Bewertet am 17. Dezember 2013
Veröffentlicht von: Die Welt

Von Problemen bei der Entsiegelung vieler Industriebrachen bis zum Klimaschutz schildert der Beitrag, der im Nachgang zur „Global Soil Week“ in der Tagezeitung „Die Welt“ erschien, zahlreiche Aspekten des Themas „Bodenverluste“. Dabei werden allerdings gesellschaftliche und ökonomische Fragen ausgeblendet.

Zusammenfassung

Der Artikel befasst sich mit der wichtigen Problematik der Bodenverluste. Es wird erläutert, dass sowohl in Deutschland als auch weltweit täglich große Flächen fruchtbarer Böden verloren gehen. Während in Industrieländern vor allem die Versiegelung als Problem beschrieben wird, haben andere Länder mit Wüstenbildung und Erosion zu kämpfen. Die Situation hierzulande einerseits und die globalen Probleme andererseits werden dargestellt. Es kommen mehrere Experten zu Wort, außerdem werden aktuelle Fachveröffentlichungen zu weiteren Aspekten des Themas herangezogen. Dabei gelingt es jedoch nicht, die Vielzahl der Unterthemen zu einer zusammenhängenden Geschichte zusammenzubringen. Viele genannte Fakten werden nicht ausreichend belegt. Letztlich ist der Beitrag inhaltlich überfrachtet; er spricht zu vieles an, ohne Leserinnen und Lesern wesentliche Erkenntnisse zu bieten, da die einzelnen Punkte kaum vertieft werden.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Verlust von Boden ist weltweit ein großes Problem. Es wird im Text angemessen beschrieben, ohne zu übertreiben oder zu verharmlosen. Formulierungen wie: „Die Versiegelung gehört in weiten Teilen Europas zu den dringlichsten Bodenproblemen“, werden der Situation gerecht. Allerdings wird eine große Zahl von Unterthemen des Themas „Boden“ angesprochen, ohne diese jeweils ausreichend zu erklären (siehe dazu journalistisches Kriterium 2). Doch benennt der Beitrag die Fakten insgesamt sachlich.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag nennt viele Zahlen und Fakten zum Verlust intakter Böden. Allerdings wird nicht klar, wie diese Daten ermittelt wurden, ob es sich um Schätzungen oder Messungen handelt, und wie genau die Angaben sind. Es bleibt beispielsweise offen, wie die Zahl von 75 Hektar, die laut Artikel täglich in Deutschland verloren gehen, zustande kommt. Der Indikatorenbericht zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (S. 14-15) nennt für das Jahr 2012 zwei Zahlen: 87 Hektar am Tag im Vierjahresschnitt und 77 Hektar pro Tag für das Jahr 2012. In aktuellen Texten des Umweltbundesamtes ist von 69 Hektar am Tag die Rede, die pro Tag in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt werden. Damit stimmt offenbar die im Artikel genannte Größenordnung mit diesen Angaben überein, doch wäre es angemessen gewesen, auf Unterschiede in verschiedenen Quellen hinzuweisen, und kurz zu erläutern, wie solche Werte bestimmt werden. Ähnliches gilt für Angaben wie: „Derzeit gehen pro Jahr 20 Milliarden Tonnen Boden verloren“, oder „Allein durch Versiegelung verloren 19 EU-Mitgliedsstaaten zwischen 1990 und 2006 eine Fläche, die mehr als sechs Millionen Tonnen Weizen liefern könnte.“

Lediglich für die von Wissenschaftlern der University of Colorado in Boulder berichteten Ergebnisse zu Mikroorganismen im Boden in wird die Methodik kurz angesprochen „Sie nahmen mehr als 30 Proben von unterschiedlichen bislang ungenutzten Flächen.“

Auch durch die Vermengung ganz unterschiedlicher Themen wird es für Leserinnen und Leser schwierig die Aussagekraft der berichteten Fakten einzuschätzen. So könnte der Eindruck entstehen, als hänge das Thema Bioenergie unmittelbar mit dem Thema Versiegelung und Erosion zusammen. Die Tatsache, dass Bioenergie landwirtschaftliche Flächen in Anspruch nimmt, hat aber nichts mit der dauerhaften ökologischen Entwertung von Böden durch Beton und Asphalt zu tun. Der bestehende Zusammenhang mit Bodendegradation und Erosion wird nicht erklärt.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die Quellen sind überwiegend transparent gemacht. Erläuterungen zum Umweltbundesamt sind nicht erforderlich, eine kurze Einordnung des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam wäre aber gut gewesen. Klaus Töpfer wird im Text nur als IASS-Direktor eingeführt, im Kontext des Themas wäre vielleicht auch seine frühere Tätigkeit als Chef des UN-Umweltprogramms Unep interessant gewesen.

Nicht immer sind die Zahlenangaben klar den Quellen zugeordnet (siehe auch Kriterium 2). Interessenkonflikte spricht der Beitrag nicht an, sie sind nach unserer Kurzrecherche aber auch nicht gegeben. Wir werten noch „erfüllt“.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Kontroverse Standpunkte werden nicht dargestellt. Es entsteht der Eindruck, dass eigentlich niemand für den Bodenverlust ist. Warum Versiegelung, Kontamination, Erosion, Überdüngung usw. dennoch voranschreiten, spricht der Text nicht an. Für die Vielzahl der erwähnten Aspekte die jeweiligen Interessenkonflikte umfassend zu erläutern, erscheint zwar auch im Rahmen eines solchen längeren Artikels kaum möglich. Aber zumindest zu einzelnen Fragen hätten die widerstreitenden Interessen angesprochen werden können. (Warum z.B. wurden die in den Plänen der Bundesregierung genannten Ziele nicht erreicht? Welche Interessen und Aktivitäten haben das verhindert?). Da solche Konflikte nicht einmal exemplarisch angesprochen werden, werten wir „nicht erfüllt“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Einige Informationen entstammen offenbar einer Veranstaltung in Berlin (Global Soil Week), zu der eine Pressemitteilung vorliegt. Darüberhinaus wurden mindestens drei Experten kontaktiert (Töpfer, Schloter, Glante) und außerdem zwei aktuell publizierte Studien einbezogen.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag nimmt die Global Soil Week zum Anlass, über einen dort angestoßenen Diskussionsprozess über Bodenschutzziele und mögliche Strategien dahin zu berichten. Jedoch wird in dem umfangreichen Beitrag nicht deutlich, dass diese Problematik bereits seit Jahrzehnten  – bisher weitgehend erfolglos – diskutiert wird. Nicht vorinformierte Leserinnen und Leser könnten den falschen Eindruck gewinnen, dass es sich um ein neu aufgetretenes oder bisher unbemerktes Geschehen handelt.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Lösungshorizonte werden nur unzureichend angedeutet. So wird die von Klaus Töpfer angestoßene Diskussion über Bodenschutzziele erwähnt, inhaltlich aber nicht ausgeführt. Ferner heißt es: „Für jede Erschließung neuen Landes sollten anderswo betonierte Flächen entsiegelt werden“. Wie dies umgesetzt werden könnte, hinterfragt der Beitrag nicht. Dabei wird eine Vielzahl von Optionen längst diskutiert, etwa der Einsatz von handelbaren Flächenzertifikaten, analog dem Emissionshandel (wie auch vom UBA derzeit in einem Feldversuch getestet), oder eine Versiegelungsabgabe.

Lösungen für das Problem der Bodennutzung in der intensiven Landwirtschaft werden so widersprüchlich dargestellt, dass es für Leserinnen und Leser eher verwirrend ist: Einerseits sollen Pflanzen entwickelt werden, „die besonders tief wurzeln und Nährstoffe und Wasser aus dem Unterboden ziehen“, damit sie in der Konkurrenz um Nährstoffe gegen die Bodenorganismen besser bestehen (Schloter). Andererseits heißt es: „Wenn man Böden über einen zu langen Zeitraum intensiv bepflanzt, werden die Bakterien zerstört, die die organische Masse in Nährstoffe umwandeln.“ (Scholes). Dieser zumindest scheinbare Widerspruch wird im Text nicht aufgelöst.

Mehrfach ist von der Kontamination von Böden die Rede, ohne das klar wird, welche Verunreinigungen gemeint sind, und welche Verfahren es gibt, um belastete Böden zu sanieren.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Text beginnt mit den spezifisch deutschen Boden-Problemen und macht dann im weiteren Verlauf die globale Dimension deutlich, u.a. mit Angaben zur Bodenversiegelung in der EU und zum weltweiten Bodenverlust. Herangezogen werden außerdem wissenschaftliche Arbeiten aus Südafrika und den USA. Damit ist dieses Kriterium sehr gut erfüllt.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Die zeitliche Entwicklung steht nicht im Zentrum des Beitrags, wird aber zumindest punktuell angesprochen. So heißt es „Der Flächenverbrauch ist hierzulande zwar seit Mitte der 90er-Jahre gesunken, liegt aber mit 75 Hektar immer noch doppelt so hoch wie in den Plänen der Bundesregierung vorgesehen. 2020 sollen demnach täglich noch 30 Hektar neue Flächen in Anspruch genommen werden.“ Ferner wird berichtet, wie lange es dauert, bis sich neuer Boden bildet.
Problematisch ist aus unserer Sicht die Angabe „Statistisch betrachtet hat sich die landwirtschaftliche Nutzfläche, die jedem Menschen zur Verfügung steht, seit 1960 mehr als halbiert, auf 0,22 Hektar.“ Dies suggeriert im Kontext des Artikels, die Abnahme sei allein durch Bodenverluste verursacht, ohne anzusprechen, dass in diesem Zeitraum die Weltbevölkerung erheblich gewachsen ist. Wir werten „noch erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Aussagen zu den ökonomischen und sozialen Ursachen und Folgen des Bodenverlustes fehlen völlig. Der Beitrag spricht nicht an, warum so viel gebaut und versiegelt wird (z.B. Zunahme der Wohnfläche pro Kopf, mehr Verkehrsflächen durch zunehmende Mobilität, mehr Handels- und Logistikflächen). Auch gibt es umgekehrt keine Aussagen darüber, welche wirtschaftlichen Verluste durch nicht nachhaltige Landwirtschaft und nicht nachhaltiges Bodenmanagement entstehen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Der Text ist zwar nicht unmittelbar zur zweiten Global Soil Week in Berlin (Oktober 2013) erschienen, nimmt aber Bezug auf die Konferenz. Das Thema ist zudem dauerhaft aktuell und relevant (z.B. Ernährungssicherung, Speicherfunktion von Böden für Treibhausgase).

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Text ist sprachlich verständlich und verzichtet weitgehend auf Fachvokabular. Mit Ausnahme der beiden letzten Absätze ist der Aufbau des Beitrags nachvollziehbar. Allerdings gelingt es angesichts der vielen angesprochenen Facetten des Themas „Boden“ nicht, diese ausreichend zu erklären und einzuordnen. Gar zu viele interessante Fragen werden nur kurz angerissen, bevor der Beitrag dann ohne weitere Vertiefung zum nächsten Punkt übergeht. Das Thema Kontamination beispielsweise wird mehrfach erwähnt, ohne dass dazu Informationen folgen würden. Ein inhaltlicher Wiederspruch bleibt ohne Auflösung (siehe Kriterium 7).

Nachdem schon von Versiegelung, Erosion, Kontamination, Bodenbildung, intensiver Landwirtschaft und der Mikrobiologie der Böden die Rede war, folgen schließlich noch Konkurrenz zwischen Energiepflanzenanbau und Ernährung, das Spezialthema der Bewirtschaftung von Niedermoorböden und schließlich Bodenschutz als Instrument der Klimapolitik.

Am Ende entsteht der Eindruck, der Text enthalte „alles, was ich schon immer mal zum Thema Boden sagen wollte.“ Es wäre hier für Leserinnen und Leser interessanter und informativer gewesen, wenn der Text sich auf einige Aspekte beschränkt und diese vertieft hätte.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar