenau, so heißt es etwa, im Mittelmeer operiere „eine große Zahl kleinerer Fangschiffe“, die Pressemitteilung beschreibt dies präzise mit „95 Prozent“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Text bezieht sich auf die Untersuchungen eines staatlichen Forschungszentrums, des Hellenic Centre for Marine Research in Anavyssos, das als Quelle der Informationen benannt ist. Außerdem werden Äußerungen der EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki angeführt. Hier wäre der Hinweis angebracht gewesen, dass Damanaki aus Griechenland kommt, also aus dem gleichen Mittelmeerland, in dem die zitierten Forscher arbeiten.

Besondere Interessenkonflikte sind nicht erkennbar, abgesehen davon, dass Warnungen der Wissenschaftler oft auch der Akquise von Forschungsmitteln dienen können. Das wird hier an dem Zitat des Studienautors Vasilakopoulos deutlich: „Es sind größere Investitionen nötig, um durch die Erhebung und Auswertung von Daten guter Qualität zu Biologie und Ausbeutung mediterraner Fischbestände die Fischereiforschung zu verbessern.“

Zwar ist durch die Angaben der EU-Kommissarin eine zweite Quelle benannt. Besser hätten wir es allerdings gefunden, wenn zu den Ergebnissen der vorgestellten aktuellen Forschungsarbeit weitere wissenschaftliche Expertise eingeholt worden wäre. Im Beitrag heißt es, die Analyse sei für „für Fachleute voraussichtlich keine Überraschung“. Statt sich hier auf Vermutungen zu stützen, wäre es angemessen gewesen, einen nicht an der Studie beteiligten Wissenschaftler tatsächlich zu befragen. Wir werten „knapp erfüllt“.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Text stellt allein die griechische Studie zum Rückgang der Fischbestände im Mittelmeer vor, der auf ungenügende Kontrollen bestehender Vorschriften zurückgeführt wird. Wie sich diese Problematik beispielsweise aus Sicht der Fischer darstellt, welche wirtschaftlichen Interessen dabei betroffen sind, und ob diese womöglich bessere Kontrollen verhindern, spricht der Beitrag nicht an. Auch Naturschutzorganisationen werden nicht befragt.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag referiert weitgehend die Pressemitteilung zur Studie, aus der auch das Zitat des Studienautors Vasilakopoulos stammt. Lediglich die Zahl der untersuchten Bestände sowie die Nennung einiger Fischarten sind dem wissenschaftlichen Paper selbst entnommen. Der letzte Absatz mit dem Verweis auf die Äußerungen der EU-Kommissarin Damanaki entstammt nicht der Pressemitteilung zum aktuellen Fachartikel, sondern einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom Juni 2014. Wir werten „knapp erfüllt“.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird im Artikel ausreichend deutlich, dass die Überfischung im Mittelmeer kein neues Problem ist. Leserinnen und Leser erfahren, dass es dazu eine aktuelle Studie gibt, deren Ergebnisse aber für Fachleute nicht überraschend seien.

In der Studie heißt es allerdings, dass die kritische Lage im Mittelmeer angesichts mancher Erfolge der Fischereipolitik andernorts eher übersehen wurde („succeeding management in the northeast (NE) Atlantic may have led the EU to overlook the ‚skeleton in the closet,”’ i.e., Mediterranean fisheries.”). Wir hätten uns gewünscht, dass dieser Aspekt besser herausgearbeitet bzw. hinterfragt worden wäre. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Als Handlungsansatz wird lediglich die Forderung der Wissenschaftler nach mehr Forschung erwähnt. Angesichts dessen, dass die Studie etliche konkrete Möglichkeiten nennt, das Problem der Überfischung im Mittelmeer zu verringern, halten wir dies für nicht ausreichend. Lösungsansätze, die in der Fachveröffentlichung aufgelistet werden („…stringent monitoring of landings and catches. Appropriate multiannual plans, accompanied by higher levels of compliance, effective control and enforcement, and establishment of some rights-based incentives to the fishing communities…“), spricht der Zeitungsartikel nicht an. Ebenso wenig wird die Reform der Gemeinsamen EU-Fischereipolitik (CFP) erwähnt, auf die der Fachartikel mehrfach Bezug nimmt („The ongoing CFP reform provides a unique opportunity to develop advanced management regimes.”).

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Es wird deutlich, dass es sich hier um ein Problem des Mittelmeerraums handelt und dass die spezifischen lokalen Gegebenheiten der Fischerei wichtig sind. Außerdem wird ein Vergleich  zum Nordost-Atlantik gezogen. Zusätzlich hätte noch erwähnt werden können, dass die Forscher vergleichbare Probleme für andere Meere befürchten („There are other data-limited marine areas in the developing world, such as the Chinese seas, the Sub-Saharan African seas, and many tropical estuaries, that exhibit similar characteristics to the Mediterranean (…) Current findings may apply to these cases as well“). Zu diesem Aspekt ist die Pressemitteilung informativer.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Zeitraum der Beobachtung wird genannt (1990 bis 2010). Doch berichtet der Beitrag weder, seit wann das Problem der Überfischung überhaupt besteht/ erkannt wurde (war vor 1990 alles noch in Ordnung?), noch wie schnell es sich entwickelt hat (gleichmäßig? beschleunigt?). Der Beitrag erwähnt, dass sich Fischbestände in Nord- und Westeuropa in den letzten zehn Jahren erholt hätten, ohne dazu jedoch Zahlen zu nennen. Wie lange die Fischbestände im Mittelmeer brauchen könnten, um sich zu regenerieren, wenn man die Überfischung beendet, wird nicht thematisiert. Auch dazu wäre eine externe Einschätzung wichtig gewesen. Daher „knapp nicht erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag stellt das Problem der Überfischung im Mittelmeer fast ausschließlich aus wissenschaftlicher Sicht dar. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Fischerei in den Mittelmeerländern liefert er keine Informationen; man erfährt weder, zu welchen Einbußen die schwindenden Bestände führen, noch welche Kosten bessere Kontrollen mit sich bringen würden. Der knappe Hinweis auf die „problematische finanzielle Lage einiger Länder“ genügt uns hier nicht. Es fehlt jeder Hinweis auf die Reform der EU-Fischereipolitik; auch bei dem Hinweis auf die Äußerungen der Fischereikommissarin bleibt dieses Thema ausgespart.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Überfischung ist ein dauerhaftes Problem, mit hoher Relevanz für Wirtschaft und Naturschutz.  Mit der neuen Studie liegt ein aktueller wissenschaftlicher Anlass für die Berichterstattung vor.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Beitrag ist verständlich geschrieben, und verzichtet auf schwierige Fachbegriffe. Der Stil ist nüchtern-nachrichtlich, wobei es dazu besser gepasst hätte, präzise Zahlen und Fakten zu nennen, statt häufig Formulierungen wie „immer mehr“, „eine große Zahl, oder „viel schlechter“ zu verwenden.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Drei der fünf erfüllten umweltjournalistischen Kriterien sind nur „knapp erfüllt“, daher werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar