Zusammenfassung
Vorbemerkung:
Wir haben diesen Beitrag begutachtet, wie er in der Zeitung „Die Welt“ veröffentlicht wurde. Dieser Artikel ist die gekürzte und bearbeitete Fassung eines Textes der Deutschen Presseagentur dpa. Viele von uns angeführte Kritikpunkte treffen auf diesen Originaltext der dpa nicht zu: So nennt der dpa-Text alle verwendeten Quellen und zusätzlich Links von Originalpublikationen; die Bedeutung der Minamata-Konvention und die vorausgehenden Diskussionen und Kompromisse werden angesprochen, und es werden die Maßnahmen genannt, die die Konvention vorsieht, um die Quecksilberemissionen zu senken. Auch die industrielle Verwendung von Quecksilber in Europa beschreibt der dpa-Beitrag; er nennt darüber hinaus Vorschläge zur Endlagerung von Quecksilber-Giftmüll in Deutschland – also Lösungsmöglichkeiten für das Umweltproblem. Die Originalfassung des dpa-Beitrag wäre daher vom Medien-Doktor deutlich besser bewertet worden.
…
Der Artikel erschien anlässlich der Unterzeichnung des Minamata-Abkommens (benannt nach der japanischen Stadt Minamata, wo es in den Fünfzigerjahren zu schweren Quecksilber-Vergiftungen kam). Dieses Abkommen soll die Quecksilber-Belastung von Mensch und Umwelt verringern. Der Beitrag gibt einen faktenreichen Überblick über das Quecksilberproblem, geht allerdings lediglich beim Fall des lange zurückliegenden Umweltskandals von Minamata etwas stärker in die Tiefe.
Der Beitrag zieht unterschiedliche Quellen heran, ordnet aber nicht immer zu, welche Angaben aus welcher Quelle stammen. Auch wird die Aussagekraft der vielen Zahlen und aneinandergereihten Fakten nicht ausreichend erklärt. Der Text macht deutlich, dass sich die Quecksilberemissionen zwar in Industrie, Schwellen- und Entwicklungsländern unterscheiden, dass der Schadstoff sich aber global verbreitet. Informationen zu den politischen Diskussionen im Vorfeld der Konvention fehlen ebenso wie zu den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen. Welche konkreten Maßnahmen die Konvention vorsieht, um die Quecksilberbelastung zu vermindern, erläutert der Text nicht.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Anlässlich einer Konferenz des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Japan berichtet der Artikel über eine internationale Konvention zur Reduzierung von Quecksilberemissionen und befasst sich mit den Gefahren für Mensch und Umwelt durch das Metall. Der Beitrag beschreibt ohne Übertreibung oder Verharmlosung, welche gesundheitlichen und ökologischen Folgen die Freisetzung von Quecksilber und Quecksilber-Verbindungen hat. Dabei bedient sich der Artikel einer sachlichen Sprache und nennt eine Vielzahl von Fakten.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Bei einigen der zahlreich genannten Fakten wird UNEP als Quelle angegeben, oder die Aussagen werden Experten zugeordnet. Doch bei anderen Angaben wird nicht klar, woher sie stammen. So etwa bei Formulierungen wie „Rund 200.000 Tonnen Quecksilber hat der Mensch seit 1850 in die Umwelt gebracht, schätzen Forscher.“
Zudem unterscheiden sich einige Angaben deutlich von den Zahlen, die in einem Bericht des UNEP genannt werden (Global Mercury Assessment 2013. Sources, Emissions, Releases and Environmental Transport). So heißt es im Zeitungsartikel zu den Quellen der Quecksilber-Belastung: „40 bis 50 Prozent werden direkt durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre gebracht.“ Laut UNEP-Bericht sind es dagegen 30 Prozent (“Anthropogenic sources of mercury emissions account for about 30% of the total amount of mercury entering the atmosphere each year.”) Hinzu kommen laut UNEP 10 Prozent aus natürlichen Quellen sowie 60 Prozent aus so genannten Reemissionen, also von bereits früher freigesetztem und abgelagertem Quecksilber. Im Artikel heißt es dagegen, diese Quellen machten „gut die Hälfte“ aus. Es ist nicht ersichtlich, woher die abweichenden Zahlen im Beitrag stammen, und wie die Unterschiede zustanden kommen. Auch erfahren Leserinnen und Leser nicht, ob es sich bei den Angaben zu Emissionen um Messwerte oder Schätzungen handelt.
Zudem fehlen Zahlen zu den Gesundheitsschäden durch Quecksilber. Zwar heißt es richtig, dass es „kein sicheres Limit für Quecksilber“ gibt. Dennoch wüsste man gern, wie hoch etwa die Quecksilberwerte bei der Minamata-Katastrophe waren, im Vergleich zu Belastungen wie sie heute auftreten.
3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Über die Giftigkeit von Quecksilber gibt es keine wissenschaftliche Kontroverse. Dagegen gab es im Vorfeld der Konvention langwierige Verhandlungen und erhebliche Diskussionen, etwa über Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken in Asien. Auch kritisieren Umweltverbände die langen Übergangsfristen, die die Konvention vorsieht (siehe dazu z.B. hier und hier). Es wird im Beitrag weder herausgearbeitet, inwiefern die Konvention ein bedeutender Erfolg ist, noch deutlich gemacht, welche Kompromisse dabei eingegangen wurden und welche Kritik es daran gibt.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
Der Text berichtet zutreffend, dass Emissionen heute in Europa und den USA deutlich geringer sind als in Asien, Afrika und Südamerika; er erwähnt allerdings nicht darüber, dass das historisch keineswegs immer so war. Es wäre eine interessante Information gewesen, dass viele der heutigen Quecksilberbelastungen auf frühere Quellen in den Industriestaaten zurück gehen, da sich Quecksilber in der Natur nicht abbaut und über lange Zeiträume in den Nahrungsketten anreichert.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Dagegen fehlen Angaben dazu, in welchen Zeiträumen sich die Belastung durch Quecksilber in Zukunft verringern soll, und welche Zeiträume dazu in der Konvention genannt werden. Das Kriterium ist dennoch erfüllt.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Der Beitrag gibt einen faktenreichen Überblick über die Problematik, vertieft aber keinen der aktuellen Punkte so, dass er bei einem nicht schon vorinformierten Publikum Interesse am Thema wecken könnte. Lediglich die historische Minamata-Katastrophe wird etwas ausführlicher dargestellt. Es gelingt aber nicht, den aktuellen Anlass und den historischen Fall zu einer interessanten Geschichte zu verbinden. Der Text hat Schwächen im Aufbau; der Einstieg reizt nicht zum Lesen, und auch im weiteren Verlauf reihen sich eher trocken Zahlen und Fakten aneinander – es fehlt ein Spannungsbogen. Leserinnen und Leser warten vergeblich auf eine Beantwortung der zentralen Frage, wie die Quecksilberemissionen künftig verringert werden sollen.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Bis auf die unter Kriterium 2 genannten Ungenauigkeiten/ Unklarheiten sind uns keine Faktenfehler aufgefallen.