Bewertet am 3. September 2013
Veröffentlicht von: taz - die tageszeitung

Der Beitrag, der in der „tageszeitung“ erschien, berichtet über ein aktuelles Kurzgutachten zur Novellierung der Düngeverordnung, das die Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik und für Düngungsfragen beim Bundeslandwirtschaftsministerium und des Sachverständigenrates für Umweltfragen erstellt haben. Der ansonsten meist sachliche Tenor des Beitrags, der die unterschiedlichen Standpunkte nennt, wird durch eine reißerische Überschrift konterkariert.

Zusammenfassung

Der nachrichtliche Beitrag nennt die wesentlichen Fakten und Standpunkte zum Problem der Überdüngung. Es wird klar, dass festgelegte Ziele zur Verringerung des Stickstoffüberschusses nicht erreicht wurden. Allerdings erläutert der Artikel die dazu genannten Zahlen nicht. Es wird nicht klar, wie sie erhoben wurden, und dass es Unsicherheiten bei der Datenlage gibt. Der Beitrag ordnet die Problematik wird zwar zeitlich und räumlich ein, dabei fehlen aber jeweils wichtige Aspekte, etwa der Hinweis darauf, dass auch europäische Umweltziele verfehlt wurden, und die EU deutlichen Änderungsbedarf angemahnt hat. Die Kriterien 7 und 8 wurden jeweils von einer Gutachterin  als „erfüllt“, von der anderen als „nicht erfüllt“ gewertet. Beide kamen so im Gesamtergebnis zu 3 Sternen. Wir werten beide Kriterien als knapp erfüllt, was zu einer Gesamtwertung von 4 Sternen führen würde. Wegen der dramatisierenden Überschrift und weiterer Schwächen bei der Darstellung werten wir jedoch um einen Stern ab.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Die massive Düngung in der Landwirtschaft und ihre Folgen sind ein ernstes Umweltproblem. Dennoch wird die Gefahr hier übertrieben dargestellt, besonders in der Überschrift: „Düngen, bis das Meer tot ist“. Das gilt auch für die Unterzeile: „verseuchtes Trinkwasser, Artensterben“. Das schürt Emotionen. Der Text ist vorsichtiger und sachlicher, aber auch dort wird – im Zusammenhang mit dem Einfluss auf das Algenwachstum – der Artentod heraufbeschworen, ohne etwa zu belegen, welche Arten im Meer die Düngung „tötet“. Negative Umweltfolgen werden so ohne Zusammenhänge und Gewichtung genannt. Vom Experten-Gutachten ist dies so nicht gedeckt. Die Art der Darstellung ist daher insgesamt zu dramatisierend.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag erklärt nicht, mit welchen Methoden die im Expertengutachten enthaltenen Zahlen und Daten erhoben wurden. Viele Zahlen und Fakten kann der Leser nicht einordnen: Welche Folgen hat ein Stickstoffüberschuss von 97 Kilogramm pro Hektar? Warum wurde ein Zielwert von 80 Kilogramm Überschuss gewählt?

Hier würden konkrete Informationen weiterhelfen, etwa dazu, welche Werte sich in Flüssen bzw. im Grundwasser finden. Gleiches gilt für die Information, dass Lachgas ein 300mal aggressiveres Treibhausgas ist als CO2. Um diesen Wert einordnen zu könnten, müsste der Leser beispielsweise erfahren, welchen Anteil die Düngung am Treibhauseffekt hat. Diese Angaben wären dem Gutachten der Sachverständigen zu entnehmen gewesen.

Der Text betont zudem einseitig die ungünstigen Seiten der Entwicklung. Dabei bezeichnen die Gutachter selber den Fortschritt der letzten 20 Jahre immerhin als „beachtlich“, auch wenn „mit der Düngegesetzgebung verfolgte Umweltziele im Agrarbereich Deutschlands nach wie vor nicht erreicht“ worden seien. Es wird auch nicht deutlich, dass die Datenlage Unsicherheiten aufweist. Dabei besteht nach Aussage der Sachverständigen ein „Schlüsselproblem“ gerade darin, dass auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben bisher noch gar „nicht ausreichend erfasst wird, welche Nährstoffüberschüsse dort anfallen“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die wesentlichen Quellen werden genannt, also z.B. „Berater des Agrarministerium“ und  der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Konkrete Namen oder Institute fehlen, sind hier aber auch nicht zwingend nötig. Der Beitrag enthält ebenfalls knappe Stellungnahmen der betroffenen Akteure Deutsche Bauernverband und Agrarministerin, deren Interessenlagen auf der Hand liegen.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Gutachten zur Düngeverordnung. Der Schwerpunkt liegt klar auf den darin geschilderten negativen Folgen der Düngung auf die Umwelt. Es werden aber auch  die unterschiedliche Sicht von Deutschem Bauernverband und Agrarministerium als Gegenpositionen genannt.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Zum Gutachten, über das der Beitrag berichtet, liegt eine Pressemitteilung vor. Der Text enthält aber darüber hinausgehende Informationen und Stellungnahmen, darunter auch ein Zitat aus dem Originaltextes des Expertengutachtens: „Darunter leidet nicht nur die Qualität der Oberflächen- und Grundgewässer, auch die biologische Vielfalt wird deutlich beeinträchtigt“. Auch nennt der Beitrag einige Zahlen aus der Studie, die nicht in der Pressemitteilung enthalten sind, und enthält Stellungnahmen anderer Akteure (siehe Kriterium 4 „Pro und Contra“).

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird klar, dass es sich bei dem Thema Überdüngung um ein seit langem bestehendes Problem handelt, zu dem jetzt ein neues Gutachten vorliegt. Mit der Stellungnahme aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium („Wir sind mit der Novellierung der Düngeverordnung auf dem richtigen Weg“, sagte eine Sprecherin der Behörde. Dabei diene das Gutachten der Wissenschaftler als „Input“) wird im Beitrag auch deutlich, dass neue Regulierungen bevorstehen.

Gut wäre es noch gewesen darauf hinzuweisen, dass die Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik und für Düngungsfragen beim Bundeslandwirtschaftsministerium, sowie der Sachverständigenrat für Umweltfragen „den dringenden politischen Handlungsbedarf … zum ersten Mal seit ihrem Bestehen zum Anlass für eine gemeinsame Stellungnahme“ nehmen und eine über die bisherigen Vorschläge hinausgehende Reform der Düngegesetzgebung fordern, wie aus der Pressemitteilung ersichtlich ist.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag nennt als Lösungsmöglichkeiten die Verlängerung von Sperrfristen für das Ausbringen von Dünger, bessere Kontrollen und schärfere Sanktionen. Angesichts dessen, dass sich das Gutachten wesentlich ausführlicher mit dem Thema Lösungsmöglichkeiten beschäftigt, hätte der Beitrag allerdings deutlicher machen können, dass hiermit nur Beispiele genannt werden, und das Gutachten noch eine lange Liste mit weiteren Vorschläge enthält. Schwer nachvollziehbar ist, dass ausgerechnet eine Forderung, der die Experten eine „Schlüsselrolle“ zuweisen, nämlich die nach „Einführung einer umfassenden und aussagekräftigen Nährstoffbilanzierung (Hoftorbilanz)“, unerwähnt bleibt.

Wir werten dennoch, auch angesichts der Kürze des Beitrags, „erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Beitrag macht klar, dass es sich nicht um ein lokal begrenztes Problem handelt und dass die Überdüngung in der Landwirtschaft Folgen hat, die über den Acker hinausreichen: Betroffen sind z.B. Gewässer, Atmosphäre, Meer und Trinkwasser.

Dass es beim Stickstoff-Überschuss regionale Unterschiede gibt, erwähnt der Artikel knapp. Dabei wird schärfer formuliert, als es durch das Gutachten gedeckt ist. Im Beitrag heißt es: „Dennoch steige in vielen Regionen mit intensiver Tierhaltung und Bioenergieproduktion der Stickstoffüberschuss sogar noch, schreiben die Gutachter“. Dagegen formuliert das Gutachten vorsichtiger, dass „einige Studien Indizien dafür“ liefern würden, dass z.B. in Regionen mit intensiver Tierhaltung und Bioenergieproduktion „eher eine Stagnation oder sogar ein Anstieg der Nährstoffsalden zu verzeichnen“ sei.

Mehr konkrete Aspekte  – welche Regionen sind besonders betroffen? – wären für Leserinnen und Leser interessant gewesen. Das Gutachten verweist beispielsweise darauf, dass stabil hohe Stickstoffüberschüsse besonders in den Zentren der Tierhaltung in Nordwest-Deutschland zu beobachten seien.

Die für dieses Thema wichtige europäische Dimension bleibt außen vor, zu der es im Gutachten beispielsweise heißt: „Auch die EU hat deutlichen Änderungsbedarf angemahnt.“

Angesichts dessen, dass es sich um einen kurzen Beitrag handelt, der nicht alle Aspekte umfassend darstellen kann, werten wir noch „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Zeitliche Aspekte erwähnt der Beitrag nur kurz. Es wird klar, welchen Zeitraum das Gutachten umfasst (2009 bis 2011), und dass Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie (Stickstoffüberschuss bis 2010 auf maximal 80 Kilo senken) verfehlt wurden. Auch mit der Passage „Der Deutsche Bauernverband erklärte, dass ‚in den letzten 20 Jahren beachtliche Fortschritte bei der Düngung erreicht‘ worden seien. Tatsächlich ist der durchschnittliche Stickstoffüberschuss laut Gutachten in diesem Zeitraum gesunken.“ ist die zeitliche Dimension angesprochen. Die geplante Novelle der Düngeverordnung verweist auf die Zukunft.

Besser wäre es gewesen, diese Prozesse zeitlich konkreter zu verankern: Seit wann wird beispielsweise an einer Novellierung der Düngemittel-Verordnung gearbeitet? Eine letzte Novelle wurde erst Ende 2012 verabschiedet.  Wann ist mit der nächsten Novelle zu rechnen?

Auf die zeitliche Dimension des Problems der Überdüngung selbst geht der Beitrag nicht ein: In welchem Zeitrahmen wirken sich erhöhte Nitratwerte aus? Wann wäre mit dem Aussterben von Arten durch Überdüngung der Meere zu rechnen? Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag macht keine Angaben über mögliche Gründe, die dazu führten, dass die Ziele, die Überdüngung einzuschränken, nicht eingehalten wurden. Stecken wirtschaftliche Zwänge dahinter? Welche Kosten verursacht die starke Stickstoff-Düngung für die Allgemeinheit (z.B. Trinkwasseraufbereitung)? Lohnt sie sich für die Landwirte? Warum überhaupt düngen Landwirte so intensiv, welche politischen/ ökonomischen Anreize bringen sie dazu? Eine interessante Aussage aus dem Gutachten zum Verhältnis von Lebensmittelpreisen und Düngemittelkosten erwähnt der Artikel nicht („Da die Intensität der Stickstoffdüngung auch maßgeblich durch das Verhältnis von Produktpreisen für landwirtschaftliche Güter zu Düngemittelpreisen bedingt wird … und dieses in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist, ist zu erwarten, dass der N-Düngereinsatz unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen zukünftig eher steigen als sinken dürfte.“). Da Fragen zu solchen Kontexten nicht einmal gestreift oder angedeutet werden, ist das Kriterium nicht erfüllt.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Die Düngeproblematik ist zwar ein Dauerbrenner in der Umweltberichterstattung, das Thema ist aber nach wie vor relevant. Die Veröffentlichung eines Sachverständigengutachtens erscheint  wichtig genug, um ein so anhaltend wichtiges Thema nachrichtlich aufzugreifen. Auch die anstehende Novellierung der Düngeverordnung gibt einen Anlass für die Berichterstattung.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Text ist weitgehend verständlich, mit relativ vielen Informationen auf vergleichsweise engem Raum. Der Stil ist einem nachrichtlichen Text angemessen.
Bei einigen Zahlen und Fakten hätte man sich eine bessere Einordnung und Erläuterung gewünscht. So zum Beispiel bei der Frage, was unter den verlängerten „Sperrfristen“ zu verstehen ist, die von den Sachverständigen empfohlen werden. (Erklärung, siehe z.B. hier).

Die extrem dramatisierende Überschrift, deren Inhalt weder durch die nachfolgenden Ausführungen gedeckt ist, noch durch das Gutachten, auf das der Text sich bezieht, ist dem Inhalt jedoch nicht angemessen. Da zudem weitere Kriterien (räumliche und zeitliche Dimension) jeweils nur sehr knapp erfüllt sind, werten wir wegen Mängel in der journalistischen Darstellung um einen Stern ab.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Bis auf die erwähnte Überspitzung einiger Fakten – exemplarisch in Überschrift und Teaser – sind uns keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Wegen Mängeln in der journalistischen Darstellung werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar