Bewertet am 20. Juni 2013
Veröffentlicht von: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Der Beitrag, der in der FAZ erschien (online unter dem Titel “Mit Bornitrid gegen Ölverschmutzung”), berichtet über ein neues Material zur Abwasserreinigung: poröses Bornitrid. Er schildert dessen interessante Eigenschaften, bezieht sich dabei aber ausschließlich auf eine einzige Fachveröffentlichung. Kritische Fragen, etwa zum Energieverbrauch bei der Herstellung der Substanz, spricht der Artikel nicht an.

Zusammenfassung

Der Artikel berichtet über eine aktuelle Fachveröffentlichung, die poröses Bornitrid als vorteilhaften Stoff bei der Abwasserreinigung beschreibt. Dessen Herstellung und technische Eigenschaften werden plausibel dargestellt. Doch beschränkt sich der Beitrag eindimensional auf diese – wenngleich interessanten – technischen Eigenschaften des Stoffes. Dass es sich um ein Nanomaterial handelt, wird nicht erwähnt.

Es fehlen alle weiteren Dimensionen, die das Thema für Leserinnen und Leser interessant machen würden, ebenso die Einordung in einen politischen oder wirtschaftlichen Kontext. Der Artikel lässt jede Bemühung um eine lebendige, journalistisch interessante Darstellung vermissen. Er stellt ein Beispiel für einen umwelttechnischen Artikel mit „Tunnelblick“ dar, der dem Eindruck nach alle Informationen und Argumente unkritisch aus nur einer Quelle bezieht. Er scheint für ein spezielles Fachpublikum geschrieben zu sein, und eher den Wissenschaftlern der zitierten Studie verpflichtet als der breiten Leserschaft einer Tageszeitung.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Artikel berichtet über die Entwicklung eines neuen Absorptionsmittels für organische Lösungsmittel, Farbstoffe und Öle aus verschmutztem Wasser. Demnach vermag Bornitrid-Schwamm aufgrund seiner porösen Struktur nicht nur besonders gut Substanzen zu absorbieren, sondern lässt sich vollgesogen auch leicht aus dem gereinigten Wasser entfernen und nach entsprechender Behandlung wiederverwenden. Der Artikel schildert diese Entwicklung nüchtern. Allerdings wird nicht deutlich, dass das Material – soweit aus der Studie ersichtlich – bislang nur in kleinen Laborversuchen getestet wurde. Insofern erscheint der Nutzen eher hochgespielt. Das Problem der Umweltbelastung durch Industrieabwässer wird weder übertrieben dargestellt noch verharmlost. Wir werten „noch erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Text referiert die wichtigsten Aussagen der Studie entsprechend korrekt – etwa dass das neue Material rund die 30-fache Menge des Eigengewichts an Öl aufsaugen kann und sich durch Erhitzen regenerieren lässt. Der Studie zufolge scheint vor allem diese Regenerationsfähigkeit des Materials ein wesentlicher Vorteil gegenüber herkömmlichen Alternativen zu sein. Dies wird im Artikel nur sehr kurz angesprochen.

Vor allem aber fehlen alle Angaben und Vergleiche, die die Aussagekraft solcher Daten für ein Laienpublikum deutlich machen könnten. Wie viel besser als bei anderen Materialien ist die Saugfähigkeit des Bornitrids? Wurden die Experimente im Labormaßstab oder auch unter realitätsnäheren Bedingungen durchgeführt? Eine Einordnung der Ergebnisse findet nicht statt, daher werten wir „nicht erfüllt“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Text nennt die aktuelle Veröffentlichung im Fachjournal „Nature Communications“ als Quelle.

Interessenkonflikte, z.B. in Form von unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen der Wissenschaftler, scheint es nicht zu geben.

Allerdings bezieht sich der Artikel nur auf diese eine Veröffentlichung und dokumentiert lediglich deren Ergebnisse, ohne weitere Experten oder andere Publikationen hinzuzuziehen. Eine bestätigende, relativierende oder kontrastierende Aussage von unabhängiger Seite liefert der Beitrag nicht. Das erscheint problematisch, da es nahe liegt, dass eine derart anwendungsorientierte Forschung – die Entwicklung eines neuen Materials für die industrielle Abwasserreinigung – zumindest grundsätzlich auch mit finanziellen Interessen verbunden ist. Hier wäre eine unabhängige Einschätzung nötig, ob das vorgestellte Verfahren wirklich zukunftsträchtig und den vorhandenen Methoden überlegen ist.

4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Artikel übernimmt unkritisch den Standpunkt der Wissenschaftler, die das neue Material entwickelt haben. Er schildert deren Argumentation, ohne diese zu hinterfragen oder abzuklären, ob es dazu Gegenpositionen gibt. Es werden ausschließlich die Vorteile des Bornitrid-Materials geschildert – es kann große Mengen Öl, Lösemittel oder Farbstoffe aufnehmen und scheint klare Vorteile z.B. gegenüber Aktivkohle zu haben. Doch ob es auch Argumente geben könnte, die gegen einen Einsatz von Bornitrid sprechen (z.B. der hohe Energieaufwand bei der Herstellung der Substanz) erfahren Leserinnen und Leser nicht.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Inhaltlich geht der Text nicht wesentlich über die kurze Pressemitteilung hinaus. Alle wichtigen Aussagen des Artikels finden sich auch dort, sie werden lediglich etwas ausgeschmückt. Der Artikel liest sich dadurch eher wie ein an ein Fachpublikum gerichteter PR-Beitrag zu der Studie.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag macht deutlich, dass es sich um die Entwicklung einer neuartigen Technik zur Reinigung industrieller Abwässer handelt. Allerdings wird nicht deutlich, in welchem Entwicklungsstadium sich dieses Verfahren befindet, der wirkliche Neuigkeitsgehalt kann nur ‘geglaubt’, aber nicht nachvollzogen werden. Daher werten wir „knapp erfüllt“.

7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag stellt ein neues Material vor, das für die Reinigung industrieller Abwässer eingesetzt werden könnte. Der Artikel zeigt eine Lösungsmöglichkeit auf, um Öle, Farbstoffe oder Lösungsmittel aus Abwässern zu entfernen, damit diese nicht in Kläranlagen oder in die Umwelt fließen. Allerdings fehlen Angaben, welche genauen Anwendungsfelder das neue Material haben könnte. Es ist unklar, ob es als Additiv in Kläranlagen gegeben werden kann, ob es als Filtermaterial dienen soll, oder ob es beispielsweise dazu tauglich ist, bei Ölkatastrophen (etwa wie im Falle von Deep Water Horizon oder im Niger-Delta) Schäden zu vermindern. Zwar scheinen die Aufnahmefähigkeit und die Wiederverwendbarkeit von Bornitrid-Schwamm Vorteile z.B. gegenüber Aktivkohle zu haben; ob das aber ausreicht, um bereits vorhandene Abwasserbehandlungsverfahren zu ersetzen, oder ob Bornitrid ergänzend eingesetzt werden soll, bleibt unklar. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Artikel beschreibt die Einsatzmöglichkeiten eines neuen Absorptionsmittels in allgemeinen Worten. Ob es sich in der Praxis um ein hochspezialisiertes oder teures Verfahren handelt, das z.B. seinen Einsatz in Schwellen- oder Entwicklungsländern verhindert/erschwert, wird nicht angesprochen. Ebenso fehlt eine Information, ob sich der Einsatz gerade dort in stark verschmutzen Gewässern anbietet, bzw. ob der Einsatz der Umwelttechnik weltweit in allen genannten Industriebereichen möglich und sinnvoll ist.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Artikel stellt eine neue Umwelttechnik vor, die sich im kleinen Maßstab in einer wissenschaftlichen Studie als erfolgversprechend herausgestellt hat. Als einzige Zeitangabe erfährt man, dass es zwei Minuten dauert, bis der Bornitrid-Schwamm Schweröl aufgesaugt hat (allerdings ohne Angabe zu den hier getesteten Mengenverhältnissen). Die gute Wiederverwendungsmöglichkeit des Materials wird genannt, es fehlt aber die Information aus der Studie, dass es im Falle von Öl lediglich fünf Durchgänge sind, bevor die Reinigungsleistung beträchtlich nachlässt.

Wie weit dieses Verfahren bereits in der technischen Praxis gediehen ist, darüber erfahren Leserinnen und Leser nichts. Wird es bald einsatzbereit sein, oder sind in den nächsten Jahren noch weitere Versuche in großtechnischem Maßstab erforderlich, bevor das Verfahren zur Marktreife gelangen könnte? Der Artikel vermittelt eher den Eindruck, dass in Kürze und überall mit dem Einsatz des Bornitrid-Schwamms begonnen werden kann, ohne dies jedoch zu belegen.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Hier liegt eine der vielleicht größten Schwächen des Textes. Er ist eindimensional auf das technische Funktionieren des Materials konzentriert. Es gibt keine Einordnung in den politischen und wirtschaftlichen Kontext. Während der Beitrag mit Beispielen für Abwasserprobleme beginnt, folgen dann keine konkreten Angaben mehr zu den ins Auge gefassten Einsatzbereichen des neuen Materials. Es fehlt ein Vergleich mit anderen Absorptionsmaterialien, mit Ausnahme von Aktivkohle, die auch in der Pressemitteilung genannt wird.

Wie teuer das Verfahren bzw. die Substanz ist, wird noch nicht mal angedeutet. Dabei wird dies vermutlich die entscheidende Frage sein, wenn es um den Ersatz konventioneller, vorhandener Techniken geht. Wie die Umweltverträglichkeit von porösem Bornitrid zu bewerten ist, wenn man den Energieaufwand betrachtet, erfährt man ebenfalls nicht. Dass für die Herstellung und Reinigung des Materials sehr viel Energie verbraucht wird (Herstellung bei 1100 Grad Celsius, Reinigung bei 600 Grad Celsius) wird nicht problematisiert.

Auch erläutert der Beitrag nicht, wie groß der Bedarf für neue Materialien in der Abwasserbehandlung tatsächlich ist, bzw. ob es sich – im Sinne von Grundlagenforschung – lediglich um eine Weiterentwicklung auf der Basis wissenschaftlichen Neugier handelt.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Die Entfernung von Schadstoffen aus Abwässern, der Schutz von Kläranlagen, die Sorge um sauberes Wasser ist zweifelsohne ein relevantes Thema. Gelegentliche Unfälle in der Industrie machen den Artikel auch latent aktuell. Es wäre allerdings interessant gewesen zu erfahren, ob Bornitrid bei einem konkreten Fall in jüngerer Vergangenheit von Vorteil gewesen wäre: Welche Vorzüge hätte es beispielsweise im Vergleich zu den problematischen Materialien, die nach der Explosion der Ölbohrplattform Deep Water Horizon zum Einsatz kamen? Dennoch ist das Kriterium durch die hohe Relevanz des Themas erfüllt.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel scheint sich eher an ein interessiertes Publikum von Wasserwirtschaftlern als an die Leserschaft einer Tageszeitung zu richten. Durch die spröde Sprache, gelegentliches Fachvokabular, das völlige Ausblenden von möglichen Problemen, ungeklärte Gegenpositionen und ohne jede weitere Quelle ist die Darstellung des Themas nicht gelungen. Der Beitrag lässt jede journalistische Distanz vermissen. Er begnügt sich mit einer trockenen Aufzählung von Fakten und bricht unvermittelt am Ende ab, noch dazu mit einem für die breite Leserschaft unverständlichen Fachbegriff („Röntgendiffraktogramm“).

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Der Artikel gibt die genannten Fakten korrekt wieder, blendet allerdings in der Studie enthaltene Informationen aus, die zumindest auf gewisse Einschränkungen hindeuten (z.B. Nachlassen der Aufnahmefähigkeit nach wiederholter Nutzung des Materials).

Umweltjournalistische Kriterien: 3 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar