Foto: Volker Rachold, Alfred-Wegener-Institut
Zusammenfassung
Der Beitrag greift mit dem Auftauen der Permafrostböden und der beschleunigten Erosion an der Küste Sibiriens ein interessantes Thema aus der Klimaforschung auf, über das noch vergleichsweise wenig berichtet wurde. Es wird geschildert, dass die wärmeren Sommer im hohen Norden dazu führen, dass die Böden auftauen und das Meer länger eisfrei ist. Beides zusammen bewirkt, dass die Küsten unterspült werden und immer mehr Land verloren geht. Der Text folgt im Wesentlichen einer Pressemitteilung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI). Die Aussagekraft der gemessenen Daten wird dabei nicht immer deutlich, auch der Zeitraum, auf den sich die Angaben beziehen, bleibt zum Teil unklar. Der Beitrag berücksichtigt keine zweite Quelle, die die Aussagen und Messergebnisse einordnen oder beispielsweise deren wirtschaftliche Auswirkungen erläutern könnte.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Beitrag übernimmt eine Reihe von Zahlen und Fakten aus der Pressemitteilung. Doch wird deren Aussagekraft nicht immer deutlich, und der Beitrag enthält etliche Ungenauigkeiten. Eindeutig falsch ist etwa der Satz: „Bis heute hat die Inseloberfläche bereits 34 Prozent ihre Volumens verloren“ – denn die Oberfläche kann nur an Fläche verlieren, und dieser Flächenverlust wird früher im Text mit 24 Prozent angegeben.
Zu anderen wichtigen Zahlen, die der Beitrag aus der Pressemitteilung entnommen hat, wären Nachfragen hilfreich gewesen. Beispielsweise heißt es im Text, im untersuchten Zeitraum sei die Null-Grad-Marke durchschnittlich an 110 Tagen im Jahr überschritten worden, „2010 und 2011 gab es dagegen bereits 127 solcher warmen Tage, 2012 waren es sogar 134.“ Um diese Zahlen einordnen zu können, müsste Leserinnen und Leser wissen, wie groß in den voraufgehenden Jahre die Schwankungsbreite war, und wie häufig es so warme Sommer in der Vergangenheit evtl. schon gegeben hat.
Zu einigen Zahlenangaben fehlt außerdem der zeitliche Bezugsrahmen, so dass deren Aussagekraft beträchtlich eingeschränkt ist (siehe dazu Kriterium 9).
3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Es wird deutlich, dass die beiden zitierten Forscher am Alfred-Wegener-Institut (AWI) arbeiten, auch ihre Fachgebiete sind genannt. Quelle ist fast ausschließlich die AWI-Pressemitteilung, der auch die meisten Zitate entnommen sind. Die zugrunde liegenden aktuellen Fachpublikationen (hier und hier) werden dagegen nicht erwähnt, und soweit feststellbar für die Recherche auch nicht genutzt. Es fehlt jeder Hinweis darauf, dass das AWI seit Jahren in der Lena-Region forscht, und eine Einordnung der aktuellen Forschungsergebnisse in diesen Kontext. Auch dass die Arbeiten im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Vorhabens PROGRESS (Potsdam Research Cluster for Georisk Analysis, Environmental Change and Sustainability) durchgeführt wurden, wird nicht erwähnt. Vor allem aber zieht der Beitrag keine zweite Quelle heran, die die vorgestellten Ergebnisse bewerten, bestätigen oder relativieren könnte. Daher werten wir „nicht erfüllt“.
4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Aber für zentrale Informationen wird der zeitliche Bezugsrahmen nicht deutlich:
Wenn es im Beitrag heißt, „Weniger als 80 Tage ohne Meereis gab es bisher dort im jährlichen Durchschnitt“, wird nicht klar, was mit „bisher“ gemeint ist. Leserinnen und Lesers könnten vermuten, das der zu Beginn des Artikels genannte Zeitraum seit 1951 oder auch die Zeit von 1965 bis 2012 gemeint ist. Tatsächlich bezieht sich die Angabe laut Pressemitteilung auf die „vergangenen zwei Jahrzehnte“. Unklar bleibt auch, seit wann die Zahl der frostfreien Tage pro Jahr gemessen wurde. Einer Publikation des AWI ist zu entnehmen, dass die Temperaturen seit 1951 in die Berechnung einbezogen wurde, doch Leserinnen und Leser des Zeitungsartikels erfahren dies nicht.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Der Beitrag geht nicht darüber hinaus, die Messungen an den Küsten Sibiriens darzustellen. Am Ende wird noch – ohne hinreichende Erklärung – die Versauerung der Meere als Problem genannt. Doch wie sich diese Entwicklung auf die Region insgesamt auswirkt, erläutert der Beitrag nicht: Sind die Küstenstreifen und die Insel Muostakh bewohnt? Gibt es dort irgendeine Wirtschaftstätigkeit? Gehen Ressourcen verloren? Was bedeuten die Veränderungen gegebenenfalls für Mensch und Umwelt dort? Da keiner dieser Aspekte auch nur kurz angesprochen wird, werten wir „nicht erfüllt“.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Der Beitrag berichtet über vor kurzem publizierte Forschungsergebnisse, das Thema ist aktuell. Die Frage, ob die Permafrostböden im hohen Norden wegen der globalen Erwärmung auftauen, und vor allem, wie viel Kohlenstoff und Methan sie speichern, ist schon lange Gegenstand der Forschung. Im aktuellen IPCC-Report ist das Thema allerdings nicht umfassend behandelt worden. Es gibt nach Einschätzung der hauptverantwortlichen IPCC-Autoren Autoren noch nicht genug gesicherte Informationen darüber. Damit ist das Thema sehr relevant.