Bewertet am 7. März 2014
Veröffentlicht von: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Beitrag, der in einer Verlagsbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien, beschäftigt sich mit einem Energiespeichersystem, das in die Karosserie von Autos integriert werden soll. Es werde künftig die Autobatterie ersetzen können, heißt es. Der Text stimmt fast vollständig mit einer Pressemitteilung des an der Entwicklung beteiligten Autoherstellers überein.

Zusammenfassung

Mit der Entwicklung von elektrischen Speichern aus „Kohlefasermaterial, Nanostruktur-Batterien und Super-Kondensatoren“ im EU-Forschungsverbund „Storage“ greift der Beitrag ein interessantes technisches Thema auf. Die stabilen und formbaren Speicher sollen Karosserieteile in künftigen Hybrid- und Elektroautos ersetzen und gleichzeitig Strom liefern können. Allerdings versäumt es der Beitrag, die Angaben des Autoherstellers dazu kritisch zu hinterfragen. Die wenigen Sätze, die nicht der entsprechenden Pressemitteilung entnommen sind, stammen fast alle aus einem älteren Online-Artikel eines anderen Autors. Der Beitrag erweckt den Eindruck, als ob mit diesem System das Problem der Energiespeicherung in Elektroautos gelöst werden könne. Im Artikel fehlen jegliche technische Informationen und Erklärungen, um den tatsächlichen Stellenwert der Entwicklung beurteilen zu können. Insbesondere über die genaue Leistungsfähigkeit, Kosten und Umweltauswirkungen werden Leserinnen und Leser im Unklaren gelassen. Insgesamt gleicht der Artikel eher einem PR-Text als einem journalistischen Beitrag – dies ist auch in einer als redaktionelles Produkt gestalteten Verlagsbeilage nicht vertretbar.

Hinweis: Der Beitrag steht online nicht zur Verfügung. Er entspricht weitgehend dieser Pressemitteilung. Die darüber hinausgehenden Sätze sind bei Kriterium 5 zitiert.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Beitrag stellt ein neues Energiespeicher-Konzept für Hybrid-Fahrzeuge unkritisch als revolutionären Fortschritt dar. Mit Formulierungen wie „Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein“ oder „ein Energiespeicherkonzept für elektrifizierte Fahrzeuge […], das den Markt revolutionieren könnte“ suggeriert der Text einen technologischen Durchbruch. Erst im letzten Satz erfährt man, dass es noch „etwa zehn Jahre“ dauern werde, bis das Konzept marktreif sei. Ansonsten erweckt der Text den Eindruck, dass hier eine Lösung aller Speicherprobleme von Elektrofahrzeugen gefunden sei. Andere an der Entwicklung beteiligte Forschungsinstitute haben weitaus zurückhaltendere Einschätzungen veröffentlicht, wie beispielsweise das am betreffenden Forschungsverbund „Storage“ beteiligte Bundesamt für Materialforschung (BAM) (Link nicht mehr verfügbar). Dort heißt es beispielsweise: „Das neue Material befindet sich in der Motorabdeckung und im Kofferraumdeckel und ergänzt die Autobatterie“. Der Zeitungsartikel suggeriert dagegen, die Batterie sei durch das neue Speichermaterial völlig zu ersetzen. Der Text verschleiert, dass das vorgestellte Konzept bis jetzt nicht annähernd das Problem der großen und schweren Batterien reiner Elektroautos lösen kann.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag beruht fast ausschließlich auf Informationen des Herstellers Volvo. Wohl deshalb kommen Zweifel und Fragen, die es zu dem Verfahren weiterhin gibt, nicht vor. Es fehlen alle technischen Angaben, die eine Einordnung ermöglicht hätten: Der Text nennt weder die Speicherkapazität der neuen energiespeichernden Bauteile, noch vergleicht er die Kapazität mit den heute in konventionellen Kraftfahrzeugen oder Elektroautos eingesetzten Akkus. Leserinnen und Leser haben deshalb keine Möglichkeit, das Ausmaß des technischen Fortschritts zu beurteilen. Stattdessen operiert der Text mit unklaren Aussagen, wie: „Die Kofferraumklappe hat das Potential, die Batterien heutiger Fahrzeuge als Standard-Energiespeicher abzulösen.“ Aber was ist mit „heutigen Fahrzeugen“ gemeint? Der als Beispiel genannte Volvo S80, der hier umgerüstet wurde, nutzt seine Batterien nur für die Start-Stopp-Automatik und die Bordelektronik. Die beiden hier eingebauten Batterien haben entsprechend nur eine Kapazität von zusammen 80 Amperestunden (Ah) bzw. 0,96 Kilowattstunden (kWh) (laut „Owner‘s Manual“, Link nicht mehr verfügbar) Zum Vergleich: Ein heutiges reines Elektroauto wie der Nissan Leaf hat eine Batterie mit einer Kapazität von 24 kWh und einen nominellen Stromverbrauch von 15 kWh auf 100 Kilometer. Zentrale Fachbegriffe wie „Super-Kondensator“ oder „Nanostruktur-Batterie“ werden nicht erklärt.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Text erweckt zunächst den Anschein, als habe die Firma Volvo das Material allein erfunden. Erst im weiteren Verlauf wird darauf hingewiesen, dass das Versuchsfahrzeug, das Volvo gebaut hat, am Ende des mehrjährigen europäischen Forschungsprojektes Storage steht. Die Finanzierung durch die Europäische Union wird erwähnt, außerdem die Beteiligung von „neun weiteren europäischen Firmen und Instituten“. Neben dem Autobauer wird jedoch keiner der beteiligten Partner namentlich genannt. Zu diesen gehören federführend das Imperial College London, das BAM und die schwedische technische Universität Chalmers, das schwedische Materialforschungsinstitut Swerea/Sicomp, das schwedische Batterieforschungszentrum ETC sowie etliche weitere Unternehmen. Auch wenn sicher nicht alle aufgeführt werden müssen, hätte es nahegelegen, zumindest das federführende Institut und den deutschen Partner BAM im Verbund nicht nur zu nennen, sondern dort auch zu recherchieren. Der Text beruht jedoch inhaltlich nur auf Angaben von Volvo (siehe Kriterium 5). Nur einer der beteiligten Forscher kommt zu Wort, und auch dessen Zitate scheinen nicht aus einem tatsächlich geführten Gespräch zu stammen.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag stellt ausschließlich die Vorteile des neu entwickelten Speicherkonzepts heraus. Hervorgehoben wird das geringe Gewicht gegenüber herkömmlichen Batterien. Wichtige andere Aspekte wie Umweltverträglichkeit und Unfallsicherheit spricht der Beitrag nicht an. So wird beispielsweise die vom BAM aufgeworfene Frage nicht diskutiert, was passiert, wenn die Batterie in der Karosserie eines Elektrofahrzeugs bei einem Unfall beschädigt wird.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Text ist nahezu eine 1:1-Übernahme der Pressemitteilung von Volvo. Hinzugefügt wurden ein kurzer Vorspann und der erste Satz („Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Volvo hat mit Partnern ein Material entwickelt, das nicht nur Strom in E-Autos speichern, sondern sogar Karosserieteile ersetzen und Gewicht sparen soll. Steckt beim Elektroauto die Batterie bald in statt unter der Haube?“) Diese Textteile wiederum sind offenbar aus einem schon einige Monate älteren Online-Artikel eines anderen Autors übernommen, der am 18.10.2013 auf der der Webseite autobild.de veröffentlicht wurde. Da diese Quelle nicht genannt wird, drängt sich für diese Passagen der Verdacht eines Plagiats auf. Außerdem wurde ein Schlusssatz ergänzt, der sich aber ebenfalls auf eine Angabe von Volvo bezieht („Bis das E-Mobil mit der revolutionären Speichertechnik jedoch Marktreife erreicht, werden – so Volvo – noch etwa zehn Jahre vergehen.“)

Der restliche Text, d.h. fast 90 Prozent des Beitrags, ist eine Übernahme der Pressemitteilung. Der Autor legt dabei lediglich einzelne Sätze aus der Pressemitteilung dem Volvo-Entwickler Per-Ivar Sellergren in den Mund. Die Pressemitteilung selbst enthält keine Zitate, Sellergren kommt dort nicht vor. Es ist daher zu vermuten, dass nicht mit dem zitierten Experten gesprochen, sondern allenfalls die Erlaubnis eingeholt wurde, ihm Formulierungen der Pressemitteilung als Zitate zuzuschreiben. Dabei hätte ein reales Gespräch mit Sellergren durchaus interessante Informationen liefern können, wie dieses Interview auf der Webseite grueneautos.com zeigt.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Im Beitrag ist allgemein von einem „neuen Speicherkonzept“ die Rede. Es geht aus dem Text hervor, dass die Idee, Teile der Karosserie eines Fahrzeugs zur Batterie zu machen, neu ist und das Problem des Gewichts und der langen Ladezeiten konventioneller Batterien lösen soll. Doch wird nicht klar, wann dieses Konzept erstmals vorgestellt wurde. Tatsächlich stammt die Pressemitteilung aus dem Oktober 2013, ist also zum Zeitpunkt der Publikation des hier begutachteten Beitrags fast vier Monate alt. Ob es sich um den ersten formbaren Energiespeicher handelt, oder ob schon früher an vergleichbaren Materialien geforscht wurde, wird nicht berichtet.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Das Fahrzeugkonzept an sich ist ein Lösungsversuch für das Problem, Elektroautos zu konkurrenzfähigen Fahrzeugen im Vergleich mit herkömmlichen Autos zu machen. Der Text gibt jedoch keine Auskunft über die weiteren Forschung- und Entwicklungsschritte, die nötig sind, um die noch unzureichende Speicherkapazität zu erhöhen, Kosten zu senken und eine Großserienfertigung möglich zu machen. Welche Probleme in den „noch etwa zehn Jahren“ bis zur Marktreife gelöst werden müssen, erläutert der Beitrag nicht. Es entsteht vielmehr der irreführende Eindruck, das Konzept sei prinzipiell bereits für heutige Elektrofahrzeuge geeignet (siehe dazu Kriterium 2 „Belege/ Evidenz“). Es wird auch nicht berichtet, welche anderen Ansätze es gibt, das Speicherproblem von Elektroautos zu lösen.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Es wird klar, dass das Projekt mit EU-Mitteln gefördert worden ist. Ansonsten fehlen alle räumlichen Angaben. So wäre es interessant gewesen zu erfahren, welche Länder führend in der Entwicklung von E-Auto-Batterien sind, und wo derzeit die Hauptabsatzgebiete für Elektrofahrzeuge sind. Da solche Angaben aber bei einem Bericht über ein technisches Konzept, das theoretisch überall einsetzbar wäre, nicht unbedingt zu erwarten sind, wenden wir dieses Kriterium hier nicht an.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag nennt die Dauer des Forschungsprojektes (3,5 Jahre). Ansonsten fehlen nachvollziehbare zeitliche Angaben. Die am Ende des Artikels genannte Zeit von 10 Jahren bis zur Serienreife steht wohl eher floskelhaft für „es wird noch dauern“. Man denke zum Vergleich an das Auto mit Brennstoffzelle, dessen Serienproduktion schon seit rund 20 Jahren als „in 4 bis 5 Jahren“ angegeben wird (z.B. hier).

Auf Fragen der Nachhaltigkeit des neuen Speicherkonzepts geht der Beitrag nicht ein. Zwar spricht er von einem „umweltverträglichen Energiespeicher“ und einer „positiven Wirkung auf die gesamte Umweltbilanz des Fahrzeugs“, bleibt aber konkrete Betrachtungen über die Lebensdauer der technischen Bauteile schuldig; Energieeinsatz und Emissionen bei der Herstellung werden ebenso wenig erläutert wie die Umstände der Entsorgung.

Der Beitrag erwähnt ferner nicht, wie lange Elektroautos schon entwickelt werden, ob und wie sich die Batterieleistungen und -gewichte verändert haben. Auch fehlt eine Einordnung, wie viele (konventionelle) Elektroautos es mittlerweile schon weltweit gibt, und wie schnell sich diese durchsetzen. Da somit nicht einmal exemplarisch relevante zeitliche Dimensionen ausgeführt werden, werten wir „nicht erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Das Forschungsprojekt ist in einem Stadium, in dem die Kosten einer Serienfertigung, die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen noch nicht überschaubar sind. Trotzdem folgt der Beitrag der Volvo-Einschätzung, dass das Fahrzeugkonzept die Umwelt insgesamt entlaste, und „Vorteile bei (…) der Kosteneffizienz“ biete. Für beide Vermutungen bleibt er aber die Belege oder auch nur Anhaltspunkte schuldig.

Neue Technologien haben es in der Automobilindustrie unter anderem deswegen schwer, weil die Unternehmen im weltweiten harten Wettbewerb stehen, der stark über den Preis geführt wird. Umso unbefriedigender ist es, dass der Beitrag keine Angaben über die derzeitigen Kosten des neuen Systems macht. Etliche Hersteller haben in der Vergangenheit schon mit konventionellen Bauteilen aus Kohlefaser experimentiert. Bis auf wenige Ausnahmen konnte sich das Material wegen seiner aufwändigen und kostspieligen Fertigung nicht durchsetzen. Umso skeptischer sollte ein journalistischer Beitrag die Wirtschaftlichkeit dieses neues Speicherkonzeptes analysieren.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Elektroautos und deren schwere, teure Batterien sind ein aktuelles Thema, wenn hier auch eine schon etwas ältere Pressemitteilung aufgegriffen wurde. Originelle Forschungsansätze auf diesem Gebiet sind für technikinteressierten Leserinnen und Leser interessant. Ein Indiz für die Relevanz des Themas ist auch die EU-Förderung. Auch wurde immerhin die Projektphase erreicht, in der es etwas Sichtbares (einen Auto-Prototyp) zu sehen gibt.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Text ist zwar verständlich, aber tiefergehende Erklärungen fehlen. Er kommt (wenngleich in einer Verlagsbeilage) als journalistischer Beitrag daher, dabei fehlt ihm alles, was einen solchen Beitrag ausmacht: kritische Distanz, Recherche, ein Erkenntnisinteresse, das über den Inhalt einer Presseerklärung hinausreicht. Die geringen Textanteile, die nicht der Pressemitteilung und Herstellerangaben entnommen sind, stammen aus dem Text eines anderen Autors. Eine eigenständige journalistische Leistung ist nicht zu erkennen.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Im Beitrag wird nicht ganz deutlich, ob die beiden genannten Bauteile (Kofferraumklappe und Motorabdeckung) in ein und demselben Prototyp verbaut wurden oder nicht.

Der Vergleich mit der Pressemitteilung von Volvo legt nahe, dass einzelne Sätze als Zitate des Entwicklers Per-Ivar Sellergren angegeben sind, die dieser so nicht geäußert hat (siehe dazu Kriterium 5) . Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass diese Sätze im Nachhinein als Zitate autorisiert wurden. Von diesen Unklarheiten abgesehen sind uns keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 0 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar