Bewertet am 28. August 2013
Veröffentlicht von: Rheinische Post

In einem Interview, veröffentlicht in der Rheinischen Post, wird die Frage erörtert, ob so genannter Flüsterasphalt eine gute Lösung für das Verkehrlärmproblem an einer innerörtlichen Straße ist. Ein Experte erläutert Vor- und Nachteile und nennt Alternativen. Indes sind die vielen interessanten Informationen durch die verwendete Fachsprache kaum allgemeinverständlich.

Zusammenfassung

Der Beitrag behandelt ein für eine Lokalzeitung relevantes Thema: Die Entscheidung eines Stadtrates, auf einem lämbelasteten Straßenabschnitt „Flüsterasphalt“ verlegen zu lassen. Der Artikel nennt Vor- und Nachteile des lärmmindernden Straßenbelags und enthält viele interessante technische Details. Auch erwähnt er alternative Möglichkeiten die Lärmbelastung zu verringern. Doch leider werden diese Inhalte durch die sehr fachliche Sprache kaum verständlich vermittelt. Eine facettenreiche Darstellung von mehreren Seiten bleibt aus. Prinzipiell ist das Experteninterview eine originelle Idee, das lokale Thema Straßenlärm aufzugreifen. Leider gelingt es hier mit der Interviewform aber nicht, einen gut lesbaren Text zu verfassen. In diesem Fall wäre eine andere Textform womöglich sinnvoller gewesen, der die Leserinnen und Leser mehr Informationen hätten entnehmen können.

Hinweis: Leider steht der von uns begutachtete Artikel nicht online, und es wurde uns auch von der Redaktion keine Datei zur Verfügung gestellt. Wir haben daher besonders ausführlich aus dem begutachteten Beitrag zitiert, damit die Bewertung dennoch nachvollziehbar wird.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Das Problem, das für die Anwohner durch die Lärmbelastung entsteht, wird sachlich benannt und nicht übertrieben dargestellt. Die Interviewfragen sind weitgehend neutral und nicht suggestiv gestellt. Der befragte Experte Hartmut Beckedahl äußert sich sachlich, beschreibt die Vor- und Nachteile des offenporigen Lärmminderungsasphalts und begründet, warum diese Asphaltart für innerstädtische Gebiete eher ungeeignet ist. Auf die Frage „Normalerweise kennt man Flüsterasphalt von Autobahnen. Macht er auf einem kurzen Streckenstück innerstädtisch überhaupt Sinn?“ erläutert der Experte:

„OPA sollte in ganzer Breite und möglichst ohne Nähte und Anschlüsse eingebaut werden. Die innerstädtisch meist vorhandenen Einbauten (Schieber, Kappen und Schächte) sind in der Regel ein Ausschlusskriterium. Daneben sollte die Anwendung von OPA auf Strecken beschränkt sein, die mit relativ hoher und gleichmäßiger Geschwindigkeit befahren werden wie Autobahnen oder autobahnähnliche Straßen, damit durch den Sog, der am Ende der Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahnoberfläche entsteht, eventuelle Verschmutzungen rückgängig gemacht werden können. OPA macht innerorts kaum Sinn.“

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Alle Informationen im Text stammen von dem Interviewpartner. Dieser ist als Professor der Bergischen Universität Wuppertal mit dem Fachgebiet Straßenentwurf und Straßenbau  ein anerkannter Experte. Im Text fehlen jedoch Informationen, die diese Fachkunde des Gesprächspartners verdeutlichen könnten. Es heißt dazu lediglich  „Asphalt-Experte Professor Hartmut Beckedahl von der Uni Wuppertal erklärt, ob dieses Vorhaben auf einem innerstädtischen Straßenstück sinnvoll ist“, ohne das genaue Fachgebiet des Experten zu nennen. Für Leserinnen und Leser ist es so schwierig, die Aussagekraft seiner Äußerungen zu beurteilen. Weitere Belege werden nicht genannt. So hätte beispielsweise erwähnt werden können, dass das Umweltbundesamt 2009 eine Überblicksstudie über lärmmindernde Straßenbeläge veröffentlicht hat, die zu den gleichen Schlüssen kommt, wie der Experte im Interview.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Es wird lediglich ein Experte befragt, was jedoch angesichts der gewählten Form eines Interviews akzeptabel ist. Dabei wird aber nicht ersichtlich, auf welche Quellenlage der befragte Wissenschaftler sich beruft – ob er beispielsweise eigene Forschungsarbeiten zum Thema durchgeführt hat. Eventuelle Interessenkonflikte werden nicht angesprochen, sind aber nach unseren Recherchen auch nicht erkennbar.

Gerade wenn, wie in Interviews meist üblich, nur ein Experte zu Wort kommt, sollte den Leserinnen und Lesern deutlich gemacht werden, warum gerade dieser befragt wird, und auf welche Datenlage er sich beruft. Informationen zu Ergebnissen Dritter könnten z.B. in den Fragen mit eingebunden werden. Das ist hier nicht der Fall.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Experte stellt die Argumente, die für oder gegen die Verlegung von porösem Asphalt sprechen dar (z.B.: „Den Vorteilen der Wasserableitung und der Lärmreduzierung stehen Nachteile, die mit dem Winterdienst verbunden sind, und die geringere Haltbarkeit der Deckschicht wegen der über die Hohlräume nicht möglichen Kraftübertragung entgegen.“ ). Es gibt – soweit wir es bei unseren Recherchen im Rahmen dieser Begutachtung feststellen konnten – in der Fachdiskussion auch keine Kontroversen darüber.

Demnach ist die Verwendung von „Flüsterasphalt“ bei dem in Frage stehenden Straßenstück aus fachlicher Sicht nicht die optimale Lösung. Dennoch hat der Rat sich dafür entschieden. Die Gründe dafür erschließen sich in dem Beitrag jedoch nicht. Da es hier offensichtlich unterschiedliche Einschätzungen von Experten einerseits und politischen Entscheidern andererseits gibt, hätte das zumindest in den Fragen mit eingebracht werden müssen („Der Rat argumentiert aber…Was sagen Sie dazu?“).

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Eine Pressemitteilung spielt bei diesem Interview offenbar keine Rolle, wir wenden dieses Kriterium daher nicht an.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Man erfährt, dass die Anwohner bereits seit 30 Jahren für Lärmschutzmaßnahmen kämpfen, und dass nun aktuell eine Maßnahme – die Verwendung lärmmindernden Asphalts – beschlossen wurde: „Seit 30 Jahren kämpfen die Anwohner der Max-Planck-Straße für eine Verkehrsberuhigung, weil ihre Straße zwischen zwei Gewerbegebieten liegt. Der Rat hat ihnen jetzt für eine Strecke von 800 Metern einen lärmmindernden oder Flüsterasphalt zugestanden.“

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Experte nennt die in einem innerstädtischen Gebiet sinnvollen Alternativen zum „Flüsterasphalt“. Es werden sowohl verschiedene materialtechnische Lösungen als auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung aufgeführt. Auf die Frage: „Gibt es Ihrer Ansicht nach bessere Methoden, eine Lärmminderung zu erreichen, oder ist Flüsterasphalt die optimale Lösung für das andauernde Problem?“ erläutert der Experte Beckedahl: „Ja, für Innerortsstraßen gibt es bessere Methoden, wenn die örtlichen Gegebenheiten nicht dagegen sprechen. Ob der Einbau eines lärmmindernden Asphaltes Sinn macht, lässt sich anhand von Einsatzkriterien prüfen. Als weitere Methode sind: eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer, der Einsatz von passivem Lärmschutz (Fenster, indirekte Lüftung), die Verwendung des so genannten DSH 5 (dünne Schicht im Heißeinbau mit 5 mm Größtkorn) und die Verwendung lärmmindernder Splittmastix-Asphalte, die Verwendung des so genannten LOA (Lärm-optimierter-Asphalt), die Verwendung lärmmindernder Gussasphalte oder die Verwendung des oberflächlich offenporigen Mastic Asphalt (OMA) denkbar. Die drei letztgenannten Asphaltarten sind noch nicht sehr lange erprobt. Zum Langzeitverhalten liegen daher keine Erfahrungen über die gesamte Nutzungsdauer vor.“

Das Umweltbundesamt hat in seiner Studie zu lärmmindernden Straßenbelägen 2009 über die im Beitrag genannten Möglichkeiten hinaus noch ein weiteres Material – PERS (Pro-Elastic:Rubber-Surfaces) – als mögliche Option genannt, für die aber noch unzureichender Praxiserfahrungen vorlägen. Diese Alternative muss daher nicht unbedingt angesprochen werden. Gut wäre noch ein Hinweis darauf gewesen, dass Maßnahmen wie eine Einschränkung des LKW-Verkehrs oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung für die Anwohner auch über die Lärmminderung hinaus Vorteile haben.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Man erfährt, welcher Ort betroffen ist, und dass Lösungen für das Problem des Straßenlärms sich immer an den lokalen Gegebenheiten orientieren müssen. Dass poröser Asphalt an dem speziell hier betroffenen Straßenabschnitt und in der Innenstadt generell keine sinnvolle Option ist, auf anderen Strecken wie Autobahnen aber schon, wird durch folgende Formulierung hinreichend klar: „Daneben sollte die Anwendung von OPA auf Strecken beschränkt sein, die mit relativ hoher und gleichmäßiger Geschwindigkeit befahren werden wie Autobahnen oder autobahnähnliche Straßen“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Experte weist darauf hin, dass der offenporige lärmmindernde Asphalt in der Innenstadt nicht sinnvoll eingesetzt werden kann, weil er dort nur etwa halb so lange haltbar ist wie gewöhnlicher Asphalt.
Außerdem wird die Entwicklungs- und Anwendungsgeschichte der lärmmindernden Asphalte dargestellt.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Diese Dimensionen fehlen im Interview. Die Kosten für die Verwendung von porösem Asphalt werden zwar angesprochen, aber nicht konkret genannt. Die Frage: “Wie sieht es mit dem Kosten-Nutzen-Effekt aus? Wird das Ganze nicht viel zu teuer?” wird vom Gesprächspartner nicht beantwortet. Er sagt dazu lediglich:  „Der Kosten-Nutzen-Effekt lässt sich nicht ohne nähere Informationen beziffern, da dieser maßgeblich davon abhängt, wie viele Betroffene von der Maßnahme profitieren würden und wie groß die Lärmminderung tatsächlich wird.“

Dabei hätten andere Ausführungen des Experten eine klare Antwort eigentlich möglich gemacht, da er an anderer Stelle anspricht, dass der Nutzen des Belags in der Innenstadt nicht ausreicht, und das die Kosten durch die kurze Lebensdauer offenbar hoch sind. („OPA macht innerorts kaum Sinn“ und  die Lebensdauer des Offenporigen Asphalts sei nur „Ungefähr halb so lang wie bei den “normalen” Asphaltarten.“). Da das Kosten/Nutzen Verhältnis hier eine wichtige Rolle spielt (z.B. für eventuelle Kritik an der Entscheidung des Stadtrates), wäre eine Nachfrage nötig gewesen, warum der Experte sich an dieser Stelle trotz seiner zuvor geäußerten Einschätzung nicht festlegen will.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Es ist eine gute Idee, einen Straßenbauexperten zu befragen, wenn es um eine lokal getroffene Entscheidung, wie den Einsatz von Flüsterasphalt in einem Wohngebiet geht.

Das Thema ist durch die Ratsentscheidung aktuell und der Kampf der Anwohner ist für die lokale Berichterstattung relevant.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Fragesteller ist lediglich Stichwortgeber, es findet keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gesprächspartner statt. Zudem sind die Antworten voll von überlangen Sätzen und nicht erläuterten Fachwörtern. Der Beitrag enthält zwar viele interessante Informationen, doch erreichen diese durch das Fach-Chinesisch kaum ihr Publikum. Schon in der wenig gelungenen Überschrift „Max-Planck-Straße: OPA ist nicht optimal“ taucht eine unverständliche Abkürzung auf, die dann erst in der zweiten Expertenantwort erläutert wird. Dort heißt es dann: Flüsterasphalt ist ein geschützter “Markenname” und wird im Volksmund als Bezeichnung für einen sogenannten offenporigen Asphalt verwendet, der bis vor wenigen Jahren die offizielle Kurzbezeichnung OPA hatte. Durch die Europäische Normung wird dieses Asphaltmischgut mit PA abgekürzt, abgeleitet von der englischen Bezeichnung Porous Asphalt. Das Prinzip dieser Asphaltmischgutart ist der, dass die Korngrößenverteilung so gewählt wird, dass im verdichteten Zustand ein Hohlraumgehalt von 22 bis 28 Prozent enthalten ist. Das ist der deutlichste Unterschied zum “normalen” Asphalt für Deckschichten, der in der Regel im verdichteten Zustand Hohlraumgehalte zwischen 2 und 6,5 Prozent aufweist.

Fachvokabeln bei der Aufzählung von Alternativen wie  „DSH 5 (dünne „Schicht im Heißeinbau mit 5 mm Größtkorn)“ , „Splittmastix-Asphalte“, „lärmmindernder Gussasphalte oder die Verwendung des oberflächlich offenporigen Mastic Asphalt (OMA)“ bleiben ohne jede Erläuterung und daher völlig unverständlich.

Vor allem aber erfährt man nicht,  warum bei „Flüsterasphalt“ eine geringere Geschwindigkeit mehr Lärm bringt.  Zu der  Frage: Müsste der Flüsterasphalt noch mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung kombiniert werden?“ erklärt der Experte  Beckedahl lediglich: „Auf keinen Fall zusätzliche Geschwindigkeitsbegrenzung (bei OPA). Generell gilt für jeden lärmmindernden Asphalt, je geringer die Geschwindigkeit desto geringer ist die mögliche Lärmminderung.“  Warum sich das so verhält, erfährt man nicht. Da der Beitrag aber mit der Unterzeile genau auf diesen Aspekt zugespitzt ist, wäre hier eine Nachfrage und Erläuterung nötig gewesen.

Unzutreffend ist der durch die Unterzeile suggerierte Eindruck, der Experte spreche sich gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung aus („Ein Experte der Wuppertaler Uni schlägt neue Asphaltarten ohne gleichzeitige Geschwindigkeitsbegrenzung zur Lärmminderung vor.“) Tatsächlich nennt er Tempo 30 als eine Alternative zum lärmmindernden Straßenbelag. Da dies jedoch ganz am Ende des Beitrags auftaucht, werden Leserinnen und Leser in die Irre geführt.

Unseres Erachtens ist die Interview-Form hier letztlich nicht gelungen. Während ein Experteninterview zunächst durchaus als interessante Idee erscheint, entsteht dabei im konkreten Fall leider kein allgemeinverständlicher Beitrag. Ein Fließtext – mit einem hohen Zitatanteil des Experten – wäre hier womöglich die bessere Wahl gewesen. Sie hätte es erleichtert, die Informationen zu erläutern und auch den speziellen lokalen Kontext besser einzubinden.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Sachliche Fehler sind uns nicht aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Wegen der Mängel in der journalistischen Darstellung werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar