Bewertet am 16. September 2013
Veröffentlicht von: Stuttgarter Zeitung
Windkraftdrachen könnten eine neue Möglichkeit sein, Strom aus Windkraft zu erzeugen. Der Beitrag, der in der Stuttgarter Zeitung erschienen ist, beschreibt verschiedene technische Ansätze zu diesem noch wenig bekannten Konzept und vergleicht die neue Technik mit herkömmlichen Windrädern.

Zusammenfassung

Der Beitrag beschreibt noch in der Entwicklung begriffene Technologien zur Nutzung der Windenergie mit Windkraftdrachen. Er greift damit ein originelles und in der aktuellen Diskussion um die Energiewende relevantes Thema auf. Es werden Vertreter von zwei Unternehmen befragt, die verschiedene Varianten der Windkraftdrachen entwickeln, sowie ein von diesen Firmen unabhängiger Wissenschaftler. Der Beitrag nennt viele Zahlen und Fakten, deren Herkunft und Aussagekraft jedoch nicht immer deutlich wird. Eine kritische Diskussion von Vor- und Nachteilen fehlt ebenso, wie nähere Informationen zum Entwicklungsstand der vorgestellten Technologien.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

In dem Text geht es nicht um ein konkretes Umweltproblem, sondern um eine neue Technologie zur Energieerzeugung aus regenerativen Quellen. Umweltprobleme oder der Grund für die Notwendigkeit, weitere alternative Energiequellen zu finden, werden nicht angesprochen. Allerdings kann dieser Kontext als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Hier nochmals die Gefährdung des Klimas durch die CO2-Emissionen herkömmlicher Energiequellen zu diskutieren ist im Rahmen dieses Beitrags nicht erforderlich.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag zitiert für die zahlreichen genannten Zahlen keine Studien, sondern nennt (z.T. ohne konkrete Quelle) nur Schätzungen bzw. berichtet von einem Testlauf. Es wird nicht klar, woher Angaben wie die durchschnittlich 215 Tage Stillstand von Windrädern stammen. Auch werden die „Ingenieure“ nicht genannt, die die Strom-Gestehungskosten berechnet haben. Da am Fraunhofer- Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart offensichtlich Simulationen dazu durchgeführt wurden, hätte dies auch angegeben werden können.

Die angeführten Vergleiche zwischen der Leistung von Windkrafträdern und Windkraftdrachen wirken eher verwirrend, so z. B. die Aussage: „Bei Testläufen wurden bisher Leistungen bis zu 120 Kilowatt erbracht. Zum Vergleich: herkömmliche Windräder hierzulande kommen im Schnitt auf 2,2 Megawatt.“ oder „In der Theorie kann so mit einem einzigen Drachen (englisch: kite) eine Kraftwerksleistung von mehr als einem Megawatt erzielt werden.“ Unter welchen Bedingungen/über welchen Zeitraum hinweg wird diese Leistung erbracht? Bei welcher Windstärke? Sind die Werte überhaupt vergleichbar? Die Angaben zu den Betriebszeiten (Windkrafträder: bestenfalls 150 Tage/Jahr, Kites: 90% „der Zeit“) sind griffiger, aber auch hier wäre es schön, wenn der Beitrag bei einer Einheit bliebe, also 150 vs. 329 Tage oder 41% vs. 90%. Die Aussage, dass ein Drachen vom Boden aus gesehen nicht größer wirkt als eine 20 Cent Münze, ist dagegen sehr anschaulich. Insgesamt wird aber die Aussagekraft der Zahlen für Leserinnen und Leser nicht deutlich genug.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Es werden drei Experten zitiert; dabei wird klar, dass zwei als Firmeninhaber bzw. Geschäftsführer Eigeninteressen haben und der dritte ein Wissenschaftler der Universität Stuttgart ist. Dass er eine Stiftungsprofessur innehat, wird korrekt genannt. Eine Verbindung zu den im Beitrag genannten Unternehmen ist, soweit wir das im Rahmen einer kurzen Recherche feststellen konnten, nicht gegeben, insofern auch kein verborgener Interessenkonflikt. Dass die Beteiligung des Fraunhofer IPA nur kurz angesprochen und nicht weiter erläutert wird, ist bedauerlich. Es wird somit nicht klar, welche Angaben evtl. auf Untersuchungen dieses Instituts zurückzuführen sind. Ebenso hätte deutlicher werden können, welche Aussagen des Beitrags auf Angaben der Unternehmen beruhen. So ist der genannte Vorteil der Materialeinsparung von der Homepage des Unternehmens NTS Energie- und Transportsysteme „entliehen“ und dabei nicht eindeutig als Aussage der Firma gekennzeichnet. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Die neue Technik wird mit etablierten Windrädern verglichen. Dabei werden fast ausschließlich die Vorteile der neuen Technologie herausgearbeitet, z.B. dass Windkraftdrachen-Anlagen dezentral und potenziell mobil seien. Mögliche Probleme (Steuerung, Verschleiß, Bodenverbrauch, unerwünschte und unerwartete Effekte) werden jedoch nur am Rande angesprochen. Bei der Frage, warum Windkraftdrachen nicht schon eingesetzt werden, würde man eine kritische Diskussion von Vor- und Nachteilen bzw. des Entwicklungsstandes der Technik erwarten. Die Antwort des wissenschaftlichen Experten, dass noch nicht absehbar sei, welche der verschiedenen Windkraftdrachen-Technologien sich durchsetzen wird, ist hier zu allgemein. Auch fehlt die Einordnung durch einen Energie(politik)-Experten, inwieweit sich hier eine ernsthafte Konkurrenz zu etablierten Techniken anbahnen könnte. Nur ein möglicher Interessenskonflikt mit der Luftfahrt wird von dem Windkraft-Experten der Universität Stuttgart angesprochen, aber als lösbar dargestellt. Hier wäre es z.B. interessant gewesen, dazu Experten einer Luftfahrtbehörde zu hören. Auf mögliche Konflikte mit dem Vogelschutz, wie sie ja bei Windkrafträdern durchaus gegeben sind, geht der Beitrag nicht ein. Auch der Platzbedarf solcher Anlagen wird nicht problematisiert (siehe dazu Kriterium 8).

Der Artikel weist zwar auf noch zu lösende Probleme auf dem Weg zur Marktreife hin – technische, und v.a. Finanzierungs- und Genehmigungsfragen – streift diese aber nur am Rande. Insgesamt liest sich der Beitrag eher als „Jubelartikel“ und wirkt aufgrund der Auswahl der Quellen und Recherchepartner recht unkritisch.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Artikel ist mutmaßlich inspiriert von einer Pressemeldung des Fraunhofer-Instituts zu dem Projekt, geht aber über das Pressematerial deutlich hinaus. So wurde mit den beiden Firmenleitern und einem unabhängigen Experten gesprochen.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Artikel erweckt den Eindruck, dass es sich bei dem Konzept der Windenergie-Drachen um eine völlig neue Technologie handelt, die zwar noch in der Entwicklung begriffen ist, von der technischen Seite her aber recht kurz vor dem praktischen, wirtschaftlich lohnenden Einsatz steht. („Po Wen Cheng von der Universität Stuttgart sieht kein technisches Problem.“)

Die Pressemitteilung des Fraunhofer-Instituts stammt aus dem Dezember 2012 – warum ein Beitrag dazu im September 2013 erscheint, wird nicht deutlich. Auf der Firmen-Homepage von „EnerKite“ findet man Hinweise, dass hier schon länger an der Technologie getüftelt wird: So entwickelt einer der dort beschäftigten Industriedesigner seit 2002 Energiedrachen. Insgesamt sind Ideen zur Energiegewinnung aus Höhenwinden nicht neu. Der Beitrag versäumt es, darauf hinzuweisen.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Artikel legt im Wesentlichen dar, wie die vorgestellte Technologie funktioniert und worin ihre Vorteile bestehen. Damit beschreibt er einen Lösungsansatz, der die Effizienz der Gewinnung von Windenergie und ihren Anteil an der Stromversorgung in Deutschland steigern soll.

Der Beitrag erwähnt einige Probleme, die noch zu lösen sind (technische, Finanzierungs- und Genehmigungsfragen), geht allerdings auf diese nicht näher ein und nennt auch keine potenziellen Lösungsansätze/Handlungsoptionen dazu. Wie in Deutschland eine Erhöhung des Windenergie-Anteils durch Kite-Kraftwerke in der Praxis erreicht werden könnte, bzw. was (nach Lösung der technischen Probleme) wirtschaftlich/ politisch/ raumplanerisch nötig wäre, erfahren Leserinnen und Leser nicht.

Alternativ-Technologien werden nur kurz benannt. Vor- und Nachteile werden lediglich im Vergleich mit Windrädern ausgeführt. Das Kriterium ist daher nur knapp erfüllt.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Aus dem Statement des Geschäftsführers von „EnerKite“ geht hervor, dass eine mobile Energiedrachen-Technologie weltweit einsetzbar sein soll. Als Beispiele nennt er Inseln (z. B. in Großbritannien) und Gebiete mit unzuverlässiger Stromversorgung (z.B. in Afrika). Weitere Aussagen dazu von unabhängiger Seite werden nicht eingeholt, es fehlen daher Daten zu der Frage, welchen Beitrag zur globalen Energieversorgung solche Anlagen tatsächlich leisten könnten.

Vor allem aber wird das zentrale Problem der Flächennutzung durch ein solches Kraftwerk nicht deutlich gemacht. Der Beitrag erweckt den Anschein, dass dieser Art der Stromerzeugung weniger invasiv sei als etwa Windräder. Er erwähnt dabei nicht, dass Trassen angelegt werden müssen, dass also Boden versiegelt wird. Das Problem der Flächenkonkurrenz zwischen landwirtschaftlicher Nutzung, Umweltschutz und anderweitiger Nutzung durch den Menschen wird nicht angesprochen.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Artikel gibt weder an, wie lange die Entwicklungsarbeiten schon dauern, noch nennt er einen Zeithorizont zur praktischen Einsetzbarkeit von Windenergiedrachen-Anlagen. Es heißt lediglich sehr vage, bis zur Marktreife sei es noch „ein weiter Weg“. Sowohl technische als auch Finanzierungs- und Genehmigungsfragen müssten geklärt werden. Dazu gibt es Widersprüche im Artikel (siehe auch Kriterium 6), die nicht ausreichend geklärt werden.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Artikel nimmt Bezug auf wirtschaftliche Vorteile der Technologie (höhere Effizienz, geringerer Materialaufwand) und auf Vorteile für Anrainer (die Anlagen sind leiser, kein Disco-Effekt durch periodische Lichtreflexionen der Rotorblätter, Drachen verstellen den Blick nicht etc.). Regulierungsbedarf wird angesprochen.

Der Beitrag nennt Stromerzeugungskosten im Vergleich zu Windkrafträdern, allerdings wird nicht erläutert, wie diese ermittelt wurden. Auf Kosten für den Bau der Anlagen geht der Text dagegen nicht ein. Dabei wäre ein Vergleich mit Windrädern interessant gewesen. Hierzu finden sich Angaben auf den Webseiten des Unternehmens NTS, dem hätte man nachgehen und die Aussagen überprüfen können.

Da jedoch beim aktuellen Entwicklungsstand möglicherweise noch nicht alle Kostenaspekte genau bekannt sind, werten wir noch „knapp erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist vor dem Hintergrund der CO2-Debatte und der Energiewende relevant und beschreibt einen originellen Lösungsansatz. Die Erschließung neuer alternativer Energiequellen – auch die Erprobung ausgefallener Konzepte – ist ein wichtiges Thema der Forschung. Einen aktuellen Aufhänger für das Thema lässt der Artikel allerdings unter den Tisch fallen: die „Airborne Windenergy Conference“ in Berlin am 10. und 11.9.2013, bei der überwiegend Technologie-Unternehmen Innovationen in der Windenergie-Technologie präsentieren/diskutieren (und wo der zitierte Unternehmer Uwe Ahrens auch einen Vortrag hielt).

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel liest sich flüssig, und ist verständlich geschrieben. Er liefert nicht nur interessante Fachinformationen, sondern stellt auch die Herausforderungen dar, denen sich der Haupt-Protagonist (Uwe Ahrens) gegenübersieht (z.B. die Suche nach Investoren) . Mit der Person des Unternehmers, der „für seine Sache brennt“ und an sie glaubt, gewinnt das Thema auch eine menschliche Komponente. Allerdings wird die neue Technologie gar zu unkritisch vorgestellt. Wir werten noch knapp „erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine fachlichen Fehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar