Bewertet am 23. Oktober 2013
Veröffentlicht von: Die Welt
Im Oktober 2013 wurde bei einer Konferenz im japanischen Minamata eine internationale Konvention unterzeichnet, die zum Ziel hat, global die Belastung mit giftigem Quecksilber zu verringern. Der Beitrag, der in der Tageszeitung „Die Welt“ erschien, informiert faktenreich über die Quecksilber-Problematik, nennt allerdings nicht für alle Angaben die Quellen. Auch erfahren Leserinnen und Leser nicht, mit welchen Maßnahmen die Quecksilberemissionen reduziert werden sollen.

Zusammenfassung

Vorbemerkung:

Wir haben diesen Beitrag begutachtet, wie er in der Zeitung „Die Welt“ veröffentlicht wurde. Dieser Artikel ist die gekürzte und bearbeitete Fassung eines Textes der Deutschen Presseagentur dpa. Viele von uns angeführte Kritikpunkte treffen auf diesen Originaltext der dpa nicht zu: So nennt der dpa-Text alle verwendeten Quellen und zusätzlich Links von Originalpublikationen; die Bedeutung der Minamata-Konvention und die vorausgehenden Diskussionen und Kompromisse werden angesprochen, und es werden die Maßnahmen genannt, die die Konvention vorsieht, um die Quecksilberemissionen zu senken. Auch die industrielle Verwendung von Quecksilber in Europa beschreibt der dpa-Beitrag; er nennt darüber hinaus Vorschläge zur Endlagerung von Quecksilber-Giftmüll in Deutschland – also Lösungsmöglichkeiten für das Umweltproblem. Die Originalfassung des dpa-Beitrag wäre daher vom Medien-Doktor deutlich besser bewertet worden.

Der Artikel erschien anlässlich der Unterzeichnung des Minamata-Abkommens (benannt nach der japanischen Stadt Minamata, wo es in den Fünfzigerjahren zu schweren Quecksilber-Vergiftungen kam). Dieses Abkommen soll die Quecksilber-Belastung von Mensch und Umwelt verringern. Der Beitrag gibt einen faktenreichen Überblick über das Quecksilberproblem, geht allerdings lediglich beim Fall des lange zurückliegenden Umweltskandals von Minamata etwas stärker in die Tiefe.

Der Beitrag zieht unterschiedliche Quellen heran, ordnet aber nicht immer zu, welche Angaben aus welcher Quelle stammen. Auch wird die Aussagekraft der vielen Zahlen und aneinandergereihten Fakten nicht ausreichend erklärt. Der Text macht deutlich, dass sich die Quecksilberemissionen zwar in Industrie, Schwellen- und Entwicklungsländern unterscheiden, dass der Schadstoff sich aber global verbreitet. Informationen zu den politischen Diskussionen im Vorfeld der Konvention fehlen ebenso wie zu den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen. Welche konkreten Maßnahmen die Konvention vorsieht, um die Quecksilberbelastung zu vermindern, erläutert der Text nicht.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Anlässlich einer Konferenz des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Japan berichtet der Artikel über eine internationale Konvention zur Reduzierung von Quecksilberemissionen und befasst sich mit den Gefahren für Mensch und Umwelt durch das Metall. Der Beitrag beschreibt ohne Übertreibung oder Verharmlosung, welche gesundheitlichen und ökologischen Folgen die Freisetzung von Quecksilber und Quecksilber-Verbindungen hat. Dabei bedient sich der Artikel einer sachlichen Sprache und nennt eine Vielzahl von Fakten.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Bei einigen der zahlreich genannten Fakten wird UNEP als Quelle angegeben, oder die Aussagen werden Experten zugeordnet. Doch bei anderen Angaben wird nicht klar, woher sie stammen. So etwa bei Formulierungen wie „Rund 200.000 Tonnen Quecksilber hat der Mensch seit 1850 in die Umwelt gebracht, schätzen Forscher.“

Zudem unterscheiden sich einige Angaben deutlich von den Zahlen, die in einem Bericht des UNEP genannt werden (Global Mercury Assessment 2013. Sources, Emissions, Releases and Environmental Transport). So heißt es im Zeitungsartikel zu den Quellen der Quecksilber-Belastung: „40 bis 50 Prozent werden direkt durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre gebracht.“ Laut UNEP-Bericht sind es dagegen 30 Prozent (“Anthropogenic sources of mercury emissions account for about 30% of the total amount of mercury entering the atmosphere each year.”) Hinzu kommen laut UNEP 10 Prozent aus natürlichen Quellen sowie 60 Prozent aus so genannten Reemissionen, also von bereits früher freigesetztem und abgelagertem Quecksilber. Im Artikel heißt es dagegen, diese Quellen machten „gut die Hälfte“ aus. Es ist nicht ersichtlich, woher die abweichenden Zahlen im Beitrag stammen, und wie die Unterschiede zustanden kommen. Auch erfahren Leserinnen und Leser nicht, ob es sich bei den Angaben zu Emissionen um Messwerte oder Schätzungen handelt.

Zudem fehlen Zahlen zu den Gesundheitsschäden durch Quecksilber. Zwar heißt es richtig, dass es „kein sicheres Limit für Quecksilber“ gibt. Dennoch wüsste man gern, wie hoch etwa die Quecksilberwerte bei der Minamata-Katastrophe waren, im Vergleich zu Belastungen wie sie heute auftreten.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Beitrag verweist an mehreren Stellen auf Zahlenmaterial des UNEP; es werden außerdem Experten vom UNEP, vom Umweltbundesamt (UBA) und aus dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung zitiert. Interessenkonflikte der Befragten werden nicht genannt, sind nach unserer Kenntnis aber auch nicht gegeben. Die Fakten sind allerdings nicht immer klar den Quellen zugeordnet (siehe Kriterium 2). Es sind zweifellos mehr Quellen verwendet worden als die drei namentlich genannten Experten. Dabei bleibt aber unklar, welche das sind. Daher werten wir nur „knapp erfüllt.“

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Über die Giftigkeit von Quecksilber gibt es keine wissenschaftliche Kontroverse. Dagegen gab es im Vorfeld der Konvention langwierige Verhandlungen und erhebliche Diskussionen, etwa über Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken in Asien. Auch kritisieren Umweltverbände die langen Übergangsfristen, die die Konvention vorsieht (siehe dazu z.B. hier und hier). Es wird im Beitrag weder herausgearbeitet, inwiefern die Konvention ein bedeutender Erfolg ist, noch deutlich gemacht, welche Kompromisse dabei eingegangen wurden und welche Kritik es daran gibt.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Im Beitrag werden unterschiedliche Quellen genutzt und mehrere Experten zitiert. Der Text geht damit deutlich über die Pressemitteilungen hinaus, die UNEP, die EU und das UBA herausgegeben haben.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Artikel macht deutlich, dass es sich um ein bereits lange andauerndes Problem handelt, dem aktuell durch eine neue UN-Konvention begegnet werden soll. Es fehlt zwar der Hinweis, wie lange schon bekannt ist, dass Quecksilber giftig und ein Umweltproblem ist (schon in der Antike wurden erste Hinweise auf die Gesundheitsschädlichkeit von Quecksilber erkannt). Jedoch wird der Fall Minamata zutreffend geschildert, und zugleich klar gemacht, dass sich die Emissionsquellen seitdem verändert haben.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Artikel erschien aus Anlass einer UN-Konvention, die sich zum Ziel setzt, die Gefahren durch Quecksilber zu begrenzen bzw. zu vermeiden. Insofern ist die Lösung eines Umweltproblems Thema des Beitrags. Jedoch belässt es der Artikel bei einer reinen Darstellung der Belastungssituation bzw. der Emissionen. Es fehlen jegliche Informationen zum Inhalt der Minamata-Konvention: Welche Maßnahmenkataloge die Konvention vorsieht, wie Quecksilber in technischen Prozessen oder in Produkten ersetzt werden kann, darüber erfahren Leserinnen und Leser nichts. Bei der Beschreibung kleingewerblicher Goldschürfer im Artikel wird zwar implizit klar, dass das Quecksilber beim Aufschluss des Goldes ersetzt werden muss. Allerdings nennt der Text dafür keine Alternativen, obwohl das die Anwendung ist, bei der das meiste Quecksilber frei wird.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Text macht deutlich, dass es sich um ein globales Problem handelt. Dabei unterscheidet der Artikel klar zwischen den unterschiedlichen Situationen in Industrieländern auf der einen und Entwicklungs-/Schwellenländern auf der anderen Seite. Er macht aber ebenso deutlich, dass jede lokale Emission dieses langlebigen und sich in Nahrungsketten akkumulierenden Stoffes ein globales Problem darstellt, etwa mit der Einschätzung des Ostseeforschers Joachim Kuß: „Jede lokale Quelle ist ein globales Problem.“ Die globale Belastung mit Quecksilber wird deutlich, ebenso, dass es spezielle Hotspots der Belastung z.B. in der Arktis gibt.

Der Text berichtet zutreffend, dass Emissionen heute in Europa und den USA deutlich geringer sind als in Asien, Afrika und Südamerika; er erwähnt allerdings nicht darüber, dass das historisch keineswegs immer so war. Es wäre eine interessante Information gewesen, dass viele der heutigen Quecksilberbelastungen auf frühere Quellen in den Industriestaaten zurück gehen, da sich Quecksilber in der Natur nicht abbaut und über lange Zeiträume in den Nahrungsketten anreichert.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Es wird deutlich, dass Quecksilberemissionen nicht nur akute Katastrophen wie in Minamata sondern auch langandauernde Probleme verursachen. Angaben zum Anstieg der Belastung durch von Menschen freigesetztes Quecksilber in den Meeren und der Tiefsee in den letzten 100 Jahren beschreiben eindrucksvoll die Umweltproblematik durch solche nicht abbaubaren Substanzen. Eine zitierte UBA-Expertin erläutert gut den Zusammenhang von räumlicher und zeitlicher Dimension. („In der Atmosphäre verbleibt Quecksilber etwa ein Jahr“, erklärt Kraus, „das reicht, dass es sich großräumig rund um die Erde verteilt.“)

Dagegen fehlen Angaben dazu, in welchen Zeiträumen sich die Belastung durch Quecksilber in Zukunft verringern soll, und welche Zeiträume dazu in der Konvention genannt werden. Das Kriterium ist dennoch erfüllt.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Die wirtschaftliche und soziale Dimension wird lediglich sehr knapp angerissen, etwa mit dem Hinweis auf Kohlekraftwerke in Asien. Wie wichtig Quecksilber noch heute in der Industrieproduktion ist (z.B. auch in Europa noch in der Chlor-Alkali-Industrie eingesetzt), ob es praktikable Alternativen zum Einsatz beim Goldschürfen in Flüssen gibt, wie teuer die Umsetzung der UN-Konvention wird, wie sehr um sie politisch gestritten wurde, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Es gibt keine Hinweise darauf, ob und wo der Verzicht auf Quecksilber zu wirtschaftlichen Problemen führen könnte. Auch die wichtige Frage, wie Entwicklungsländer die Umstellung finanzieren sollen, wird nicht angesprochen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist angesichts der Konferenz in Japan aktuell, bei der die die schon im Januar 2013 ausgehandelte Minamata-Konvention gezeichnet wurde. Die Relevanz der Quecksilber-Problematik steht außer Frage.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag gibt einen faktenreichen Überblick über die Problematik, vertieft aber keinen der aktuellen Punkte so, dass er bei einem nicht schon vorinformierten Publikum Interesse am Thema wecken könnte. Lediglich die historische Minamata-Katastrophe wird etwas ausführlicher dargestellt. Es gelingt aber nicht, den aktuellen Anlass und den historischen Fall zu einer interessanten Geschichte zu verbinden. Der Text hat Schwächen im Aufbau; der Einstieg reizt nicht zum Lesen, und auch im weiteren Verlauf reihen sich eher trocken Zahlen und Fakten aneinander – es fehlt ein Spannungsbogen. Leserinnen und Leser warten vergeblich auf eine Beantwortung der zentralen Frage, wie die Quecksilberemissionen künftig verringert werden sollen.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Bis auf die unter Kriterium 2 genannten Ungenauigkeiten/ Unklarheiten sind uns keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar