Zusammenfassung
Der Artikel berichtet über eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu Perchlorat in Lebensmitteln. Das BfR hält die von der EU-Kommission festgesetzten Referenzwerte für ungeeignet, Verbraucher ausreichend vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu schützen. Beim Verzehr großer Portionen von Obst- und Gemüseerzeugnissen, die solche Mengen Perchlorat enthalten, könne die Aufnahme von Jod in die Schilddrüse gehemmt werden, was insbesondere für Säuglinge und Schwangere sowie Personen mit Schilddrüsenerkrankungen kritisch sein könne. Der Beitrag greift diese Warnung auf, ohne aber die Einschränkungen und methodischen Unsicherheiten zu beschreiben, die in der Stellungnahme genannt sind. Der Beitrag zieht keine weitere Quelle heran; er erläutert nicht, auf welcher Grundlage die bisherigen Referenzwerte festgelegt wurden, und welche Interessen hier eine Rolle spielen. Wie hoch das Risiko durch Perchlorat tatsächlich ist, und welche Handlungsoptionen es für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt, wird nicht deutlich.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat in einer Stellungnahme vom Juli 2013 festgestellt, dass die vorläufigen EU-Referenzwerte für die Chemikalie Perchlorat bei einigen Obst- und Gemüsearten so hoch liegen, dass es „bei einmaligem Verzehr großer Portionen gesundheitlich unerwünschte Wirkungen“ geben kann. Da diese Bundesbehörde unserer Erfahrung nach eher nicht zu übertrieben alarmistischen Warnungen neigt, ist dies ein ausreichender Anlass, über das Problem zu berichten.
Allerdings beschränkt sich der Beitrag allein auf die Darstellung möglicher Gefahren für die Verbraucher, ohne die Einschränkungen zu erwähnen, die das BfR mit seiner Stellungnahme verbindet (siehe dazu Kriterium 2). Da es an jeglicher Einordnung der Informationen fehlt, und Leserinnen und Leser auch nicht erfahren, welche Mengen belasteter Lebensmitteln bedenklich sind, ist der Beitrag geeignet, erhebliche Verunsicherung hervorzurufen. Womöglich zieht mancher den Schluss, künftig weniger Obst und Gemüsen zu essen – was nach Angaben des BfR keineswegs angemessen wäre.
Die Sprache des Beitrag ist zwar weitgehend sachlich, doch werten wir wegen der Darstellung, die einseitig nur über die Risiken berichtet, „knapp nicht erfüllt“.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Alle einschränkenden Informationen, die die BfR-Stellungnahme enthält, fallen im Beitrag unter den Tisch, und die Unsicherheiten der Datenlage werden nicht thematisiert: Leserinnen und Leser erfahren nicht, dass die Warnung des BfR auf nicht repräsentativen Untersuchungen basiert, und dass laut BfR „keine Originalstudien zur toxikologischen Beurteilung von Perchlorat“ vorliegen.
Problematisch ist auch die Formulierung, ein Kilogramm Lebensmittel dürfe derzeit „bis zu 1 mg pro Kilogramm Perchlorat enthalten“ – dieser Wert in der BfR-Mitteilung bezieht sich nur auf wenige Gemüsesorten. Das Risiko wird insgesamt nicht eingeordnet, obwohl das BfR in seiner Stellungnahme verdeutlicht, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung nur „möglich“ (also unterhalb von „wahrscheinlich“) ist, und im Falle ihres Eintretens „leicht“ und „reversibel“ wäre.
Zudem enthält der Beitrag fachliche Ungenauigkeiten. So gibt es noch keine „EU-Grenzwerte“ für Perchlorat, diese werden derzeit von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erst erarbeitet. Bisher gelten so genannte „Referenzwerte“, die von der EU-Kommission vorläufig festgelegt wurden.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
Es liegt eine Pressemitteilung vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu Perchlorat-Rückständen in Obst und Gemüse vom 18.6.2013 vor (Link nicht mehr verfügbar). Darüber hinaus nutzt der Beitrag die dort verlinkte „Empfehlung des BfR zur gesundheitlichen Bewertung von Perchlorat-Rückständen in Lebensmitteln“ vom 6. Juni 2013 sowie eine aktualisierte Stellungnahme des BfR vom 9. Juli 2013. Damit geht der Beitrag formal über die Pressemitteilung hinaus. Da aber keine zweite Quelle im eigentlichen Sinne (siehe auch Kriterium 3) einbezogen wurde, die nicht zum unmittelbaren Umfeld der Pressemitteilung gehört, werten wir nur „knapp erfüllt“.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Doch wäre es bei diesem Thema wichtig gewesen, Leserinnen und Lesern Handlungsoptionen zu bieten. Welche Lebensmittel sollte man meiden bzw. nicht „in großen Portionen“ verzehren? Hilft gründlicheres Waschen von Gemüse weiter? Ist die Belastung bei Bio-Lebensmitteln geringer oder nicht? Wer den Beitrag liest, kann nicht einschätzen, ob und unter welchen Voraussetzungen er gefährdet wäre, und wie er sein Risiko minimieren kann.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
Eine interessante Zusatzinformation wäre noch gewesen, wo in Deutschland die belasteten Lebensmittel gefunden wurden, beziehungsweise, ob das Problem bundesweit gleich verteilt ist, oder ob bestimmte Regionen besonders betroffen erscheinen.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Welche wirtschaftlichen Interessen im Spiel sind, welche Kosten strengere Grenzwerte und entsprechende Kontrollen nach sich ziehen könnten, spricht der Beitrag nicht an. Auch fehlt jede Information, ob neben der möglichen Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit auch weitere Umweltschäden, etwa ein Einfluss auf Tiere und Pflanzen, zu erwarten sind.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Im Beitrag ist zwar kein aktueller Anlass erkennbar, da die Stellungnahme des BfR schon im Sommer 2013 entstand. Allerdings wurde diese erst im Oktober 2013 auf der Website des BfR veröffentlicht, und das Thema beschäftigt aktuell Behörden und Gremien in der EU. Auch ist das Thema angesichts der großen Zahl potenziell betroffener Menschen ohne Zweifel relevant.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Faktenfehler sind uns, über die genannten Ungenauigkeiten hinaus, nicht aufgefallen.