Bewertet am 6. Mai 2014
Veröffentlicht von: Die Zeit

Das folgende Gutachten wurde 2014 im Rahmen eines Klima-Specials beim Mediendoktor UMWELT veröffentlicht. Weitere Informationen zum Klima-Special erhalten Sie hier.

Ein Beitrag in der ZEIT stellt kurz vor Veröffentlichung des dritten und letzten Teils des Weltklimaberichts die Frage, ob es noch gelingen kann, die Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Angesichts der weiter steigenden Emission von Treibhausgasen sei das nahezu unmöglich, suggeriert der Artikel. Ausreichende Belege für diese These liefert er nicht.

Zusammenfassung

Der Artikel befasst sich mit einem relevanten und selten so ausführlich behandelten Thema: der Diskrepanz zwischen der Emissionsreduzierung von Treibhausgasen, die notwendig wären, um die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, und dem tatsächlichen Ausstoß von Kohlendioxid. Er berichtet, wie sich die Emissionen in Deutschland entwickelt haben, verweist auf die steigenden Emissionen der Schwellenländer und hinterfragt, ob man angesichts dieser Entwicklung am Zwei-Grad-Ziel festhalten sollte. Die Alternative – welche Folgen wird es haben, wenn dieses Ziel aufgegeben oder verfehlt wird? – kommt dabei nicht zur Sprache.

Der Beitrag stellt das Zwei-Grad-Ziel in recht apodiktischer Weise als illusionär und nahezu unerreichbar dar; dass viele Klimaforscher das anders sehen, wie bei der Veröffentlichung des jüngsten IPCC-Berichts wieder deutlich wurde, fällt dabei unter den Tisch. Mit Argumenten, die seiner These widersprechen, setzt sich der Beitrag nicht auseinander.

Es werden viele interessante Zahlen und Fakten angeführt – u.a. auch in einer großen Infografik – ohne diese jedoch immer ausreichend zu belegen. Interessenkonflikte bei den angegebenen Quellen werden nicht genannt.

 

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Artikel beschäftigt sich nicht direkt mit den Auswirkungen des Klimawandels, sondern thematisiert das Missverhältnis zwischen den Klimaschutzzielen und den realen Emissionswerten.

Der Tenor des Beitrags ist dabei, dass das Zwei-Grad-Ziel illusionär und praktisch nicht zu erreichen sei („Jeder Versuch, daraus Empfehlungen abzuleiten, käme inzwischen dem Eingeständnis gleich, dass es schon zu spät ist.“)

Dabei changiert der Stil des Beitrags zwischen Bericht und Kommentar. So heißt es, die öffentliche Wahrnehmung des 4. IPCC-Sachstandsberichts sei ein „Spektakel“ gewesen, und es sei damals die „Katastrophe, Apokalypse“ an die Wand gemalt worden. Im weiteren Verlauf werden diejenigen, die die Realisierung des Zwei-Grad-Ziels für machbar halten, in herablassendem Tonfall als naiv hingestellt (siehe dazu allgemeinjournalistisches Kriterium 2).

Die Risiken, also die Frage, was geschieht, wenn es nicht gelingt, dieses Ziel zu erreichen, treten dabei in den Hintergrund. Das konsequente Ausblenden der Konsequenzen könnte man fast schon als Verharmlosung betrachten. Da die Problematik der zu hohen CO2-Emissionen aber insgesamt nicht verharmlost wird, werten wir noch „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Artikel bezieht sich auf frühere und aktuelle Veröffentlichungen zum Ausstoß von Treibhausgasen und weist auf das wichtige Problem hin, dass sich die Treibhausgasemissionen derzeit anders entwickeln, als es nötig wäre, um die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Es wird deutlich, dass den vielen Diskussionen und Ankündigungen bislang keine ausreichenden Taten gefolgt sind. Eine Grafik stellt gut verständlich die Emissionsentwicklung von Kohlendioxid in Deutschland von 1990 bis heute dar und zeigt, welche Verminderung des CO2-Ausstoßes erforderlich wäre, um das Ziel von minus 40 Prozent bis zum Jahr 2020 zu erreichen. Dabei wird jedoch nicht immer klar, auf welche Daten sich der Artikel bei einzelnen Aussagen bezieht. Insgesamt werden die Trends aber anschaulich und – soweit im Rahmen dieses Gutachtens überprüfbar – korrekt dargestellt.

Daher bewerten wir das Kriterium „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

So anschaulich und relevant die im Artikel benannten Emissionstrends sind, so unklar ist die Herkunft vieler Zahlen, Quellen werden z.T. nur vage beschrieben.

Der Klimaexperte Niklas Höhne wird als Mitautor einer Metastudie sowie des IPCC-Reports 2007 benannt, jedoch nicht dem Ecofys-Institut, einem Beratungsunternehmen für Erneuerbare Energien, Energie- & CO2-Effizienz, Energiesysteme & –märkte und Energie- & Klimapolitik, zugeordnet, wo er arbeitet. In der Printausgabe ist nicht erkennbar, auf welche Metastudie sich der Zeitungsbeitrag bezieht, in der Online-Version des Artikels ist diese allerdings verlinkt. Aus der Studie wird eine „in allgemein verständliche Sprache“ übersetzte Kette von Wenn-dann-Sätzen hergeleitet, die aufzeigen, was nötig wäre, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Die Darstellung ist laut dem Experten Höhne korrekt, beschreibt allerdings nur eine von mehreren in der Metastudie beschriebenen Möglichkeiten, das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen. Im Artikel wird die Schlussfolgerung gezogen, dass das Ziel illusorisch wäre, eine Auffassung, die Höhne indes nicht teilt (siehe Kriterium 4 Pro und Contra).

Für die zum Artikel gehörige Infografik werden als Quellen genannt: „AG Energiebilanzen, Hans-Joachim Ziesing/ Umweltbundesamt/ eigene Berechnungen“. Welche Daten hier jeweils gemeint sind, bleibt dabei offen. Die AG Energiebilanzen ist ein Verein, der vor allem von der deutschen Energiewirtschaft getragen wird, Mitglieder sind u.a. der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein, der Gesamtverband Steinkohle und der Verein der Kohleimporteure. Auf Interessenkonflikte, die mit dieser Quelle verbunden sein könnten, wird im Beitrag nicht hingewiesen.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag befasst sich mit dem unstrittigen Problem, dass eine große Lücke klafft zwischen den Emissionsreduzierungen, die notwendig wären, und den tatsächlichen Emissionstrends. Er nimmt dies zum Anlass, insgesamt in Frage zu stellen, ob das Zwei-Grad-Ziel noch erreichbar ist, und wie sinnvoll Empfehlungen des IPCC für die Politik sind. Mit Argumente, die dafür sprechen, dass sich die globale Erwärmung noch auf zwei Grad begrenzen ließe, setzt sich der Beitrag dagegen nicht auseinander.

So wichtig und berechtigt es ist, solche klimawissenschaftlichen und -politischen Vorgaben skeptisch zu hinterfragen, müsste doch auch deutlich werden, dass viele Klimaforscher diese Begrenzung nach wir vor für möglich halten. Auch im Emissions Gap Report 2013 des United Nations Environment Programme (UNEP), der die wachsenden Emissionen und verschiedene Zukunftsszenarien beschreibt, wird das Zwei-Grad-Ziel Ziel nicht aufgegeben. Stattdessen weist der Report darauf hin, dass vermehrte Anstrengungen zum Klimaschutz nötig seien, um diese Begrenzung einzuhalten, und dass die Maßnahmen teurer werden, wenn sie erst spät einsetzen („As it becomes less and less likely that the emissions gap will be closed by 2020, the world will have to rely on more difficult, costlier and riskier means after 2020 of keeping the global average temperature increase below 2° C.“ ). Auch der im Artikel angeführte Experte Niklas Höhne hat in einem früheren Beitrag in der „ZEIT“ deutlich der These widersprochen, dass das Zwei-Grad-Ziel nicht mehr erreichbar sei. Diese Auffassung erhält Höhne weiterhin aufrecht, wie eine Anfrage des Medien-Doktors ergab.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag bezieht sich auf keine einzelne Pressemitteilung, sondern zieht eine Fülle von Zahlen aus verschiedenen, wenn auch z.T. unklaren Quellen heran.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird klar, dass der Artikel sich auf einen aktuellen, zum Zeitpunkt als der Artikel erschien noch nicht veröffentlichten IPCC-Bericht und die darin enthaltenen Regulierungsvorschläge bezieht. Außerdem stützt sich der Beitrag auf eine Metastudie „die bereits im vergangenen Herbst publiziert worden ist“. Der IPCC-Report 2007 wird vergleichend erwähnt.

Wie alt oder neu die Kontroverse um das Zwei-Grad-Ziel ist, wird nicht erwähnt. Wir werten dennoch „erfüllt“.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag nennt einen Lösungshorizont – die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels. Dieses Ziel zu erreichen wird jedoch für nahezu unmöglich erklärt, ohne dies ausreichend zu begründen.

Auf Handlungsoptionen, mit denen diese Grenze möglicherweise doch eingehalten werden könnte, geht der Beitrag nicht ein. Dabei erfordern jährliche CO2-Emissionsreduzierungen von 3,6 oder 4 Prozent, wie sie der Artikel nennt, laut IPCC und UNEP zwar große Anstrengungen, liegen aber durchaus noch im Bereich des technisch und wirtschaftlich Machbaren. Der IPCC-Bericht aus dem Jahr 2007 und die aktuellen Berichte der Arbeitsgruppe 3 des IPCC, oder auch der Emissions Gap Report 2013 des United Nations Environment Programme (UNEP) stellen ausführlich technische Lösungen dar – die stärkere Förderung erneuerbarer Energien, zunehmende Energieeffizienz, Aufforstungen etc. – und benennen politische Handlungsoptionen, wie den Abbau von Subventionen für fossile Energieträger, den Ausbau des Emissionshandels etc..

Mit keiner dieser Optionen setzt sich der Artikel auseinander.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Artikel erwähnt sowohl die globale Entwicklung der Treibhausgasemissionen, die Zunahme der Emissionen gerade in Schwellenländern wie die konkreten Trends und Ziele in Deutschland. Im Beitrag wird klar, z.B. in Form von Wenn-Dann-Konstruktionen, dass es sich um ein globales Problem handelt, es aber in den reichen und armen Ländern unterschiedliche Entwicklungen gibt.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Es wird deutlich, dass es sich bei der Auseinandersetzung um Klimaschutzziele um ein seit langem diskutiertes Thema handelt. Dabei betont der Beitrag, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine wachsende Lücke klafft. Eine Infografik stellt die zeitliche Entwicklung der CO2-Emissionen seit 1990 sowie eine Projektion für die Zukunft dar.

Der Artikel hebt hervor, dass global betrachtet die Klimaschutzziele mit den bisher unternommenen Maßnahmen nicht erreicht werden können; auch national werde es sehr schwierig, die Emissionen von CO2 bis zum Jahr 2020 ausreichend zu reduzieren.

10. Der politische/wirtschaftliche/soziale/kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag stellt zwar die Entwicklung der CO2-Emissionen in einen politischen Kontext, so beispielsweise in der Infografik, die auch die wechselnden politischen Konstellationen in Deutschland einbezieht.

Die konkreten politischen und wirtschaftlichen Ursachen dafür, dass die Emissionsminderungsziele bislang nicht erreicht wurden, und warum dies auch für die Zukunft unwahrscheinlich sei, werden aber kaum angesprochen. So geht der Beitrag nicht darauf ein, welche Staaten (außer Deutschland) aus welchen Gründen ihren (Selbst)Verpflichtungen nicht nachkommen. Zwar nennt der Artikel die unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungs- und Schwellenländern, dass aber die Industrienationen ihren in Kyoto eingegangenen Verpflichtungen vielfach nicht nachkommen, bleibt unerwähnt.

Konkrete Kosten für den Umbau der Wirtschaft diskutiert der Beitrag nicht, sondern behauptet nur, die notwendigen Verringerungen, die beim CO2-Ausstoß notwendig wäre, entsprächen „einer sieben Jahre langen tiefen Rezession“. Dabei wird nicht erwähnt, dass Klimaschutzmaßnahmen auch wirtschaftlich positive Wirkungen haben können, oder mit welchen Folgekosten zu rechnen ist, wenn es nicht gelingt, den Klimawandel zu begrenzen.

Obwohl ansatzweise die politischen und wirtschaftlichen Dimensionen des Klimaschutzes angesprochen werden, halten die Umsetzung dieser Aspekte für insgesamt nicht gelungen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Mit dem Erscheinen kurz vor Veröffentlichung des dritten Teils des IPCC-Reports ist der Text aktuell. Wie angesichts bestehender Lücken bei der Emissionsminderung die Klimaschutzziele erreicht werden sollen, ist eine relevante Frage.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Text ist eingängig und verständlich geschrieben. Allerdings kommt er zu Beginn nicht direkt auf sein Thema zu sprechen, sondern widmet sich zunächst einem Nebenthema, nämlich der Diskussion, ob es sich bei den früheren und heutigen Berichten des IPCC um Empfehlungen handelt oder nicht. Tatsächlich hat der Klimarat sowohl 2007 als auch 2013 jeweils nur mögliche Szenarien und die damit einhergehenden Entwicklungspfade beschrieben. Der Gegensatz zwischen dem 4. und 5. IPCC-Report erscheint daher eher konstruiert, um dann auf die Behauptung hinzuführen, Empfehlungen seinen sowieso sinnlos, da eine „stärkere Erwärmung praktisch unvermeidlich“ sei.

Ob diese These vom kaum oder gar nicht mehr erreichbaren Zwei-Grad-Ziel haltbar ist oder nicht, können Leserinnen und Leser mangels nachvollziehbarer Quellenangaben dazu kaum ermessen.

Der Beitrag führt nicht Belege ins Feld, die zu dieser Schlussfolgerung führen, sondern erklärt eher apodiktisch eine Sichtweise zur einzig möglichen. Mit Formulierungen wie: „Ob all das möglich ist? Das muss glauben, wer auch nach der Veröffentlichung des fünften IPCC-Berichts noch am Zwei-Grad-Ziel festhalten möchte“ erhebt er sich in fast schon arroganter Weise über die Rezipienten und erklärt andere Einschätzungen quasi für naiv. Unabhängig davon, ob die These zutrifft oder nicht, halten wir dies nicht für eine gute journalistische Umsetzung.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar