Bewertet am 12. August 2013
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

Der Radiobeitrag, der im Deutschlandfunk gesendet wurde, befasst sich mit der Frage, wie sich der globale Klimawandel künftig auf die Artenvielfalt auswirken wird. Dabei wird vor allem die Position eines Wissenschaftlers dargestellt, der annimmt, dass sich viele Arten anpassen können oder in andere Regionen ausweichen werden.

Zusammenfassung

Obwohl der Hörfunkbeitrag vor allem die Position eines Wissenschaftlers vorstellt, der eine größere Anpassungsfähigkeit vieler Arten an den Klimawandel annimmt, als bisher aufgrund von Modellrechnungen vermutet wurde, wird das Problem nicht verharmlost. Der Forscher argumentiert, dass Organismen sich im Laufe der Evolution immer wieder an veränderte Klimabedingungen angepasst hätten oder in andere Gebiete ausgewichen seien, wie Fossilienfunde belegten. Allerdings sieht er die Ausweichmöglichkeiten heute durch menschlichen Einfluss eingeschränkt. Er plädiert dafür, „die Kohlendioxidemissionen zu kappen, um die Erwärmung und deren Auswirkungen zu mindern“. Modellrechnungen, die ein Massenaussterben durch den Klimawandel vorhersagen, seien aber übertrieben. Hier wäre es nötig, auch einen Vertreter der Gegenposition zu Wort kommen zu lassen. Auch wird im Beitrag nicht deutlich, dass es sich um eine Debatte handelt, die bereits seit längerem geführt wird.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Zu der Frage, wie der Klimawandel im 21. Jahrhundert die Artenvielfalt beeinflussen wird, kommt ein Forscher zu Wort, der aufgrund von Fossilienfunden eine größere Anpassungsfähigkeit der Arten vermutet, als manche bisher vorliegenden Modellrechnungen ergaben. Es wird aber nicht so getan, als ob das Problem des Artenschwundes damit zu vernachlässigen wäre. Es wird deutlich, dass sich die Wissenschaft mit der Prognose vielschichtiger natürlicher und globaler Prozesse schwer tut. Ob die Anpassungsfähigkeit der Arten, die in der Vergangenheit anhand von Fossilienfunden beobachtet wurde, auch aktuell gegeben ist, wird zumindest mit Vorsicht beurteilt. Denn die Möglichkeit, z.B. bei steigenden Temperaturen in andere Gebiete abzuwandern, ist durch menschlichen Einfluss stark eingeschränkt. Eine weitere Wissenschaftlerin weist zudem darauf hin, dass die Zusammensetzung der Ökosysteme sich mit dem Klimawandel verändert.

Allerdings ist die Überschrift des vom Sender online gestellten Manuskripts („Artenvielfalt könnte durchaus mit Klimawandel mithalten“) nicht mit der gleichen Sorgfalt formuliert und kann den Eindruck erwecken, der Klimawandel sei kein Problem für die Biodiversität.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Es wird klar, dass der Wissenschaftler Craig Moritz, über dessen Arbeit der Beitrag hauptsächlich berichtet, sich vor allem auf Fossilienfunde bezieht, wenn er Modellrechnungen in Frage stellt, die ein Massenaussterben durch den gegenwärtigen Klimawandel vorhersagen. Da es sich bei dem Fachaufsatz um eine Übersichtsarbeit handelt, die eher qualitative Aussagen macht und auf Wissenslücken hinweist, werden hier keine Zahlen angeführt, deren Aussagekraft zu hinterfragen wäre. Stattdessen werden Aspekte genannt, die bei künftigen Abschätzungen des Artenschwundes einzubeziehen wären, etwa das Abwandern von Arten aus Gebieten, deren klimatische Bedingungen zu ungünstig werden.

Die kurze Äußerung der Wissenschaftlerin Jessica Blois wirkt dagegen eher verwirrend. Beim Hören des Beitrags kann zunächst der Eindruck entstehen, auch sie nehme an, dass die Arten relativ gut mit dem Klimawandel zurecht kommen werden, da  dieser ja „seit eh und je“ das Zusammenleben in den Ökosystemen verändere. Unverständlich bleibt dann ihre Aussage im O-Ton, dass z.B.  Karibus sich eben nicht an die veränderten Bedingungen durch Verschiebung des Zeitpunkt des Kalbens anpassen. Eine zentrale Aussage des “Science”-Artikels von Blois bleibt unberücksichtigt. Dort heißt es unter anderem „The combination of climate change, human land use, and unsustainable harvests may ultimately lead to extinction rates rivaling those of major mass extinctions in the geological past”.

Da sich der Beitrag jedoch ganz überwiegend auf die Arbeit von Craig Moritz bezieht, werten wir dennoch „knapp erfüllt“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die Quellen werden durch die Anmoderation deutlich: zwei aktuelle Veröffentlichungen aus einer Ausgabe des  Fachmagazins „Science“, die sich schwerpunktmäßig dem Klimawandel und seinen Folgen widmet. Die beiden Wissenschaftler, die zu Wort kommen, werden nur äußerst knapp vorgestellt (wünschenswert wäre zumindest die Nennung des wissenschaftlichen Fachgebiets).

Interessenkonflikte nennt der Beitrag nicht, solche sind aber auch nicht zu erkennen.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Nur eine der beiden zitierten Arbeiten – die von Craig Moritz – wird angemessen dargestellt. Dass die andere Wissenschaftlerin, die kurz  zu Wort kommt, eine zumindest in Teilen andere Position vertritt, wird nicht hinreichend deutlich. Vor allem aber fehlt eine Stellungnahme der kritisierten Wissenschaftler, die mit Modellen zu anderen Schlüssen kamen. Ob es tatsächlich stimmt, dass alle Modellrechnungen zum Artenschwund die Anpassung und Abwanderung von Arten vernachlässigen, können Hörerinnen und Hörer so nicht beurteilen.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Im Beitrag kommen ausschließlich die in der Pressemitteilung zitierten Forscher zu Wort . Eine über die “Science”-Aufsätze hinausgehende Recherche fehlt. Doch mit den O-Tönen und einigen Beispielen, die in der Pressemitteilung nicht genannt werden, geht der Beitrag über die Pressemitteilung hinaus, daher werten wir noch „erfüllt“.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag macht nicht deutlich, wie neu die aufgeworfene Diskussion – Auswertung von Fossilienfunden versus Modellrechnungen – tatsächlich ist. Für Hörerinnen und Hörer entsteht so möglicherweise der Eindruck, dass bisher nur Modellrechnungen zu der Frage vorlagen, wie sich Klimaveränderungen auf die Artenvielfalt auswirken, und dass das Einbeziehen von Fossilienfunden grundsätzlich neu sei. Doch wird dieses Thema schon seit etlichen Jahren diskutiert, siehe z.B. hier.

Die Frage nach der Anpassungsfähigkeit der Arten an den Klimawandel ist ebenfalls nicht neu.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Lösungsansätze nennt der Beitrag nur in sehr allgemeiner Form: „Es sei entscheidend, die Kohlendioxidemissionen zu kappen, um die Erwärmung und deren Auswirkungen zu mindern“, auch heißt es, man müsse „durch geschicktes Landmanagement den Lebewesen Ausweichmöglichkeiten geben“. Doch wie das aussehen könnte, bleibt verborgen. Hier fehlt ein Satz mit einem konkreten Beispiel, etwa zum Konzept von „Trittsteinen“ und Korridoren, die Lebensräume vernetzen.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Durch Formulierungen wie „Biodiversität unseres Planeten“, wird deutlich, dass es sich bei der Frage, in welchem Maße die Artenvielfalt durch denn Klimawandel beeinflusst wird, um ein weltweites Problem handelt.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Die zeitliche Dimension ist einerseits ein zentrales Thema des Beitrags. Er berichtet, was sich aus  dem Einfluss von Klimaänderungen in der Vergangenheit für die künftige Entwicklung schließen lässt. Doch andererseits erfahren Hörerinnen und Hörer nirgends konkret, von welchen Zeiträumen die Rede ist. Fossilienfunde aus welchen Phasen der Erdgeschichte wurden herangezogen, welche früheren „Zeiten schnellen Klimawandels“ sind gemeint? Auch das Beispiel der Karibus, die „früher genau dann kalbten, als es in der Tundra am meisten zu fressen gab“, bleibt in der zeitlichen Einordnung völlig unklar. Wann früher? Vor 10, 100 oder 1000 Jahren? Auch über das Tempo, mit dem Arten aussterben oder in andere Lebensräume ausweichen – damals und heute –  hätte man gerne mehr erfahren.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Was bedeutet es, wenn viele Arten verschwinden? Was, wenn nicht? Welche Bedeutung der Schwund  oder der möglichst weitgehende Erhalt der Biodiversität für den Menschen hat, oder welche Kosten damit jeweils verbunden wären, wird im Beitrag nicht thematisiert. Forderungen wie die, dass „der Mensch seinen Einfluss zurücknehmen“ müsse, bleiben gar zu allgemein.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Der Einfluss des Klimawandels auf die Artenvielfalt ist ein dauerhaft relevantes Thema,  die Schwerpunktausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“ bietet einen aktuellen Anlass es aufzugreifen.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag hält sich sehr eng an eine der beiden wissenschaftlichen Veröffentlichung, der zweite Fachaufsatz wird nur mit einem aus dem Zusammenhang gerissenen und daher weitgehend unverständlichen O-Ton einbezogen. Insgesamt wirkt der Beitrag – auch akustisch – recht eintönig. Die bestehende Kontroverse, die sich eingangs mit der Formulierung der „zwei Lager“ angedeutet, wird nicht verständlich genug herausgearbeitet. Daher knapp „nicht erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar