In einem ZEIT online-Beitrag wird über ein Ergebnis der Fusionsforschung berichtet: Erstmals sei es gelungen, für knapp eine Milliardstel Sekunde eine Kernfusion ablaufen zu lassen, bei der mehr Energie gewonnen wurde, als per Laserstrahlen hineingesteckt worden sei. Der Beitrag relativiert zwar den Erfolg, doch zentrale kontroverse Aspekte der Fusionsforschung werden nicht angesprochen.
Zusammenfassung
Der Artikel fasst die Ergebnisse einer im Wissenschaftsmagazin „Nature“ publizierten Forschungsarbeit zur Kernfusion zusammen. Er berichtet, dass ein wichtiger, wenn auch bescheidener Erfolg auf dem Weg zur Energiegewinnung aus Kernfusion erzielt wurde. Mit dem Hinweis auf die noch ausstehenden Probleme (es müsse eine „hundertfach bessere Leistung“ erreicht werden) wird die Erfolgsmeldung relativiert. Allerdings übernimmt der Beitrag damit nur die Ergebnisse und Einschätzungen der am Experiment beteiligten Forscher; andere Wissenschaftler, die die Ergebnisse einordnen, bestätigen oder kritisieren könnten, werden zu diesem Punkt nicht befragt. Auch fehlen konkrete Aussagen zu strittigen Themen wie Störfallsicherheit und Entsorgung.
Da es sich hier um extrem teure Forschungsvorhaben handelt, wäre es wichtig gewesen, Kostenaspekte zu thematisieren. Der politische Kontext wird nicht dargestellt, obwohl der große politische Druck, unter dem die Forscher stehen, in einem begleitenden Nature-Kommentar angesprochen wird. Auch dass es sich bei den Fusionsexperimenten um Studien mit einem vor allem militärischen Zweck – nämlich die Einsatzfähigkeit des US-Atomwaffenarsenals ohne Atombombenversuche aufrecht zu erhalten – handelt, wird nicht erwähnt, obwohl dieser Zusammenhang in der Pressemitteilung des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) noch ausdrücklich genannt wird.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Der Artikel berichtet nicht unmittelbar über ein Umweltproblem, sondern über eine Technologie, die darauf abzielt, das Energieproblem zu lösen: Er informiert über einen Fortschritt bei der Erforschung der Kernfusion. Erstmals konnte demnach bei einer Fusionsreaktion mehr Energie erzeugt werden, als in Form von gebündelten Laserstrahlen hineingesteckt wurde. Unmissverständlich macht der Artikel darauf aufmerksam, dass die experimentell gewonnene Energiemenge winzig war und der Erfolg keinesfalls ausreicht, um auf dieser Basis einen Kernfusionsreaktor zur Energieerzeugung zu bauen. So heißt es „Aus der Forschungsarbeit geht allerdings ebenfalls hervor, dass die überschüssige Energie extrem gering war und zuvor schon hohe Energieverluste bestanden.“ Der Beitrag selbst weckt somit keine übertriebenen Erwartungen, allerdings ist die Überschrift („Erstmals Energie nach Kernfusion übrig“) irreführend, denn der genannte Überschuss bezieht sich allein auf die Energie, die man in den Brennstoff reingesteckt hat, nicht aber auf den gesamten Prozessaufwand. Wir werten daher „knapp erfüllt“.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Artikel berichtet über eine aktuell im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichte Arbeit von Forschern des Lawrence Livermore National Laboratory in den USA und stellt die wesentlichen Ergebnisse des Experiments vor. Dabei wird zumindest in Umrissen klar, wie das Experiment abgelaufen ist. Allerdings sind einige Angaben recht allgemein: Die „überschüssige Energie“ sei „extrem gering“, es gäbe zuvor „hohe Energieverluste“, man brauche „extrem hohen Druck“. Hier hätte man sich einige genauere Zahlen gewünscht. Insgesamt werden die entscheidenden Angaben jedoch hinreichend deutlich: Man erfährt, wie schnell der ganze Ablauf wieder vorbei war („in weniger als einer Milliardstel Sekunde“), warum die erzielten Werte einen bedeutenden Schritt für die Forscher darstellen, und dass trotzdem die Energiebilanz noch sehr bescheiden ausfällt („so kam am Ende denn auch nur so viel heraus, wie in zwei AA-Batterien (höchstens 17.000 Joule) steckt“).
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Der Artikel nennt den Nature-Artikel als Quelle, zitiert den Hauptautor und erklärt, in wessen Auftrag (LLNL) die Versuche an der dort betriebenen National Ignition Facility (NIF) durchgeführt wurden. Es geht demnach um Grundlagenforschung an einer öffentlich finanzierten Forschungseinrichtung. Unerwähnt bleibt jedoch, dass LLNL und NIF unter erheblichem Druck durch den US-Kongress stehen, da das Ziel, bereits bis zum Jahr 2012 die „ignition“ (Zündung) für eine Kernfusion zu erreichen, nicht erreicht worden war. Diese Informationen sind einem Kommentar („News and Views“) zu entnehmen, der gleichzeitig mit den Forschungsergebnissen in „Nature“ erschien. Zudem besteht, wie die Pressemitteilung des LLNL deutlich macht, auch ein erhebliches militärisches Interesse an den Versuchen (siehe dazu Kriterium 10). Die am Experiment beteiligten Forscher stehen also unter einem hohen Erfolgsdruck; umso wichtiger wäre es gewesen, mehr über die Aussagekraft der Ergebnisse durch unbeteiligte Dritte zu erfahren (siehe dazu auch Kriterium 4). Da eine solche zweite Quelle zu diesem wichtigen Punkt fehlt, bewerten wir das Kriterium als „nicht erfüllt“.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Der Beitrag relativiert zwar die praktische Bedeutung des beschriebenen physikalischen Fortschritts, doch übernimmt er dabei nur die Angaben der Wissenschaftler, die das Experiment durchgeführt haben. Eine darüber hinausgehende Einordnung des Forschungsprojekts fehlt. Hier wäre eine Gegenüberstellung der beiden unterschiedlichen Fusionsverfahren interessant gewesen, nämlich des im Artikel beschriebenen Ansatzes der Trägheitsfusion einerseits und andererseits des magnetischen Plasmaeinschlusses, nach dem der International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) arbeiten soll. Auch eine kritische Bewertung der Fusion zur Energiegewinnung als solche unterbleibt. Der Aussage „Nach Ansicht vieler Physiker wäre die kontrollierte Kernfusion die ideale Art der Energiegewinnung“ wird keine kritische Stimme aus der Wissenschaft gegenübergestellt. (So läge es beispielsweise nahe, die Rolle der Kernfusion nach der „Energiewende“ zu beleuchten.) Die Einschätzung, dass „langfristig keine radioaktiven Abfälle“ entstünden, wird nicht hinterfragt, Sicherheitsprobleme der Kernfusion durch die enormen Drücke und Temperaturen spricht der Beitrag ebenfalls nicht an.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
Der Artikel geht in einigen Punkten über die Pressemitteilungen von „Nature“ und des Lawrence Livermore National Laboratory hinaus, beispielsweise mit Zitaten des leitenden Wissenschaftlers Omar Hurricane. Außerdem wird in einem Satz eine Schätzung des MPI für Plasmaphysik in Garching zur möglichen Energiegewinnung genannt, wenn auch ohne konkreten Bezug zur aktuellen US-Studie. Auch mit einer Infografik und einem Kasten zu den bisherigen Problemen der Kernfusion werden die Informationen aus der Pressemitteilung ergänzt (wobei die Grafik sich auch nicht auf das hier zur Diskussion stehende Verfahren bezieht). Eine unabhängige Einschätzung der Studie selbst fehlt. Da dies bereits unter Kriterium 3 bewertet wurde, werten wir hier noch „knapp erfüllt“.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
Der Beitrag beschreibt einen aktuellen wissenschaftlichen Fortschritt und stellt diesen in Relation zu früheren Versuchen. Er macht deutlich, dass seit den 1950er Jahren Wissenschaftler an der Kernfusion forschen, und dass es mit den aktuellen Experimenten erstmals gelungen ist, dabei mehr Energie freizusetzen, als für die Reaktion eingesetzt wurde. Es wird dargelegt, dass die Erfolge nicht mehr, aber auch nicht weniger seien, als ein wichtiger, aber bescheidener Anfang für weitere Versuche.
7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Der Beitrag beschäftigt sich mit einem neuen Experiment in der Grundlagenforschung zur Kernfusion, die eines Tages vielleicht einen Beitrag zur Energieerzeugung leisten kann. Insofern stellt sich hier nicht direkt die Frage nach aktuellen Handlungsoptionen oder Lösungen – abgesehen von der – wichtigen – Frage, ob die Forschungsergebnisse tatsächlich einen vorsichtigen Optimismus rechtfertigen und es nicht berechtigte Zweifel an der Fortführung der Kernfusionsforschung gibt. Diesen letzten Punkt haben wir allerdings bereits in Kriterium 4 kritisch betrachtet. Denkbar wäre hier, auf andere Lösungsmöglichkeiten des Energieproblems zu verweisen, doch halten wir das in einem solchen Bericht über ein Laborexperiment nicht für erforderlich. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
Da es sich um einen Artikel handelt, der sich mit einer aktuellen Veröffentlichung zu einem Experiment der Grundlagenphysik und grundsätzlichen, vor allem technischen Fragen zum Thema Kernfusion befasst, ist hier keine spezielle räumliche Zuordnung gefragt. Interessant wären zwar beispielsweise gewesen, in welchen Ländern an Fusionsreaktoren geforscht wird. Doch sind diese Informationen in einem solchen Beitrag nicht unbedingt zu erwarten. Wir wenden das Kriterium nicht an.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Es wird im Artikel zwar deutlich, dass es trotz der aktuellen Forschungserfolge „noch lange nicht“ für eine Stromgewinnung aus Kernfusion reicht. Doch fehlen dazu konkrete Informationen: Welche weiteren Hürden müssen die Forscher bis zu einer Kernfusion zur Stromerzeugung noch nehmen, in welchen Zeiträumen muss hier gedacht werden? Zwar wird im Artikel berichtet, dass seit mehr als 60 Jahren zur Kernfusion geforscht wird. Zu erwähnen gewesen wären hier die seit vielen Jahrzehnten wiederholten Ankündigungen, in dreißig oder vierzig Jahren sei mit funktionsfähigen Fusionskraftwerken zu rechnen. Spöttisch wird diese Frist auch als „Fusionskonstante“ bezeichnet (siehe hier).
Doch vor allem wäre es vor diesem Hintergrund erforderlich, die neuen Forschungsergebnisse daraufhin zu hinterfragen, ob sich damit die zeitlichen Prognosen zu Fusionskraftwerken ändern. Auch in Hinblick auf das Thema Radioaktivität / Strahlenmüll fehlt es an Informationen zur zeitlichen Dimension. Die Aussage, dass „langfristig keine radioaktiven Abfälle“ anfallen, hätte aus umweltjournalistischer Sicht präzisiert werden müssen. Was heißt langfristig? Wie sieht es mit strahlenden Reststoffen – beispielsweise durch Neutronenstrahlung belasteten Reaktorteilen – aus?
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Weder der politische noch der wirtschaftliche Kontext wird im Artikel dargestellt (siehe dazu auch Kriterium 3). Ebenso wenig kommen die gewaltigen Beträge zur Sprache, die international in den vergangenen Jahrzehnten und bis heute in die Fusionsforschung gesteckt wurden(z. B. für den ITER). Nicht einmal die konkreten Kosten für das hier beschriebene Experiment im LLNL werden genannt. Die seit Jahren heiß diskutierte Frage, ob die Kernfusion angesichts der Kosten für den Bau von Forschungsreaktoren ökonomisch überhaupt jemals sinnvoll sein wird, spricht der Beitrag nicht an.
Nicht erwähnt wird auch die Tatsache, dass es bei den Versuchen am NIF nicht primär um die Kernfusion zur Energiegewinnung geht, sondern vor allem darum, die Funktionsfähigkeit des US-amerikanischen Atomwaffenarsenals besser überprüfen zu können. Laut Presseerklärung des LLNL dienen die in „Nature“ veröffentlichten Fusionsstudien vorrangig dazu, zuverlässige Daten zu liefern, um das Verhalten von Materie bei einer Nuklearexplosion zu simulieren. Solche Computersimulationen ersetzen nach dem Ende von unterirdischen Atomwaffentests reale Explosionen. Im Beitrag fehlt jeder Hinweis auf diesen militärischen Kontext.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Die Aktualität ist durch die kurz zuvor erfolgte Publikation der Forschungsresultate gegeben. Das Thema einer (möglichst umweltverträglichen) Energieversorgung der Zukunft ist grundsätzlich relevant, in Deutschland seit der Energiewende umso mehr.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Der Artikel ist verständlich geschrieben, wenngleich der Einstieg etwas hölzern wirkt. Durch die Vergleiche, mit denen Zahlen eingeordnet werden, und die beiden informativen Kästen samt Grafik bekommt der Leser einen Überblick sowohl über die Grundlagen der Kernfusion als auch über die wesentlichen Ergebnisse der aktuellen Studie. Allerdings orientiert sich der Beitrag eng an der wissenschaftlichen Publikation. Wir werten „noch erfüllt“.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Bei den Fakten hat sich ein nicht unerheblicher Fehler eingeschlichen: Anders als behauptet, fallen auch bei der Energiegewinnung durch Kernfusion radioaktive Abfälle an. Zwar werden keine Brennstäbe wie in Atomkraftwerken eingesetzt, aber die Fusionsreaktoren bzw. das Containment werden erheblicher Neutronenstrahlung ausgesetzt und müssen eines Tages als radioaktiver Abfall entsorgt werden. Auch wenn die Mengen im Vergleich zu Atomkraftwerken geringer sein sollten, kann nicht behauptet werden, es falle langfristig kein radioaktiver Müll an.
Im Infokasten heißt es dann abweichend vom Beitragstext, es würde „weniger radioaktiver Abfall erzeugt“.
Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 8 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt
Der Beitrag erwähnt weder Kosten noch den politischen, insbesondere auch den militärischen Kontext (Kriterium 10). Da diese Aspekte für das Thema besonders wichtig sind, werten wir um einen Stern ab.