Bewertet am 8. Juli 2014
Veröffentlicht von: Stuttgarter Zeitung
Die Stuttgarter Zeitung berichtet über eine Studie kanadischer Wissenschaftler zum sinkenden Bestand einer nordamerikanischen Schmetterlingsart, der Monarchfalter. Demnach tragen die industrialisierte Landwirtschaft und insbesondere der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen stärker zu dem Problem bei, als bisher vermutet. Allerdings macht der Beitrag nicht ausreichend deutlich, wie die Forscher zu diesem Schluss gelangt sind.

Zusammenfassung

Der Beitrag beschäftigt sich mit den Lebensbedingungen für den amerikanischen Monarchfalter und schildert verschiedene Faktoren, die dazu beitragen, dass die Zahl diese Schmetterlinge seit zwei Jahrzehnten abnimmt. Der Artikel stützt sich vor allem auf eine neue Untersuchung kanadischer Wissenschaftler, die den Verlust an Futterpflanzen für die Raupen des Monarchfalters als Hauptfaktor ausmachen. Die betreffenden Seidenpflanzen („Milkweed“) würden dezimiert, da auf Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen Herbizide versprüht würden, die alle „Unkräuter“ vernichteten. Der Studie zufolge ist dies ein wesentlicher Faktor dafür, dass die Zahl der Monarchfalter in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch abgenommen hat. Als weitere Quelle wird eine Erhebung des WWF und des mexikanischen Umweltministeriums einbezogen.

Der Beitrag schildert die komplexen ökologischen Zusammenhänge gut verständlich. Wie die Ergebnisse der zitierten kanadischen Studie zustande gekommen sind, wird allerdings nicht einmal ansatzweise erläutert. Es wird daher nicht klar, dass die Ursachenanalyse in dieser Studie auf Modellen und Berechnungen, nicht etwa auf Feldforschung beruht. Auch stellt der Beitrag Lösungsmöglichkeiten heraus, die die Forscher selbst als unzureichend bezeichnen.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Artikel erläutert die verschiedenen Faktoren, die zum Rückgang des Bestandes der Monarch-Schmetterlinge beitragen. Die reichlich plakative Überschrift „Der Schrecken des Schmetterlings“ wird in der sachlicheren Unterzeile erläutert. Im Text selbst wird der Zusammenhang von genmanipulierten Feldfrüchten und Rückgang der Schmetterlinge in eher vorsichtigen Formulierungen hergestellt („…stützt den Verdacht, dass… beigetragen hat.“ „Die Forscher sehen …als wahrscheinlichen Hauptgrund für den Verlust…). Es wird deutlich, dass die Forscher als wesentlichen Grund für den Rückgang der Monarchfalter den zunehmenden Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen (GMO) und den damit einhergehenden Einsatz von Herbiziden sehen, die die Futterpflanze der Schmetterlinge, die Seidenpflanze, dezimieren. Weitere Gründe, z.B. Landverlust durch Urbanisation, werden ebenfalls genannt. Auch wird im Artikel nicht behauptet, dass die Zusammenhänge zwischen Monarchsterben und GMO-Anbau zweifelsfrei bewiesen seien.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag nennt mehrfach die Arbeit der kanadischen Wissenschaftler der University of Guelph, die im „Journal of Animal Ecology” veröffentlicht wurde. Der Beitrag geht jedoch an keiner Stelle darauf ein, welche Methoden hier angewandt wurden. Das wäre aber eine entscheidende Information gewesen. Denn die Studie beinhaltet ausschließlich Modellrechnungen, um den bisherigen Rückgang der Monarchfalter zu erklären und die zukünftige Entwicklung zu prognostizieren (“We developed a spatially-structured, stochastic and density-dependent periodic projection matrix model that integrates patterns of migratory connectivity and demographic vital rates across the annual cycle”, heißt es in der Fachveröffentlichung). Für diese Studie sind offenbar keine neuen Daten erhoben worden, sondern die Forscher haben ihre Modelle mit älteren Daten gefüttert, um den Einfluss von Klima, Landnutzung etc. zu berechnen. Dass hier keine Bestandserhebungen oder Feldversuche unternommen wurden, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Eine ebenfalls zitierte und von der Umweltorganisation WWF unterstützte Studie hat dagegen Bestandszahlen erhoben und bestätigt den negativen Trend. Die unterschiedliche Aussagekraft der verschiedenen Methoden wird im Beitrag nicht einmal ansatzweise erwähnt.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Artikel zitiert zwei unabhängige Quellen – die aktuelle Arbeit der Forscher an der University of Guelph und die Bestandserhebungen der Umweltorganisation WWF und des mexikanischen Umweltministeriums – und macht die Zugehörigkeit der zitierten Forscher klar. Besondere Interessenkonflikte sind hier unseres Wissens nicht zu erwähnen.

Etwas unglücklich gelöst ist es, dass die Veröffentlichung, auf die sich der Artikel hauptsächlich bezieht, erst spät im Text konkret benannt wird. Auch wird im vorletzten Absatz nicht ganz klar, aus welcher der beiden Quellen die Angabe stammt, die Seidenpflanzen seien um 21 Prozent zurückgegangen.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Beitrag nennt verschiedene Ursachen, die zum Rückgang der Bestände des Monarchfalters geführt haben können. Es wird erläutert, dass bisher vor allem Abholzungen und Klimaveränderungen als Ursache angesehen wurden und der Anbau von GMOs eher als zusätzlicher Faktor galt. Der neuen Studie zufolge spiele der Verlust der Seidenpflanzen dagegen „eine wesentlich größere Rolle“. Damit sind die entscheidenden Aspekte der Diskussion um die Monarchfalter, die schon seit Jahren andauert, knapp genannt. Wir hätten uns allerdings gewünscht, dass der Beitrag zumindest etwas näher darauf eingegangen wäre, worauf die bisherigen Annahmen beruhten, und ob sie damit nun als widerlegt gelten können. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag gibt über weite Strecken die Pressemitteilung der University of Guelph wieder, geht aber in einigen Punkten doch darüber hinaus. So lassen Zitate des an der Studie beteiligten Wissenschaftlers Tyler Flockhardt, die nicht in der Pressemeldung enthalten sind, vermuten, dass mit dem Forscher direkt Kontakt aufgenommen wurde. Außerdem werden Bestandserhebungen des WWF berücksichtigt.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag macht klar, dass es sich nicht um ein völlig neues Phänomen handelt, sondern dass der Rückgang der Seidenpflanzen und der Monarchfalter bereits seit längerem beobachtet werden. Der Artikel nennt ältere Erklärungsansätze und Schutzmaßnahmen für den Monarchfalter, die offenbar nicht erfolgreich waren, und stellt neue Erklärungen vor, die auf aktuellen Daten beruhen.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag nennt in den letzten zwei Zeilen Lösungsmöglichkeiten – nämlich das Anpflanzen von Seidenpflanzen an Straßenrändern oder in Gärten. Allerdings mag man sich fragen, ob das genügt, um das Problem der großflächigen Lebensraumverluste durch die industrielle Landwirtschaft aufzufangen. Die Nachhaltigkeit solcher Lösungsansätze wird nicht problematisiert. Ein Blick in die Studie zeigt, dass die Forscher selbst die genannte Handlungsoption kritisch sehen. Sie fordern konkret zu Veränderungen in der breiten Fläche auf und warnen explizit: “While planting milkweeds in gardens of private citizens and publicly-held lands such as road right-of-ways may be the easiest locations to focus immediate conservation efforts given the limited supply of milkweed seeds, overall, these efforts may be insufficient to negate the ongoing annual loss of milkweed plants let alone address the massive habitat losses …” Wegen dieses nicht erläuterten Widerspruchs zur zitierten Studie werten wir knapp „nicht erfüllt”.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Beitrag bezieht sich klar auf den Lebensraum des amerikanischen Monarchfalters, der gut untersucht ist. Er nennt die Zusammenhänge zwischen Brutgebieten in Nordamerika und Überwinterungsgebieten in Mexiko. Es findet keine unzulässige Übertragung dieses Beispiels auf andere Regionen und Schmetterlingspopulationen/GMO statt.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag macht deutlich, dass es sich um ein langfristiges Problem handelt, das sich derzeit verschärft. Mit dem Experten-Zitat „1996 hatten wir schätzungsweise eine Milliarde Monarch-Schmetterlinge, im vergangenen Winter verzeichneten wir mit 30 Millionen Exemplaren den niedrigsten Stand der vergangenen 20 Jahre“ wird die Entwicklung über die Zeit umrissen. Auch die Abnahme der Seidenpflanzen wird zeitlich eingeordnet.

Der Beitrag macht allerdings keine Angaben dazu, wie stark die Populationen natürlicherweise schwanken. Hier wäre zum Beispiel eine Abbildung zur zeitlichen Entwicklung der Schmetterlingsbestände sehr hilfreich gewesen, wie sie in der Fachveröffentlichung und auch in der WWF-Untersuchung enthalten sind.

Die Studie modelliert außerdem die Bestandsentwicklung für 100 Jahre in die Zukunft und berechnet Aussterbewahrscheinlichkeiten. Darauf geht der Beitrag nicht ein
Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag geht nicht auf den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Kontext ein. Interessante Fragen wären z.B.: Gäbe es andere Herbizide, die Seidenpflanzen verschonen? Wie hoch ist gegebenenfalls der ökonomische Schaden für die Landwirte durch dieses „Unkraut”? Was würden Neuanpflanzungen von Seidenpflanzen kosten? Welche Flächen müssten unter Schutz gestellt werden? Welche Flächen müssten anders – z.B. ökologisch – bearbeitet werden, um Naturschutz und Ackerbau zu integrieren? Und was würde das ökonomisch bedeuten? Auch Fragen nach der weiteren ökologischen Bedeutung der Monarchfalter (z.B. als Beute für bestimmte Vogelarten, siehe hier) werden nicht angesprochen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Auch wenn das Monarchschwärmen in Europa nicht so bekannt ist wie in den USA, behandelt der Beitrag doch ein auch hier relevantes Thema, da es aufzeigt, wie komplex mitunter die Interaktion zwischen Mensch und Natur ist. Es handelt sich um ein seit längerem diskutiertes Thema, zu dem jetzt neue Studien vorliegen – insofern ein lohnender Anlass für die Berichterstattung. Auch stoßen Aspekte des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen allgemein auf recht großes Interesse in Deutschland.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Beitrag erklärt gut nachvollziehbar die verschiedenen Aspekte, die Ursachen für den Rückgang des Bestandes der Monarchfalter sein können. Er stellt den Schmetterling und seine  Wanderleistungen vor und weckt so beim Leser Interesse für diesen besonderen Falter.  Auch der Zusammenhang zwischen dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen und den Bestandsrückgängen bei den Monarchfaltern wird verständlich erklärt. Es wird hinreichend deutlich, dass die Forscher nicht die GMO an sich, sondern den damit einhergehenden Pestizideinsatz als Problem benennen.

An einigen Stellen hätte der Text noch klarer aufgebaut sein können, so wird beim zitierten Wissenschaftler Tyler Flockhart erst im nächsten Absatz klar, dass es sich um einen der Studienautoren handelt. Unschön finden wir auch einige Passivformulierungen („war überwiegend davon ausgegangen worden …“) und Schachtelsätze (z.B. „Die Studie von Ryan Norris und Tyler Flockhart von der Guelph-Universität, veröffentlicht im ‘Journal of Animal Ecology’, zeigt nun, dass der Verlust an Seidenpflanzen in Nordamerika, die wegen ihres milchigen Safts ‘milkweeds’ genannt werden, eine wesentlich größere Rolle bei der Zerstörung von Monarch-Beständen spielt.“).

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Einen Faktenfehler enthält der Beitrag bei der Angabe für den Rückgang der Seidenpflanzen um 21 Prozent. Als Bezugsjahr wird hier 1992 genannt, während es in der Studie heißt „Between 1995 and 2013, our model estimated that 1.49 billion individual milkweed plants were lost“.  Auch in der Pressemitteilung wird 1995 angegeben. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Wegen der gravierenden Mängel beim Kriterium 2 „Evidenz/ Belege“ werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar