Bewertet am 4. Mai 2013
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

Der Radiobeitrag behandelt das Thema „Strategien gegen den Plastikmüll in den Ozeanen“ kritisch und sehr differenziert. Schön wäre es noch gewesen, wirtschaftliche Aspekte stärker einzubeziehen.

Zusammenfassung

Ein relevantes Thema wird in diesem Radiofeature differenziert dargestellt, ohne zu bagatellisieren oder zu skandalisieren. Die Fülle von O-Tönen von verschiedenen Wissenschaftlern, Umweltschützern, Industrieforschern und Fischern überzeugt und ist geradezu beispielhaft für eine faktenreiche Darstellung eines relevanten und durchaus komplizierten Umweltproblems. Ein Wermutstropfen ist hier lediglich, dass in einigen Fällen die Zuordnung der O-Töne zu den jeweiligen Quellen fehlt. Allzu simple oder phantastisch-irreale Gegenmaßnahmen (bis hin zu müllfangenden Drohnen), die im öffentlichen Diskurs zum Thema manchmal auftauchen, werden kritisch hinterfragt; auch die Problematik von abbaubaren Kunststoffen als mögliche Lösung wird differenziert dargestellt. Insgesamt ist die Erörterung möglicher Gegenkonzepte und Lösungen gut gelungen. Vertreter von Wissenschaft und Industrie sind angemessen berücksichtigt. Globale und lokale Beobachtungen werden anschaulich vermittelt, aktuelle Forschungsergebnisse kompetent in den schon lange andauernden Verlauf der Debatte eingeordnet. Dagegen fehlen wirtschaftliche Aspekte, die in diesem Zusammenhang noch wichtiger gewesen wären als etwa die ausführliche Schilderung gleich zweier eher wenig realistischer Plastikinsel-Konzepte zur Beseitigung des Mülls. Trotz dieser Einschränkung: Ein gelungener Beitrag.

Hinweis: Hier kann die Audiodatei des Originalbeitrags abgerufen werden.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der halbstündige Radiobeitrag bietet die Chance, das Thema der Belastung der Meere und der Meeresfauna durch Plastikmüll von vielen Seiten zu beleuchten. Das Problem wird in seinem ganzen Ausmaß dargestellt ohne zu skandalisieren oder zu bagatellisieren. Sachlich dokumentiert und differenziert aufgezeigt werden die verschiedenen Probleme durch unterschiedlich große Plastikteilchen im Meer (wie die Belastung und der Tod von Vögeln, Walen und Fischen, die Belastung des Wassers durch aus dem Plastik gelöste oder ihm anhaftende Chemikalien). Der Beitrag ist seriös und auf dem Stand der politisch-wissenschaftlichen Debatte.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag bezieht sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher Aussagen, Quellen und Studien. Deren – zum Teil auch begrenzte oder mit Vorsicht zu betrachtende – Aussagekraft wird deutlich. Aus den vielen Zitaten und Studien ergibt sich ein umfassendes Bild des derzeitigen Wissenstandes. Wissenschaftliche Unsicherheiten werden benannt, ebenso falsche Vorstellungen in der breiten Öffentlichkeit korrigiert (der erwähnte Strudel von Plastik im Pazifik ist keine sichtbare Masse von Plastikmüll), Kenntnisse über Risiken werden klar herausgestellt. Die Fakten sind – soweit feststellbar – richtig dargestellt und meistens auch den jeweiligen Quellen zugeordnet (siehe dazu 3. Experten/Quellentransparenz). Einige Aussagen bleiben indes etwas vage (z.B. die Ausführungen zu einem Wal mit Plastikmüll im Magen). Dennoch: Insgesamt ist das Kriterium erfüllt.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Das Kriterium erfüllt der Radiobeitrag in meist vorbildlicher Weise. Die konkreten Erfahrungen von Fischern werden als das dargestellt, was sie sind: persönliche, aber räumlich und zeitlich begrenzte Erfahrungen. Im Namen von Naturschutzorganisationen und im Auftrag der Industrie arbeitende Forscher werden als solche benannt. Allerdings wird in einigen Fällen nicht klar, von wem eine Aussage oder Einschätzung kommt. So bleibt beispielsweise die Herkunft (und damit Glaubwürdigkeit) der O-Töne zum Studierenden-Wettbewerb iGem und den Plastikinseln im Meer offen. Auch bei Angaben zum Mageninhalt eines Wals bleibt im Beitrag unklar, wer das sagt – und auch, wo der betreffende Wal angeschwemmt wurde, von welchem Vorfall hier also die Rede ist. Da der Beitrag aber überwiegend und vor allem bei den zentralen Aussagen sehr präzise ist in der Zuordnung der Quellen (Fischer, Umweltbundesamt, Alfred-Wegener-Institut und Kunststoffindustrie), werten wir „noch erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Dieses Kriterium kann ebenfalls als erfüllt angesehen werden. Ein Fachmann der Kunststoffindustrie kommt ebenso zu Wort wie eine Vertreterin des Umweltbundesamtes, ein Experte des NABU und Wissenschaftler unterschiedlicher Institutionen. Letztere werden nicht nur mit ihren Ergebnissen und Studien, sondern auch mit ihrer persönlichen Motivation dargestellt. Allerdings fehlt eine klare Gegenposition der Chemieindustrie oder von Forschern, die das Problem möglicherweise für weniger gravierend halten. Der Beitrag erweckt den Eindruck, als seien sich alle an der Diskussion des Problems Beteiligten einig, dass hier ein großes Problem vorliegt. Das mag allerdings im Grundsatz sogar korrekt sein, denn größere Kontroversen liegen hier offenbar tatsächlich nicht vor. Die Problematik der Grundnetzfischerei wird kurz angesprochen (Expertin des Umweltbundesamtes); die bei Umweltverbänden geführte Diskussion, ob es sinnvoll ist, Grundschleppnetzfischerei quasi von den von ihr verursachten Umweltschäden freizusprechen, indem man Fischer in das „Fishing for litter“-Programm integriert, wird nicht näher ausgeführt, was aber auch nicht zwingend erscheint.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag ist aufwändig gemacht. Er stellt das Ergebnis einer eigenständigen, umfassenden Recherche dar, die auch vor Ort, also nicht nur vom Schreibtisch aus, unternommen wurde. Die Autorin hat mit vielen Experten und mit den Fischern gesprochen. Der Beitrag geht weit über den Inhalt von Pressemitteilungen hinaus, wie sie etwa zur Kampagne “Fishing for Litter“ vorliegen. Das Kriterium ist eindeutig erfüllt.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag macht deutlich, dass es sich um kein neues, sondern ein langfristig bedeutsames, wiederkehrendes Thema handelt. Das Thema ist bereits oft Gegenstand von Filmen, Radiobeiträgen und Artikeln gewesen. Dieser Beitrag macht jedoch klar, dass es dazu neue Erkenntnisse und Fragestellungen gibt. Er greift das Thema nicht nur einfach erneut auf, sondern berichtet über bislang in der Öffentlichkeit wenig oder gar nicht bekannte Fakten und Forschungsansätze (z.B. die Analyse von Fotos aus der Tiefsee zwischen Spitzbergen und Grönland 2008-2011) und liefert vor allem ein umfassendes Bild über sinnvolle und unsinnige Lösungskonzepte.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Die Darstellung möglicher, zielführender oder auch sinnloser Lösungskonzepte ist die Stärke und Hauptthema des Beitrags. Die Frage ob „biologisch abbaubares“ Plastik eine Lösung sein kann oder warum eben nicht, wird anschaulich erörtert. Die Fischerei-Maßnahmen werden als öffentlichkeitswirksame, aber im Grunde wirkungslose Gesten dargestellt. Die zum Teil enttäuschenden Erfahrungen mit multinationalen Umweltabkommen und EU-Richtlinien werden klar benannt, ebenso der mögliche Ersatz von Mikro- und Nanopartikeln in Alltagsgegenständen, die Problematik der Kreislaufwirtschaft von Kunstoffen und das Verbot von Plastikverpackungen bzw. -tüten vorgestellt. Vor allem aber werden scheinbare Gegenmaßnahmen, die in der Öffentlichkeit immer wieder herumgeistern – wie gigantische Siebe und Netze, Plastik fressende Organismen oder Plastikinseln – als sinnlos bzw. sogar schädlich entlarvt. Der Beitrag macht deutlich, dass es keine einfachen und schnellen Lösungen geben kann. Letztlich werde es darum gehen, weltweit zu Rücknahme- und Verwertungssystemen zu kommen. Das wird allerdings dauern und ist noch nicht allzu weit gediehen. Deshalb ist es durchaus angemessen, das nicht als kurzfristig wirksame Lösungsstrategie darzustellen.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Beitrag stellt das Problem sowohl in seiner globalen Dimension in den Weltmeeren als auch konkret vor Ort in der Nord- und Ostsee dar. Durch die Einbindung der Fischer ist die lokale Dimension aufgegriffen, durch das Alfred-Wegener-Institut die globale Dimension („Pazifischer Plastikstrudel“). Dabei wird stets deutlich, wo welches Problem auftaucht bzw. wo Gegenmaßnahmen geplant sind bzw. diskutiert werden. Insgesamt ist dieser Punkt sehr gut gelöst.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Aspekt der Nachhaltigkeit wird vor allem zum Ende des Beitrags hin diskutiert. Dabei ist die zeitliche Dimension – vom „Marpol-Abkommen“ zum Schutz der Meeresumwelt von 1973 bis heute – schön erklärt. Der Radiobeitrag macht deutlich, dass es sich um ein lang anhaltendes Umweltproblem handelt, das nicht kurzfristig durch einzelne Gegenmaßnahmen gelöst werden kann, sondern langfristige grundsätzliche Produktions- und Verhaltensumstellungen erfordert.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag stellt das Thema recht umfassend dar und geht auch über rein naturwissenschaftlich-technische Aspekte hinaus. So wird deutlich, dass das Problem der „Vermüllung“ der Meere ein Problem ist, das alle durch den Konsum von Plastik verursachen – wobei Plastik umgekehrt aber auch einen wichtigen Teil des modernen Lebens ermöglicht. Allerdings kommt der hier sehr wichtige Aspekt der Kosten, zu denen es zumindest zum Teil akzeptabel belegte Zahlen gibt, im Beitrag nicht vor. Ein so ausführlicher Beitrag hätte durchaus ausreichend Raum geboten, auf die wirtschaftlichen Dimensionen von Gegenmaßnahmen und Lösungskonzepten einzugehen oder auf die Möglichkeiten und Folgen des Verzichts auf Plastikverpackungen. Daher werten wir – knapp – „nicht erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist relevant und von hohem Interesse für die Allgemeinheit. Es ist von einer latenten Aktualität, da die Verwendung und Vermeidung von Plastikmüll in der Umweltdiskussion immer wieder eine Rolle spielt und einen hohen Symbolwert hat. Mit dem Thema sind grundsätzliche Fragen über die ökologischen Folgen unseres modernen Lebens verbunden und über den Umgang mit der Natur. Das Radiofeature leistet einen wichtigen Beitrag zur Einordnung der tagesaktuellen Berichterstattung und liefert interessante Hintergrundinformationen. Drei Tage nach Ausstrahlung des Beitrags begann die „International Conference on Prevention and Management of Marine Litter in European Seas“, die in Berlin stattfand. Leider wird diese Veranstaltung, die einen aktuellen Anlass lieferte, jedoch im Beitrag selbst nicht erwähnt (ob dies evtl. in der Anmoderation der Fall war, ließ sich nicht ermitteln). Zumindest wird auf der Webseite des DLF zur Konferenz verlinkt.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Das Radiofeature ist abwechslungsreich gestaltet. Die müllfischenden Fischer bieten eine gelungene Rahmenhandlung. Fremdwörter werden vermieden oder erklärt. Die Autorin ist erkennbar um eine Vielzahl von unterschiedlichen, manchmal auch kontrastierenden O-Tönen bemüht, die zum Zuhören motivieren. Der Beitrag bemüht sich um konkrete Beispiele und Beobachtungen. Zwar gelingt es nicht, aus der Sicht weniger Protagonisten und Antagonisten eine in sich völlig abgeschlossene Story mit Wendepunkten und einem dramatischen Höhepunkt zu erzählen. Stattdessen wird eine Spurensuche inszeniert, wobei eine überzeugende emotionale Ebene fehlt. Die Argumentation bleibt insgesamt auf einem argumentativen Niveau und lässt viele Möglichkeiten des Mediums Radio, den Zuhörer in eine ihn unmittelbar ansprechende Gefühlwelt eintreten zu lassen, ungenutzt. Viele Fakten rauschen bei einmaligem Hören leicht durch und führen tendenziell zu einer Überlastung beim Rezipienten. Ein Problem ist die Fülle von O-Tönen, die beim Hören nicht immer gut zuzuordnen sind (siehe auch Kriterium 3 Experten/ Quellentransparenz). Positiv ist, dass die Motivation der beteiligten Wissenschaftler erkennbar wird (etwa das Bauchgefühl eines Forschers, das zur Analyse von Fotos vom Tiefseeboden geführt hat). Wissenschaft wird so greifbarer und menschlicher. Als Ganzes ist der Beitrag trotz seiner Nüchternheit durchaus gelungen, was die Vermittlung und Verständlichkeit angeht.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Die Autorin ist erkennbar um Faktentreue bemüht, nennt vorhandene Wissenslücken, kritisiert zu kurz greifende Gegenmaßnahmen und stellt eine Vielzahl von verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen aus dem In- und Ausland vor. Uns sind dabei keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 9 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar