Bewertet am 18. November 2013
Veröffentlicht von: RBB

Der Beitrag, der im Inforadio des rbb gesendet wurde, beschäftigt sich mit dem wichtigen, in seinem Umfang weltweit zunehmendem Umweltproblem der Lichtverschmutzung – also dem Phänomen, dass die Nächte durch künstliche Beleuchtung immer heller werden. Dabei greift er viele natur- und sozialwissenschaftliche Aspekte auf. Leider gelingt es dabei nicht, die Vielzahl der Themen und O-Töne in einen sinnvollen, für Hörerinnen und Hörer nachvollziehbaren Zusammenhang zu bringen.

Zusammenfassung

Der Radiobeitrag berichtet anlässlich der Berliner Konferenz „Künstliche Beleuchtung bei Nacht“ über das Schwinden der nächtlichen Dunkelheit. Diese Entwicklung wird als Bedrohung für Umwelt- und Gesundheit vorgestellt, ohne dies jedoch mit Daten zu belegen. Die Vielzahl der Gesprächspartner, die jeweils ganz unterschiedliche Blickwinkel auf das Problem haben, wirkt eher verwirrend als informativ. Fakten und Fachvokabular werden aneinandergereiht, jedoch nicht ausreichend eingeordnet und erläutert. Weder stellt der Beitrag das Problem angemessen vor, noch berichtet er über die Lösungsansätze, die derzeit von Forschern diskutiert werden, oder über die ökonomischen Dimensionen des Themas.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht mehr verfügbar. 

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Radiobeitrag befasst sich mit der zunehmenden Helligkeit, die durch künstliche Beleuchtung nachts in unseren Großstädten herrscht. Dabei werden viele Formulierungen verwendet, die diese Entwicklung bedrohlich erscheinen lassen: „Das hat Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Tier- und Pflanzenwelt. Und es kommt noch schlimmer…“; am Ende heißt es: „Die Zeit drängt, denn es ist schon jetzt viel Nacht verloren gegangen.“ Jedoch wird mit keinem Wort erläutert, worin die Nachteile heller Nächte (etwa mögliche Gesundheitsschäden) konkret bestehen; es fehlt dazu jedes nachvollziehbare Beispiel. Auch wenn die Gefahren des „Verlusts der Nacht“ durchaus real sein mögen, wird hier ein ominöses Bedrohungsszenario aufgebaut, dass Hörerinnen und Hörer nicht einordnen können. Ihnen bleibt bis zum Schluss verborgen, worin das Problem genau besteht und wie gravierend es ist. So werden Ängste geschürt, und der Beitrag bleibt jede Information zur Einordnung der Risiken schuldig. Wir werten daher „nicht erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Im Beitrag werden viele Zahlen und Fakten genannt, die aber selbst aufmerksame Hörerinnen und Hörer erst nach mehrmaligem Abspielen des Beitrags erfassen können. Wie die Angaben  ermittelt wurden, erklärt der Beitrag nicht. Dabei steigt er sogar mit der Beschreibung einer Methode ein: Ein kanadischer Forscher hantiert mit Lichtmessgeräten auf einem Dach („alle fünf Sekunden misst der Lichtdetektor den Spektralbereich des Berliner Nachthimmels.“). Doch was es damit auf sich hat, warum er die Lichtfarben misst und welche Aussagekraft solche Daten haben, erfährt man nicht. Was bedeutet es, wenn in bewölkten Nächten das Laternenlicht 18 Mal stärker im roten Bereich reflektiert wird als in wolkenlosen, wie es im Beitrag heißt?

Der Beitrag reiht im Folgenden eine Fülle von O-Töne aneinander, erwähnt zudem eine Konferenz in Berlin und eine Studie der TU Berlin. Allerdings ist die Darstellung der Ergebnisse verwirrend: Nachdem die Stadtplanerin erklärt hat, dass die Berliner Bevölkerung die veränderte Beleuchtung (von Quecksilberdampflampen zu LEDs) offenbar kaum wahrnimmt, nimmt der Kommentar den O-Ton ab, indem er feststellt, dass das, was hierzulande als störend empfunden wird, in anderen Ländern als angenehm gelte. Dabei war von „störend“ zuvor gar nicht die Rede. Eine weitere Expertin spricht dann über unterschiedliche „Lichtkulturen“ in Europa. Ob sich hier Unterschiede in der Wahrnehmung oder eine unterschiedliche Wertung von Helligkeit oder Licht zeigen, ob Berlin gar ein Ausnahmefall ist – all das bleibt unklar.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Experten unterschiedlicher Fachgebiete kommen mit O-Tönen zu Wort und werden meist ihren Forschungsinstituten zugeordnet. Dabei wird allerdings der Bezug der Wissenschaftler zum Thema nicht immer ganz deutlich: Warum sich eine Forscherin des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei mit dem Problem der Lichtverschmutzung in Großstädten befasst, wäre womöglich interessant gewesen, doch man erfährt es nicht. Ein kanadischer Forscher an der FU Berlin kommt am Anfang des Beitrags vor, aber worin genau seine Expertise besteht (außer dass er Physiker ist), für welches Institut er arbeitet, um welches Projekt es geht, wird nicht erläutert.

Es folgen eine Stadtplanerin und eine Sozialwissenschaftlerin, deren widersprüchlich erscheinende Äußerungen nicht hinreichend erklärt werden (siehe Kriterium 2). Interessenkonflikte benennt der Beitrag in keinem Fall, sind für uns aber auch nicht ersichtlich.

Die Fülle der Quellen wirkt beim Hören eher verwirrend, es wird nicht ausreichend klar, woher welche Angaben stammen und wie sie erhoben wurden. Die zitierte Studie ist anhand der Angaben im Beitrag nicht genau zu identifizieren. Für zentrale Aussagen, wie mögliche Gesundheitsschäden durch Lichtverschmutzung, werden keine Daten und Quellen angegeben.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag nennt Zahlen und Argumente, die die zunehmende Lichtverschmutzung als Problem darstellen – ob es Gegenargumente gibt oder einen wissenschaftlichen Dissens, erfahren Hörerinnen und Hörer nicht. Das ist umso bedauerlicher, als es seit einigen Jahren zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema und durchaus Debatten unter Experten gibt. So wird diskutiert, welche Folgen die zunehmende Helligkeit insbesondere auf Zugvögel und Insekten, aber auch auf den Biorhythmus des Menschen hat.

Auch das Spannungsfeld zwischen „Schutz der Nacht“ einerseits und Sicherheitsbedürfnissen, etwa im Straßenverkehr, andererseits wird im Beitrag nicht dargestellt, obwohl hierzu ausführliche Publikationen, beispielsweise aus dem Bundesamt für Naturschutz vorliegen (siehe z.B. der Beitrag „Öffentliche Beleuchtung – mehr Licht heißt nicht mehr Sicherheit“ in  „Schutz der Nacht – Lichtverschmutzung, Biodiversität und Nachtlandschaft“). Der Radiobeitrag erwähnt lediglich in einem Satz, dass es Fragen zur Helligkeit und zur Sicherheit auf Straßen gibt und Untersuchungen über Lichtquellen mit unterschiedlichen Farbspektren. In dieser Kürze bleibt unverständlich, worum es dabei geht.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung zur im Beitrag erwähnten 1. Internationalen Konferenz zu künstlicher Beleuchtung bei Nacht hinaus, da verschiedene Experten zu Wort kommen, und auch eine nicht näher betitelte Studie der TU Berlin genannt wird. Allerdings: Schon in der kurzen Pressemitteilung wird deutlicher als im Radiobeitrag, worin überhaupt das Problem besteht. Es wäre hier sinnvoll gewesen, diese Informationen im Beitrag aufzugreifen.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag nennt eine Konferenz, die kurz vor der Sendung in Berlin stattgefunden hat, als einzigen zeitlichen Bezugspunkt für den Zuhörer und erweckt so den Eindruck, als handele es sich um ein neues Umweltproblem. Tatsächlich diskutieren und erforschen Wissenschaftler schon seit etlichen Jahren das Problem der Lichtverschmutzung. Zwar erwähnt eine Expertin im Beitrag, dass sich in vielen Ländern schon Studien mit dem Problem Lichtverschmutzung befasst hätten, es seien aber „nicht so viele“.

Indes weisen vor allem Astronomen schon seit langem darauf hin, dass dunkle Nächte hierzulande kaum noch existieren. Aber auch Ornithologen wie Entomologen haben sich bereits vor Jahren mit den Auswirkungen zunehmend hellerer Nächte auf Vogel- und Insektenwelt befasst. Nicht zuletzt gibt es eine ganze Reihe medizinischer Studien, die sich mit den Folgen von hellen Nächten, vor allem mit „weißem“ Licht beispielsweise auf den Biorhythmus des Menschen befassen. Dass es sich also um ein schon seit längerem bearbeitetes Forschungsfeld handelt, macht der Beitrag nicht deutlich.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Zwar werden in einem Satz mögliche Lösungen kurz angerissen, ohne aber ausreichend zu erklären, worin diese bestehen. Erwähnt werden Abschirmungen für Straßenlaternen, allerdings auf eine für den Hörer unverständliche Art und Weise („damit sie auf der so genannten C90/C270-Ebene senkrecht zum Straßenverlauf stehen“).

Die für das Problem der Lichtverschmutzung so wichtige Unterscheidung von Lichtquellen nach Farbtemperatur wird zwar kurz erwähnt, worin aber das Problem besteht, erschließt sich einem Laien indes nicht. Was es mit den unterschiedlichen Lichtkulturen in anderen Ländern auf sich hat, bleibt ein Rätsel. Dabei gäbe es zahlreiche erwähnenswerte technische und organisatorische Maßnahmen zur Verringerung der Lichtverschmutzung, die seit langem diskutiert werden. Viele deutsche Städte haben – auch unter dem Aspekt der Energieeinsparung – die Helligkeit nachts reduziert bzw. verändert. Von all dem erfahren Hörerinnen und Hörer nichts.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Das Problem wird zunächst im Inland, speziell in Berlin verortet, dann zumindest unter dem Aspekt „Lichtkulturen“ auch im europäischen Ausland.

Ob das Problem aber in gleichem Ausmaß in allen deutschen, europäischen oder internationalen Großstädten existiert, oder ob es regionale Unterschiede gibt, wird dabei nicht klar. Auch zu den erwähnten unterschiedlichen Lichtkulturen in anderen Ländern fehlt eine Erklärung: Ob sie nur auf eine andere subjektive Wahrnehmung von Licht, andere Helligkeitsbedürfnisse oder tatsächlich andere Lichtverhältnisse zurückzuführen sind, bleibt offen. Wir werten „knapp nicht erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Radiobeitrag berichtet zu Beginn, dass vor 150 Jahren Großstadtnächte zehn Mal dunkler waren als heute. Allerdings kann dies nicht wirklich verwundern, wurde die elektrische Straßenbeleuchtung in Städten hierzulande doch erst in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts eingeführt. Durch einzelne O-Töne wird deutlich, dass es sich um ein Thema handelt, dass in den letzten Jahren immer drängender geworden ist. So wird eine Zunahme der Helligkeit um sechs Prozent jährlich genannt – wenn auch unklar bleibt, für welche Region das gilt. Der Beitrag macht aber einigermaßen deutlich, seit wann und in welcher Größenordnung die Lichtverschmutzung gestiegen ist. Wir werten noch knapp „erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Durch die O-Töne wird zwar klar, dass es sich beim „Verlust der Nacht“ um ein interdisziplinäres Thema handelt, aber der Kontext außerhalb der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens fehlt weitgehend. Das Thema wird nicht in einen politischen und/oder wirtschaftlichen Zusammenhang eingeordnet. Am Ende heißt es zwar, es gehe um eine „ökonomisch und ökologisch verträgliche Stadtnacht“. Doch wird diese Floskel nicht mit Inhalten gefüllt.

Dabei wirft die Lichtverschmutzung schon heute eine Vielzahl von konkreten Fragen auf: Welche Lichtquellen sind die besseren, welche bezahlbar, wo liegt die Verantwortung der Leuchtmittelhersteller, wie wirkt sich eine veränderte Beleuchtung auf das Lebensgefühl, das Wohlbefinden und die Sicherheit der Stadtbevölkerung aus, wie muss eventuell neu über gesundheitlich bedenkliche Nachtarbeit nachgedacht werden, welche wirtschaftlichen Interessen sind hier betroffen? Da der Beitrag keinen dieser Aspekte auch nur exemplarisch aufgreift, werten wir „nicht erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist dauerhaft relevant – wenn die Relevanz im Beitrag auch nicht herausgearbeitet wird – und mit dem Fachkongress in Berlin besteht ein aktueller Anlass zur Berichterstattung.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag wurde mit erheblichem Aufwand produziert: Neben der Konferenz, die als aktueller Anlass dient, bezieht er eine Studie ein und lässt vier Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen zu Wort kommen. Als Reportageelement wird außerdem vom Dach eines Forschungsinstituts berichtet, auf dem Messgeräte stehen. Dennoch gelingt es leider nicht, dem gar zu weit gefassten Thema in einem Dreieinhalb-Minuten-Beitrag gerecht zu werden. Die verschiedenen O-Töne und inhaltlichen Aspekte werden additiv aneinandergereiht, es gibt keine übergeordnete Fragestellung, die beantwortet wird. Der rote Faden fehlt. Hier wäre die Beschränkung auf einen oder wenige Aspekte der „Lichtverschmutzung“ mehr gewesen. Zu viele Aspekte werden angerissen, aber nicht ausgeführt. So wird im Titel die „Tierwelt“ angesprochen, doch erfährt man im Beitrag nichts darüber, welche Auswirkungen die Lichtverschmutzung auf Tiere hat.

Zahlen werden nicht plausibel gemacht und durch Vergleiche veranschaulicht, schwer verständliche oder widersprüchliche Expertenaussagen nicht hinterfragt. Gerade im flüchtigen Medium Hörfunk gehen so viele Informationen fürs Publikum verloren. Nicht ausreichend erläutertes Fachvokabular („C90-C270 Ebene“, „Lichttemperatur“) und floskelhafte Formulierungen („es gab viel zu bereden“) wirken störend und überflüssig.

Hinzu kommen grammatikalische bzw. stilistische Schnitzer („stattgefundene Konferenz“). Auch ist der Text in einigen Passagen nicht sehr deutlich gesprochen.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 2 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar