Das folgende Gutachten wurde 2014 im Rahmen eines Klima-Specials beim Mediendoktor UMWELT veröffentlicht. Weitere Informationen zum Klima-Special erhalten Sie hier.
Spiegel-Online berichtet über die Versauerung der Weltmeere durch steigende Konzentrationen von Kohlendioxid, das durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre gelangt und von den Ozeanen aufgenommen wird. Dabei macht der Beitrag einerseits darauf aufmerksam, dass es sich hierbei um ein gravierendes Umweltproblem handelt, andererseits werden auch Unsicherheiten in der Forschung ausführlich dargestellt.
Zusammenfassung
Aus Anlass der Veröffentlichung von Teil II des IPCC-Sachstandsbericht befasst sich der Spiegel-Online-Beitrag mit einem wichtigen Teilaspekt des Klimawandels – der Versauerung der Ozeane. Das Thema wird außergewöhnlich umfangreich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Der Beitrag weist auf das noch unzureichende Verständnis dieses Phänomens, auf methodische Unsicherheiten, und auf widersprüchlich erscheinende Forschungsergebnisse hin. Dabei wird das Problem der Ozeanversauerung jedoch keineswegs bagatellisiert. Es kommen zahlreiche Wissenschaftler mit unterschiedlichen Einschätzungen zu Wort. Beispiele verdeutlichen, wie sich die Versauerung auf verschiedene Organismen auswirkt, warum einige profitieren, während andere Schaden nehmen. Etwas zu kurz kommen die sozialen und politischen Dimensionen des Themas.
Besonders positiv werten wir die Visualisierungen, die einzelne Punkte anschaulich erklären, sowie die zusätzlichen Texte und Links zu Originalpublikationen.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Der Text betrachtet das Problem der Ozeanversauerung sehr umfangreich und sachlich von verschiedenen Seiten – er verharmlost nicht, schürt aber auch keine Panik. Im Vorspann heißt es „Forscher sprechen von einem der größten Umweltprobleme der Welt“. Diese zugespitzte Aussage wird im weiteren Verlauf des Textes untermauert, zugleich macht der Beitrag deutlich, dass es bei den Prognosen dazu auch Unsicherheiten gibt.
2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Haupttext enthält relativ wenig Zahlen, was für die Lesbarkeit förderlich ist. Viele Aussagen werden durch Expertenaussagen belegt. Wer mehr über die Hintergründe der zitierten Studien und Zusammenhänge erfahren möchte, kann sich aber durch umfangreiche Links und Zusatzinfos umfassender informieren. Der verlinkte Text „Die steile These der UNO-Forscher“ beschäftigt sich ausführlich mit dem Problem, den pH-Wert der Meere in früheren Erdzeitaltern zu bestimmen, und geht dabei kritisch auf verschiedene Messmethoden ein.
Die begrenzte Aussagekraft von Laborstudien für die Verhältnisse im Freiland wird ebenfalls thematisiert („‚Uns fehlen die großen Studien im Meer‘, sagt Riebesell“).
Im Zusatztext „Alarmierende Entdeckungen“ sind die wichtigsten Probleme noch einmal zusammengefasst – mit direkten Links zu den Originalstudien. Auch wenn sich vermutlich nur wenige Leserinnen und Leser mit diesen englischen Texten befassen werden, wird doch hier die Möglichkeit angeboten, sich noch intensiver auch zur Methodik zu informieren.
3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Der Artikel zitiert sowohl den IPCC-Bericht (Teil II), als auch verschiedene Wissenschaftler mit Angabe der jeweiligen Universität bzw. des Instituts. Außerdem wird in einem der verlinkten Texte ein Bericht zur Ozeanversauerung herangezogen, den das International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP) 2013 vorgelegt hat. Im Text „Alarmierende Entdeckungen“ werden etlichen Originalstudien als Belege verlinkt.
Alle im Online-Beitrag zitierten Wissenschaftler gehören nicht zu den namentlich genannten Autoren des IPCC-Sachstandsberichts bzw. der Zusammenfassung für Entscheidungsträger. Es wäre interessant zu erfahren, ob ihre Forschung dennoch in den IPCC-Bericht eingeflossen ist – oder ob diese Wissenschaftler gar nicht am Bericht beteiligt waren. Auch wäre zu erwähnen gewesen, dass Ulf Riebesell vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung an dem im Beitrag erwähnten IGBP-Bericht mitgearbeitet hat.
Insgesamt wird ausreichend deutlich, auf welchen Quellen die Aussagen des Beitrags beruhen und wie diese einzuordnen sind.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Der Artikel beschäftigt sich ungewöhnlich ausführlich mit dem Ausmaß des Unwissens. Er verfällt nicht in den Fehler, eine möglichst glatte, widerspruchsfreie Geschichte erzählen zu wollen. Statt dessen werden unterschiedliche Ergebnisse referiert, z.B. Studien an Organismen, die unter der Versauerung leiden, aber auch Studien an Organismen, die von der Versauerung zunächst profitieren. Der Artikel hinterfragt Aussagen des IPCC-Berichts, z.B. die Feststellung, dass die Meere noch nie so schnell sauer geworden seien wie derzeit. Er nennt Argumente, die gegen diese „steile These“ sprechen, oder zeigen, wie schwer sie zu belegen ist. Doch wird das Problem damit nicht kleingeredet: „Auch wenn die derzeitige Entwicklung nicht einzigartig wäre, ist sie gefährlich.“ Der Artikel endet mit mehreren z.T. unterschiedlichen Einschätzungen von Wissenschaftlern und macht deutlich, dass die „Erforschung des vielleicht bedeutendsten Umweltproblems“ noch ganz am Anfang steht.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/das Pressematerial hinaus.
Pressemitteilungen spielen für den vorliegenden Artikel keine wichtige Rolle. Der Artikel konzentriert sich auf ein ganz spezielles Problem, die Versauerung der Ozeane, die in den Pressemeldungen zum IPCC-Bericht gar nicht erwähnt wird.
Es wurde mit weiteren Forschern gesprochen, die nicht am IPCC-Bericht beteiligt waren, auch wurden weitere Publikationen zu Rate gezogen.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
Der Artikel macht deutlich, dass die Ozeane „seit Beginn der Industrialisierung deutlich saurer“ geworden sind, und dass der IPCC-Sachstandsbericht dazu die neuesten Ergebnisse zusammenfasst. Außerdem informiert er darüber, dass das Thema „erst ‚seit kurzem‘“ überhaupt wissenschaftlich bearbeitet wird. Die verlinkten Originalarbeiten stammen aus den Jahren 2005 bis 2013.
7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Der Beitrag nennt keine Lösungshorizonte und Handlungsmöglichkeiten. Es wird klar, dass die Erforschung dieses Problems begonnen hat. Als Lösungsmöglichkeiten wären allenfalls die seit Jahren diskutierten und bekannten Klimaschutzstrategien zu nennen; evtl. noch Verfahren des Geoengineering.
Das würde allerdings das Thema und den Rahmen des anderweitig sehr ausführlichen Textes sprengen, deshalb wenden wir dieses Kriterium nicht an.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
Der Beitrag macht klar, dass es sich um ein globales Problem handelt, das die Ozeane in allen Weltregionen betrifft. Anhand von konkreten Beispielen wird auf einige regionale Besonderheiten eingegangen, so als Einstieg auf eine Begebenheit an der Westküste der USA (die leeren Netze der Austernfischer). Auch besonders betroffene Regionen wie die Polargebiete und die Korallenriffe werden erwähnt. Außerdem wird erklärt, dass in einigen Regionen (z.B. im Marianengraben) schon heute ein saures Milieu herrscht, in dem speziell angepasste Organismen existieren. Die Vielzahl der z.T. widersprüchlichen Ergebnisse macht deutlich, dass sich das regionale Puzzle derzeit erst zusammensetzt („Wie die Meereswelt auf die Versauerung reagieren werde, sei im Einzelnen ungewiss“).
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Der Beitrag macht klar, dass das Problem der Versauerung seit langem besteht und auch noch weiter andauern wird. Sowohl die Auswirkungen auf einzelne Organismen als auch eventuelle Spätfolgen für das Ökosystem werden angesprochen. Auch stellt der Beitrag die kritische Frage, wie aussagekräftig die Wissenschaftler-These zur zeitlichen Entwicklung ist („Nie zuvor in den vergangenen 300 Millionen Jahren seien die Meere vermutlich so schnell saurer geworden“), wenn erst seit 20 Jahren der pH-Wert der Ozeane gemessen wird.
Es wird außerdem deutlich, dass es nicht nur darauf ankommt, wie stark der pH-Wert sinkt, sondern auch darauf, wie schnell das geschieht („Der entscheidende Unterschied könnte sein, dass sich die Lebewesen während der Kreidezeit vermutlich auf die extreme Umwelt einstellen konnten. Heute versauerten die Meere wahrscheinlich schneller“).
Die den Text ergänzende Grafik „Die Versauerung der Ozeane“ zeigt sowohl die historische Entwicklung des pH-Wertes als auch zwei verschiedene Zukunftsszenarien.
Die zeitliche Dimension wird also in mehrfacher Hinsicht einbezogen.
10. Der politische/wirtschaftliche/soziale/kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Der Text legt den Focus klar auf die Wissenschaft, der Kontext wird nicht berücksichtigt. Zwar zeigt das Einstiegsbeispiel – die leeren Netze der Austernfischer – dass z.B. auch Fischer betroffen sind. Doch geht der Beitrag im weiteren Verlauf nicht mehr auf soziale oder wirtschaftliche Auswirkungen ein. Konkrete Zahlen dazu sind angesichts der unklaren Ergebnisse nicht zu erwarten, aber wenigstens der Hinweis darauf, dass Veränderungen der Meere auch gravierende Auswirkungen für den Menschen (Wirtschaft, Ernährung) haben, wäre angebracht gewesen. Wir werten „knapp nicht erfüllt“.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Der Beitrag beschäftigt sich mit einem aktuellen und relevanten Thema (Erkenntnissen aus dem IPCC-Bericht) und wählt einen eigenen und originellen Zugang. Damit wird ein Aspekt des Klimawandels vorgestellt, der sonst nicht im Zentrum der Berichterstattung über den IPCC-Bericht stand.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Die journalistische Darstellung ist gelungen, wenngleich der komplexe Sachverhalt auch aufmerksames Lesen erfordert. Der Text betrachtet das Thema aus verschiedenen Perspektiven, zeigt Unterschiede in der wissenschaftlichen Bewertung auf und bringt immer wieder konkrete Beispiele, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen.
Besonders positiv zu werten sind die zahlreichen Visualisierungen, die noch einmal einen anderen Zugang zum Thema schaffen. Mit zahlreichen Links zu vertiefenden Zusatztexten und zu Originalpublikationen werden die Möglichkeiten eines Online-Mediums sehr gut genutzt.
Lediglich ein sprachlicher Flüchtigkeitsfehler ist uns aufgefallen („Das Manko vieler Beobachtungen sei, dass es sich um Laborstudien stützten..“ – statt „handelt“)
Außerdem funktioniert die Verlinkung zum IPCC-Sachstandsbericht nicht – man landet stattdessen bei einer Fotostrecke.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Faktenfehler haben wir nicht festgestellt.