Bewertet am 10. Oktober 2013
Veröffentlicht von: Spiegel Online
Der Beitrag, der auf der auf Spiegel-online erschienen ist, berichtet  über Forschungsergebnisse, die den Zustand der Weltmeere noch kritischer erscheinen lassen, als es der Weltklimarat IPCC darstellt. Das umfangreiche Pressematerial der Meeresschutzorganisation IPSO wird gut genutzt, doch fehlt eine zweite Quelle.

Zusammenfassung

Anlass für den Beitrag ist ein Bericht des International Programme on the State of the Ocean (IPSO) und der Weltnaturschutzunion IUCN. Demnach ist der Zustand der Weltmeere noch schlechter, und deren Bedrohung durch den Klimawandel größer, als es der Bericht des Weltklimarates IPCC darstellt. Wesentliche Gefahren für die Ozeane werden gut verständlich beschrieben, Lösungsansätze zumindest knapp genannt. Mit einem eingebetteten Video und Links zum Originalbericht sowie zusätzlichen Grafiken werden die Möglichkeiten des Mediums gut genutzt.

Allerdings stützt sich der Beitrag dabei fast ausschließlich auf die Pressemitteilung von IPSO und IUCN sowie auf Videomaterial, das von den Organisationen zur Verfügung gestellt wurde. Eine zweite Quelle zur unabhängigen Einschätzung fehlt, auch kommt kein Vertreter des kritisierten Weltklimarats zu Wort. Die Aussage, dass der Zustand der Meere sich „rapide“ verschlechtere, wird nicht mit Daten belegt. Wirtschaftliche, politische oder soziale Aspekte spricht der Beitrag nicht an.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Zwar wird der Zustand der Ozeane z.T. sehr drastisch geschildert („wachsende Todeszonen“), aber diese Zustandsbeschreibung wird durch Fakten belegt („75.000 Quadratkilometer galten dort Anfang 2013 als sauerstoffarme oder -freie tote Zone‘“). Die zugrunde liegende Pressemitteilung formuliert hier sachlicher. Die beschriebenen Gefahren werden aber ausführlich begründet, daher werten wir die zugespitzten Formulierungen nicht als Panikmache. Die Aussage der Überschrift, der Zustand verschlechtere sich „rapide“ wird allerdings so durch den Text nicht gestützt – siehe dazu auch Kriterium 9 (Zeitliche Dimension). Wir werten noch „erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Text nennt viele Zahlen und Fakten, allerdings ist nicht immer klar, wie sie zustande kommen. Zum Teil handelt es sich wohl um Messungen, etwa wenn es um pH-Werte, Temperaturzunahmen oder die Größe von sauerstoffarmen Zonen geht. Zum Teil macht der Beitrag auch Prognosen für die Zukunft: „Bis 2100 könnte der Sauerstoffgehalt der Ozeane um 1 bis 7 Prozent abnehmen.“ Zur Herkunft der Angaben wird erläutert, dass diese aus einem Bericht stammen, der die Ereignisse „hochkarätiger Workshops“ zusammenfasst. Dies ist insgesamt dürftig. Leserinnen und Leser können nicht erkennen, wo die Angaben auf Messungen beruhen (Durch wen? Wie viele? Welche Meeresgebiete wurden überhaupt berücksichtigt?), oder wo den Angaben Modellrechnungen, Fortschreibungen von Trends o.ä. zugrunde liegen. Auch Angaben wie die, dass der pH-Wert „merklich“ sinke, sind sehr vage.

Der Online-Artikel stellt weiterführende Informationen immerhin per Link zur Verfügung (Links zum Originalbericht), und das Video-Interview mit Jason Hall-Spencer geht am Rande auch auf die Methodik ein. Doch insgesamt hätten wir uns ausführlichere Erläuterungen zur Aussagekraft des Berichts gewünscht. Wir werten wegen der informativen Links noch „knapp erfüllt“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die Organisationen IPSO und IUCN, auf deren Bericht sich der Beitrag bezieht, werden in einem Kasten auf der Webseite kurz vorgestellt. Es wird deutlich, dass der Bericht auf Untersuchungen von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten beruht.

Unklar bleibt allerdings, welchen Stellenwert diese Organisationen haben. Der Leser könnte den Eindruck gewinnen, diese stünden auf einer Ebene mit dem IPCC, weshalb hier ein Satz zur Einordnung wünschenswert gewesen wäre. So wurde IPSO von einem Meereswissenschaftler und von einer Kommunikationsexpertin gegründet, die u.a. auch für Greenpeace gearbeitet hat.

Alle Angaben im Beitrag (z.B. auch das Videointerview) stammen von IPSO/IUCN, eine externe Einschätzung dazu, etwa von einem deutschen Wissenschaftler, fehlt. Da der Text über einen Gegensatz zum IPCC berichtet, wäre zumindest eine zweite Quelle erforderlich, die zu diesem Widerspruch Stellung nimmt (siehe auch Kriterium 4).

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Text schildert vor allem die dramatischen Ergebnisse des IPSO/ IUCN-Berichts und erwähnt, dass der kürzlich erschienene IPCC-Bericht zu weniger drastischen Einschätzungen kommt. Generell sind die geschilderten Zusammenhänge wissenschaftlich nicht umstritten, doch über Ausmaß und Zeiträume wird debattiert. Insofern sind die wesentlichen Standpunkte genannt.

Da der Beitrag aber über einen Widerspruch von IPSO/ IUCN zum IPCC berichtet (z.B. „sie widersprechen den Warnungen des UNO-Klimarates“, oder „mit weit massiveren Rückwirkungen auf das Klima, als dies der IPCC-Bericht erfasse“), wäre es hier besser gewesen, eine Stellungnahme eines IPCC-Vertreters einzuholen, oder zumindest nachvollziehbar darzulegen, wie der IPCC zu seiner abweichenden Beurteilung kommt. Es wird auch nicht recht deutlich, worin der Widerspruch genau besteht – außer, dass alles „noch viel schlimmer“ sei, als der IPCC es darstellt.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Text gibt in weiten Teilen die sehr informative Pressemitteilung wieder. Nur eine kurze, für die Darstellung nebensächliche erdgeschichtliche Einordnung stammt nicht aus dem Pressematerial. Auch die Zitate von Wissenschaftlern sind sämtlich den Videointerviews entnommen, die IPSO und IUCN bei der Veröffentlichung des Berichts zur Verfügung gestellt haben (Link nicht mehr verfügbar). Einige weitere Grafiken und Tabellen (z.B. Klimaschutzindex), die nicht aus dieser Quelle stammen, ergänzen den Beitrag, tragen aber nichts zum Kernthema „Niedergang der Ozeane“ bei.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag macht klar, dass es sich um ein seit langem bekanntes Problem handelt, zu dem jetzt ein neuer Bericht vorliegt.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Schwerpunkt des Artikels ist eindeutig die Bestandsaufnahme, allerdings werden am Ende auch knapp Lösungsmöglichkeiten genannt. Wünschenswert wäre es gewesen, diese zumindest kurz zu erläutern; nicht allen Leserinnen und Lesern dürfte z.B. klar sein, was etwa unter dem „Aufbau einer Aufsichtsinfrastruktur“ zu verstehen ist. Wir werten noch „erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Auf die räumliche Dimension geht der Beitrag nur kurz ein. Mit Ausnahme der „Todeszone“ in der Ostsee spricht der Artikel sehr verallgemeinernd von Weltmeeren. Zwar handelt es sich um globale Phänomene, doch konkrete Auswirkungen und auch der Wissenstand unterscheiden sich regional. Wir werten noch „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag macht klar, dass es sich um ein andauerndes Umweltproblem handelt. Zum geschilderten „Niedergang der Ozeane“ gibt es jedoch nur eine einzige konkrete Zahl („Bis 2100 könnte der Sauerstoffgehalt der Ozeane um 1 bis 7 Prozent abnehmen.“). Insgesamt blieben Aussagen zur zeitlichen Entwicklung vage. Die Aussage in der Überschrift, der Zustand der Ozeane verschlechtere sich „rapide“, wird nicht ausreichend mit Angaben zum zeitlichen Verlauf belegt. Auch zu den genannten Lösungsvorschlägen gibt es keine Angaben, wann diese wirksam werden könnten; so wäre etwa beim Thema Phosphateintrag in die Ostsee interessant, in welchen Zeiträumen sich die Anreicherung bei entsprechenden Gegenmaßnahmen wieder in den Griff bekommen ließe.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag beschränkt sich auf die Darstellung der wissenschaftlichen Ergebnisse und geht nicht ausreichend auf den Kontext ein. Wirtschaftliche Aspekte werden überhaupt nicht erwähnt, wären aber an verschiedenen Stellen wichtig: Was „kostet“ es, wenn Korallenriffe und Fischbestände zusammenbrechen? Welche sozialen und politischen Folgen sind damit verbunden? Welche Einbußen wären beispielsweise für die Fischerei zu erwarten? Die Betroffenheit der Menschen wird sehr abstrakt erwähnt („Ich mache mir Sorgen um die Zukunft meiner Enkel.“), die konkreten sozialen oder wirtschaftlichen Auswirkungen des Ozeansterbens werden aber nicht ausgeführt.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist relevant und mit dem vorliegenden IPSO/IUCN-Bericht gibt es einen aktuellen Anlass für die Berichterstattung.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel ist großenteils gut verständlich und klar strukturiert. Interviews, Links und Grafiken bereichern den Text. Der stärker interessierte Leser bekommt so die Chance, sich umfassender zu informieren. Dies ist allerdings das Verdienst einer guten, informativen Pressemitteilung, an der sich der Beitrag orientiert, und des umfangreichen Videomaterials, das von IPSO/IUCN zur Verfügung gestellt wurde. Eine eigenständige Vermittlungsleistung ist damit aber nicht erbracht; andere Standpunkte als die des Versenders der Pressemitteilung werden nicht einbezogen, es fehlt insgesamt an journalistischer Distanz.

Hinzu kommen kleinere sprachliche Ungenauigkeiten (es heißt Versauerung der Ozeane, nicht „Versäuerung“, pH-Wert, nicht „PH-Wert“).

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar