Bewertet am 29. Oktober 2013
Veröffentlicht von: ARD
Der Beitrag, der in den „Tagesthemen“ der ARD gesendet wurde, stellt anlässlich eines Berichts der Internationale Atomenergie-Organisation die aktuelle Situation in Fukushima dar. Es wird außerdem ein Forschungsprojekt vorgestellt, das die Folgen des Atomunfalls für Pflanzen- und Tierwelt untersucht.

Zusammenfassung

Ein vorläufiger Bericht der Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) über die Situation in Fukushima, der am Sendetag der japanischen Regierung übergeben wurde, bietet den Anlass, über unterschiedliche Einschätzungen zur Lage in Fukushima zu berichten. Hinzu kommen aktuelle Probleme durch starke Regenfälle, die Becken mit radioaktivem Kühlwasser zum Überlaufen bringen.

In dem Tagesthemen-Beitrag wird sachlich dargestellt, dass die IAEA die Lage in Fukushima unter Kontrolle sieht und die japanische Regierung lobt, während Kritiker beispielsweise auf die erhebliche radioaktive Kontamination des Grundwassers hinweisen. Für eine Nachrichtensendung bemerkenswert: Es wird außerdem ein Forschungsprojekt vorgestellt, das eine Verringerung der Artenvielfalt in stark radioaktiv belasteten Regionen festgestellt hat und weitere Auswirkungen auf die Natur in der Sperrzone untersucht. Der Beitrag greift damit viele interessante Aspekte auf, doch gelingt es nicht immer, diese schlüssig zusammenzuführen. Die Aussagekraft der einzelnen Fakten und Behauptungen wird nicht so deutlich, dass Zuschauerinnen und Zuschauer diese wirklich einordnen können. Trotz der knappen Sendezeit wären hier einordnende Informationen nötig.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Beitrag berichtet über die Folgen der radioaktiven Kontamination in Fukushima und aktuelle Probleme durch Wirbelstürme und starke Regenfälle. Weder in der Sprache noch im Bild wird Panik geschürt, die Lage wird aber auch nicht verharmlost. Der Beitrag beschreibt sachlich die Arbeit des US-Forschers Timothy Mousseau, der die Tier- und Pflanzenwelt um Fukushima untersucht, und stellt die Ergebnisse ähnlicher Untersuchungen dar, die er in Tschernobyl unternommen hat. Die Frage, wie weit solche Befunde auf den Menschen übertragbar sind, wird mit der nötigen Vorsicht behandelt.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Es wird eine Vielzahl von Einschätzungen und Fakten genannt (z.B. Einfluss der Verstrahlung auf die Tierwelt, Kontamination des Grundwassers durch überlaufende Rückhaltebecken). Die Aussagekraft der verschiedenen Untersuchungen wird aber nicht deutlich: Im Bild sieht man einen Biologen Insekten fangen, was zwar ein schönes Bild ist, aber nicht viel über die Methodik aussagt. So hätte man im Sprechertext auch in der Kürze der Zeit wenigstens den einen oder anderen Aspekt zur Aussagekraft thematisieren können, etwa der Art: Hat der Biologe vor allem Bestandsaufnahmen gemacht? Weiß man, wie viele Arten und wie viele Tiere (Individuendichte) vor dem Unglück in dieser Region zu finden waren? Wie stark haben sich diese Zahlen verändert? Wie lassen sich die Daten von Tschernobyl mit denen von Fukushima vergleichen?

Das Gleiche gilt für die Aussagen der Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA), die offenbar Entwarnung gibt. Man erfährt: Die Experten waren in der Region unterwegs. Aber was haben sie dort gemacht? Messungen? Wo und wie viele? Wieso kommen sie zu ganz anderen Einschätzungen als die später genannte Kritikerin? Auch die Angabe, dass Wasser 800.000 Bequerel Tritium pro Liter enthält, bleibt ohne Erklärung. Von einem durchschnittlichen Fernsehzuschauer ist kaum zu erwarten, dass er diesen Wert einordnen kann.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Beitrag zieht mehrere Quellen und Experten heran, die die Situation in Fukushima sehr unterschiedlich bewerten. Zuschauerinnen und Zuschauer werden so mit Standpunkten verschiedener Experten konfrontiert, deren Hintergrund jeweils erläutert wird: Die IAEA wird indirekt als kernenergiefreundlich vorgestellt („Die IAEA , so meinen Kritiker, tendiere dazu, die Folgen radioaktiver Strahlung kleinzureden.“). Auch die kritische Expertin vom Institut für nachhaltige Energiepolitik und der Biologe von der University of South Carolina, über dessen Arbeit der Beitrag berichtet, werden eingeordnet; bei dem Wissenschaftler wird dessen gut 10-jährige Erfahrung mit Forschungsarbeiten in Tschernobyl genannt. Interessenkonflikte, die die Unabhängigkeit des Forschers in Frage stellen könnten, werden nicht angegeben, sind für uns aber auch nicht ersichtlich.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag stellt einerseits die Forschungsarbeiten eines  Biologen vor, andererseits Aussagen der Atomenergiebehörde IAEA. Außerdem kommt eine Vertreterin des Instituts für nachhaltige Energiepolitik  zu Wort. Weitere Aufnahmen zeigen die übergelaufenen Wassertanks auf dem Kraftwerkgelände.

Die Forschungsarbeiten des US-Biologen Timothy Mousseau ergaben dem Bericht nach, dass es in hochverstrahlten Orten um Fukushima weniger Vögel und eine geringere biologische Vielfalt gibt. Die IAEA hält die Situation um Fukushima für wenig problematisch – der radioaktive Müll werde sicher gelagert, Lebensmittel aus der Region könnten bedenkenlos gekauft werden. Die Kritikerin vom Institut für nachhaltige Energiepolitik betont dagegen, die Lage sei nicht unter Kontrolle, verunreinigtes Wasser habe das Grundwasser kontaminiert.

Insofern werden Vertreter unterschiedlicher Standpunkte vorgestellt. Indes beziehen sie sich nicht aufeinander, sondern äußern sich jeweils zu unterschiedlichen Themen. Weder werden die Äußerungen aus dem IAEA-Bericht konkret hinterfragt (etwa die dabei erwähnte Lebensmittelkontrolle), noch die Forschungsergebnisse des Biologen. Insgesamt wird dennoch deutlich, dass es neben dem Lob der IAEA für die japanischen Behörden auch sehr viel kritischere Einschätzungen der Lage von verschiedenen Seiten gibt. Wir werten daher noch „knapp erfüllt“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Von der Universität von South Carolina gibt es eine zum Zeitpunkt der Sendung schon etliche Wochen zurückliegende Pressemitteilung zu den Arbeiten des Wissenschaftlers Timothy Mousseau. Der Beitrag bezieht jedoch ganz unterschiedliche Quellen ein: Neben Mousseau die IAEA und eine Expertin vom Institut für nachhaltige Energiepolitik. Damit geht er deutlich über eine Pressemitteilung hinaus.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird klar, dass der  Expertenbericht der IAEA den Anlass für eine aktuelle Berichterstattung darstellt. Er wird „heute“ (also am Tag der Sendung) an die japanische Regierung überreicht, die Datenerhebung dazu fand „gerade“ statt. Auch wird berichtet, dass das Forschungsprojekt des vorgestellten Biologen erst angelaufen ist. Der Zuschauer erfährt also, dass er – im Falle des IAEA-Berichts – aktuell informiert wird, und dass der Beitrag außerdem über erste Ergebnisse eines noch nicht abgeschlossenen Forschungsprojekts berichtet.

In der Anmoderation wird erläutert, dass es sich um ein langfristiges Problem handelt: „Diese nukleare Katastrophe hat im März 2011 lediglich begonnen. Sie dauert an.“

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag nennt keine Lösungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen. Hinsichtlich der radioaktiven Belastung der Natur um Fukushima ist dies auch kaum zu erwarten. Doch in Bezug etwa auf die „rostenden Wassertanks“ und den Schutz des Grundwasser wäre die Erwähnung von Lösungsansätzen wichtig; oder auch die Information, warum bisherige Versuche, das Problem in den Griff zu bekommen, gescheitert sind.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Situation in Fukushima und stellt Vergleiche zu Tschernobyl an. Es wird klar, dass es vor allem um die stark kontaminierte Sperrzone geht. Doch  drängen sich weitergehende Fragen auf: Nach welchen Kriterien ist das Untersuchungsgebiet für die biologischen Untersuchungen definiert? Werden die Auswirkungen durch Vögel und Insekten auch in andere Regionen getragen? Auch bei anderen Aspekten wäre zumindest die eine oder andere zusätzliche Informationen zur räumlichen Dimension interessant gewesen – wie weiträumig ist etwa das Grundwasser radioaktiv kontaminiert? Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag geht nicht auf die zeitliche Dimension ein – könnte das aber durch den Vergleich mit Tschernobyl durchaus tun. Seit wann wurden Mutationen und Schäden bei Tieren und Pflanzen beobachtet, wie lange ist damit zu rechnen? Ist es abzuschätzen ob/ bis wann sich die Artenvielfalt wieder erholt? Wird das Grundwasser dauerhaft verseucht? Da keiner dieser Punkte auch nur exemplarisch angesprochen wird, werten wir „nicht erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

In dem Beitrag geht es zum einen um Grundlagenforschung, die präzisere Aussagen über die biologische Wirkung radioaktiver Strahlen nach einem Reaktorunfall möglich machen soll. Hier sind die Kosten ein eher untergeordneter Aspekt.

Zum anderen werden aber Themen wie die Dekontamination der radioaktiv verseuchten Gebiete und die Belastung des Grundwasser angesprochen, die Überwachung von Lebensmitteln aus der Region Fukushima und die ungeklärte Frage: „Wohin mit all dem Kühlwasser, das in rostenden Tanks gesammelt wird?“ Hier wären wirtschaftliche und soziale oder politische Gesichtspunkte interessant: Was kostet die Dekontamination und die Überwachung der Lebensmittel? Wirkt sich das belastete Grundwasser auf die Wasserversorgung in der Region aus? Welche Kosten sind bisher entstanden, welche zu erwarten? Wer muss dafür aufkommen? Zumindest exemplarisch wären solche Fragen anzusprechen gewesen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Unglück von Fukushima und seine Folgen sind nach wie vor relevant. Der Bericht der IAEA ist ein aktueller Anlass für die Berichterstattung.

Als weitere aktuelle Probleme werden in der Anmoderation die Wirbelstürme und „sintflutartigen Regenfälle“ der vergangenen Tage genannt, die die Rückhaltebecken in Fukushima zum Überlaufen brachten, sowie ein bevorstehender Taifun, der die Lage weiter verschlimmern könnte.

Mit dem Blick auf die Folgen für Tiere wie Insekten und Vögel und die übrige Umwelt greift der Beitrag einen noch vergleichsweise wenig beachteten Aspekt auf. Hier die laufenden Arbeiten eines Wissenschaftlers darzustellen ist eine gelungene Herangehensweise.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag startet interessant, indem er den Zuschauer bildlich in die Sperrzone von Fukushima mitnimmt. Dort läuft ein „einzigartiges Forschungsprojekt“ – und tatsächlich sehen wir Bilder, die wir im Zusammenhang mit Fukushima noch nie gesehen haben: Ein Biologe fängt Insekten. Leider erfährt man aber nicht, was an diesen Tieren untersucht wird. An der Grenze zur Text-Bildschere ist es, wenn Bilder von Vögeln gezeigt werden und dabei von der Übertragbarkeit von Ergebnissen von Tieren auf Menschen und von krebskranken Kindern die Rede ist –  zumal nicht erläutert wird, ob beispielsweise bei Vögeln eine erhöhte Tumorrate gefunden wurde. Und zumindest Geschmacksache ist es, wenn der Sprecher später von einem Wettrennen in Fukushima spricht und der Biologe dazu den Insekten hinterher rennt.

Der Zusammenhang zwischen den vielen angesprochenen Themen – vom IAEA-Bericht über das Forschungsprojekt bis zur aktuellen Wetterlage – hätte deutlicher werden können.

Trotz dieser Schwierigkeiten vermittelt der Beitrag einen  Eindruck von der Lage in Fukushima, von den Schwierigkeiten, sie richtig einzuschätzen und der Notwendigkeit unabhängiger Forschung. Wir werten noch „knapp erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar