Bewertet am 2. Mai 2013
Veröffentlicht von: Hamburger Abendblatt
Der Artikel setzt sich mit dem wichtigen Problem der Lebensmittelverschwendung auseinander, Anlass ist eine aktuelle Tagung. Mehrere Experten kommen zu Wort, doch kritische Fragen werden kaum gestellt.

Zusammenfassung

Der Artikel beschäftigt sich mit einem immer noch aktuellen und relevanten Problem: der Verschwendung von Lebensmitteln. Er nennt Zahlen zur Situation in Deutschland und beschreibt verschiedene Facetten des Problems. Allerdings reißt der Beitrag vieles nur an und bleibt bei einigen Punkten oberflächlich. Strittige Fragen wie die Nutzung von Schlachtabfällen werden nur kurz erwähnt. Auch macht der Beitrag nicht immer deutlich, auf welche Region sich einzelne Inhalte (z.B. zu Ernteausfällen) beziehen. Ausführlich geht der Artikel auf Lösungsmöglichkeiten ein und nennt konkrete Handlungsmöglichkeiten für den Leser. Zu kurz kommen dagegen politische und wirtschaftliche Aspekte. Die journalistische Darstellung ist nüchtern – ein typischer Konferenzbericht, der die vorgestellten Tagungsbeiträge referiert, dabei auf kritische Nachfragen und eine weitere Einordnung der genannten Fakten weitgehend verzichtet.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Das Problem der Lebensmittelverschwendung an sich wird weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt. Ausmaß und Problematik werden im Detail und anhand von vielen Zahlen beschrieben. Allerdings werden die weitergehenden Umweltprobleme, die sich aus der Verschwendung von Lebensmitteln ergeben, nicht benannt (z.B. mit der Stickstoffdüngung verbundenen Treibhausgasemissionen (Lachgas) und die Auswirkungen auf das Klima, Flächenverbrauch für intensive Landwirtschaft, Verarmung von Böden durch konventionelle Landbearbeitung).

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die Studie der Universität Stuttgart, auf die sich der Zeitungsartikel bezieht wird auf dem Niveau einer Kurzzusammenfassung („Abstract“) zutreffend referiert. Auf die Methodik der Studie geht der Beitrag dagegen nicht ein. Es wird also nicht klar, ob die zitierten Zahlen zum Müllaufkommen zum Beispiel aus Befragungen oder aus Abfallanalysen bei einer repräsentativen Stichprobe ermittelt wurden. Wenngleich ausführliche Methodendarstellungen bei Journalisten tendenziell im Ruf stehen, Leserinnen und Leser zu verprellen, wären bei diesem relativ ausführlichen Beitrag ein paar kurze Angaben zur Methode erforderlich, um die vorgestellten Angaben einordnen zu können. Für wichtige Aussagen des Textes (z.B. „Doch der Löwenanteil der Verluste fällt in den Haushalten an.“) fehlen die Belege.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die Quellen sind deutlich benannt. Es werden die Studien von mehreren Arbeitsgruppen und Universitäten referiert. Auch die Auftraggeber werden zum Teil benannt (Bundeslandwirtschaftsministerium). Besondere Interessenkonflikte werden nicht thematisiert, sind aber in diesem Fall auch nicht erkennbar.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Artikel beschäftigt sich mit einem Umweltproblem, zu dem es keine große öffentliche Kontroverse gibt: Das Problem ist erkannt, wird beklagt, aber (derzeit noch) nicht gelöst. Unterrepräsentiert ist der Aspekt, dass die Lebensmittelindustrie finanziell von der Verschwendung profitiert: Auch Produkte, die im Müll landen, werden bezahlt. Die Verantwortung der Hersteller und Handelspartner wird jedoch zumindest angedeutet. Ein kontroverses Thema wäre dagegen die Debatte über die – am Schluss des Artikels nur kurz angesprochene – mögliche Lockerung des Fütterungsverbots von Schlachtabfällen, das wegen der BSE-Krise verhängt wurde. Wir wenden dieses Kriterium hier nicht an.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Aus der Konferenzankündigung werden die wesentlichen Erkenntnisse einer Studie der Universität Stuttgart für das Verbraucherministerium in Berlin zitiert. Doch die Autorin hat das Forschungskolloquium offenbar besucht oder zumindest mit beteiligten Experten gesprochen und konnte daher deutlich über die Pressemeldung hinausgehen. So werden drei Wissenschaftler des Hamburger Forschungszentrums und die Verbraucherzentrale Hamburg zitiert.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag nennt keine genauen Zeiträume, macht aber klar, dass es sich um ein aktuelles Problem handelt, das es „zu Omas Zeiten“ so nicht gab: „Früher waren Lebensmittel knapp, heute herrscht dagegen ein Überangebot, das die Wertschätzung schmälert.“ Allerdings erwähnt der Artikel nicht, dass es schon seit einigen Jahren eine öffentliche Debatte dazu gibt (siehe dazu auch allgemeinjournalistisches Kriterium 1 „Themenauswahl“).

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag nennt Lösungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen auf mehreren Ebenen. Was die Seite der Industrie angeht, wäre eine etwas ausführlichere Erklärung gut gewesen: Welche „Qualitätsanforderungen“ führen zum Problem? Welche „Strafen“ und „Rücknahmeklauseln“ müsste man ändern? Ausführlich werden dagegen konkrete Lösungsmöglichkeiten des Verbrauchers angesprochen (Tipp der Verbraucherzentrale). Über die Sinnhaftigkeit der Rezepte zur Resteverwertung lässt sich gewiss streiten, doch insgesamt ist das Kriterium gut erfüllt.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Beitrag konzentriert sich auf den deutschen Aspekt, macht aber dennoch deutlich, dass es das Problem auch in anderen Weltregionen gibt. Allerdings: Zitiert werden lediglich nationale Zahlen. Ausführungen, die sich auf die deutsche Situation beziehen, und die globalen Aspekte gehen im weiteren Verlauf des Textes durcheinander. Leserinnen und Leser können beispielsweise nicht erkennen, auf welche Regionen sich der Beitrag bezieht, wenn es heißt: „Essbare Pflanzen und Früchte werden auf dem Feld zurückgelassen, durch schlechte Erntetechnik beschädigt, von Schädlingen heimgesucht“. Sie erfahren nicht, dass Ernteverluste vor allem das Problem einer Landwirtschaft sind, die sich gerade mechanisiert oder veraltete Erntemaschinen nutzt, weniger in der industrialisierten Landwirtschaft in Deutschland. Da der Beitrag hier eher verwirrend als erhellend wirkt, werten wir – wenn auch knapp – nicht erfüllt.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Im Beitrag wird zwar implizit deutlich, dass es sich um ein dauerhaftes Problem handelt. Ansonsten finden sich aber keine Aussagen zur zeitlichen Dimension im Text, auch in der zugehörigen Debatte spielen sie kaum eine Rolle. Daher wenden wir dieses Kriterium nicht an.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag beleuchtet das Problem der Lebensmittelverschwendung sehr ausführlich, er geht aber nicht darüber hinaus und bezieht z.B. keine wirtschaftlichen und sozialen Aspekte ein. Ein wichtiger Punkt wäre hier der Lebensmittelpreis, der durch die Verschwendung in die Höhe getrieben wird – in Deutschland, aber auch weltweit. In diesen Kontext gehört auch die Frage, wie dringend Industrie und Handel tatsächlich an der Lösung des Problems interessiert sind. Man könnte die Verschwendung auch in Ackerfläche umrechnen, und so deutlich machen, welche Dimension das Problem vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung bekommt. Die Kostenrechnung wird nur für Privathaushalte aufgemacht. Die wirtschaftliche und soziale Dimension des Themas ist insgesamt zu wenig herausgearbeitet.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema wird derzeit intensiv diskutiert und ist für jeden Verbraucher direkt relevant. Das Kolloquium rechtfertigt einen aktuellen Bericht, obwohl das Thema zuvor schon mehrfach in den Medien groß thematisiert wurde – etwa aus Anlass einer Bucherscheinung und eines Filmes im Jahr 2011. Sonderlich originell ist der Beitrag darüber hinaus nicht.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel stellt das Thema recht nüchtern, aber mit vielen Zahlen und Beispielen dar. An einigen Stellen ist allerdings die Verständlichkeit beeinträchtigt bzw. bleiben Fragen durch allzu allgemein gehaltene Formulierungen offen – z.B. erfährt man nicht, welche Vereinbarungen der Handelspartner zu Problemen führen, oder welche gesetzlichen Normen hier eine Rolle spielen. Ansonsten referiert der Beitrag offenbar nacheinander einzelne Konferenzbeiträge, eine deutliche zusammenfassende Analyse oder eine Einordnung der verschiedenen angerissenen Themen dagegen fehlt. Weniger gelungen scheinen uns auch der Einstieg und Ausstieg: Die Bären und die Lachse spielen im Rest des Textes keine Rolle, liefern kein angemessenes Bild für einen Aspekt des Textes und wirken eher wie ein Fremdkörper.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine gravierenden Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 8 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar