Bewertet am 1. April 2019
Veröffentlicht von: Alfred-Wegener-Institut

Eine Publikation des Alfred-Wegener-Instituts beschreibt, wie der Klimwandel in der Antarktis zum Abschmelzen des Filchner-Ronne-Schelfeises führen könnte. Die Pressemitteilung dazu enthält viele Informationen, die jedoch nicht immer ausreichen erklärt und eingeordnet werden. Der Text weist zwar darauf hin, dass es sich um Modelrechnungen handelt, thematisiert aber in der Studie genannte Unsicherheiten nicht.

Zusammenfassung

Die Pressemitteilung des Alfred-Wegener-Instituts informiert über eine im Fachmagazin „Journal of Climate“ veröffentlichte Studie, in der es um das Schmelzen von Eisschilden in der Antarktis geht. Es wird ein Feedbackprozess beschrieben, der in Zukunft zu einem sich selbst verstärkenden Wärmeeinstrom unter dem Filchner-Ronne-Schelfeis und damit zu dessen Zusammenbruch führen könnte. Die Darstellung ist ausführlich und informativ. Sie stellt die Zahlen und Fakten der Studie korrekt dar, ist jedoch für Laien nicht leicht verständlich. In der Studie genannte Ungewissheiten der Modellrechnungen werden nicht dargestellt. Auch hätten wir uns eine Einordnung der gegenwärtigen und prognostizierten Prozesse in die Klimageschichte der Antarktis gewünscht. Die hier vorgestellten Ergebnisse der Grundlagenforschung werden nicht in einen weiteren Kontext gestellt, etwa bezüglich der Auswirkungen auf den Anstieg des Meeresspiegels. 

Die gleiche Pressemitteilung haben Laien-Gutachter des Medien-Doktor CITIZEN bewertet.

Außerdem wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Inhaltsanalyse erstellt.

 

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Die Pressemitteilung schildert die in der Studie beschriebene Möglichkeit, dass das Filchner-Ronne-Schelfeis in der Antarktis durch die Klimaerwärmung dramatisch schrumpfen könnte. Es bestehe die Gefahr, dass hier ein unumkehrbarer Prozess in Gang gesetzt wird. Dabei schwankt der Text zwischen der korrekten Schilderung im Konjunktiv („Der Anstieg der Lufttemperatur (…) könnte langfristig dazu führen (…).“) und der Schilderung dieses Szenarios als Gewissheit. Da ist von einer „Vorhersage“ der Forscher die Rede, ohne auf die bestehenden Ungewissheiten hinzuweisen, und es heißt im Indikativ „Auslöser werden steigende Temperaturen über dem Weddellmeer sein“. Unter welchen Bedingungen und mit welcher Wahrscheinlichkeit mit dieser Entwicklung zu rechnen ist, wird nicht deutlich. Unsicherheiten, die in der Studie selbst durchaus thematisiert werden (z.B. Verwendung nur eines Klimamodells, relativ geringe räumliche Auflösung der verwendeten Eis-Ozean-Modelle), erwähnt die Pressemitteilung nicht. Hierin sehen wir eine gewisse Tendenz zur Dramatisierung und werten „knapp nicht erfüllt“.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Es wird klar, dass es sich bei den beschriebenen den Forschungsergebnissen um Modellrechnungen handelt – zu den nicht erwähnten Schwächen siehe auch Kriterium 1. Die Pressemitteilung macht nicht deutlich, dass die Forscher ihre Simulation mit mehreren Szenarien gerechnet haben. Die Aussagekraft der Berechnungen hätte für Laien besser dargestellt werden können (siehe dazu auch allgemeinjournalistisches Kriterium 2). So hätte man z.B. gerne gewusst, ob die Annahme, bis 2100 werde die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre 700 ppm erreichen, eine hohe, mittlere oder niedrige Schätzung ist. Am Schluss des Textes wird noch erwähnt, dass inzwischen Messreihen in der Antarktis begonnen haben, die die Prognosen überprüfen sollen. Wir werten insgesamt „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die Hauptquelle ist ein wissenschaftlicher Artikel, der konkret benannt und in der Pressmitteilung als Volltext verlinkt ist. Außerdem wurden für die Pressemitteilung diverse Statements der Autoren eingeholt. Besondere Interessenkonflikte, die hier darzulegen wären, sind nicht ersichtlich.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es gibt zu diesem Thema unseres Wissens keine wissenschaftlichen Pro- oder Contra-Positionen. Deshalb wenden wir das Kriterium nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Der Text ist eine Pressemitteilung, daher ist das Kriterium nicht anwendbar.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird deutlich, dass es sich um neue Modellberechnungen handelt, die zeigen, dass die Kaltwasser-Barriere vor dem Filchner-Ronne-Schelfeis in den nächsten Jahrzehnten zusammenbrechen könnte. Allerdings fehlt jegliche Einordnung der Prozesse in die natürliche Dynamik des Schelfeises (siehe z.B. hier und hier). Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Es handelt sich hier um eine Studie aus der Grundlagenforschung. Lösungsvorschläge zu den Folgen der globalen Erwärmung sind in einer Pressemitteilung dazu nicht zu erwarten.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Dass es um die antarktischen Meere und Eis-Systeme geht, ist der Pressemitteilung klar zu entnehmen. Es handelt sich um einen Prozess, der an einem Schelfeis der Antarktis, dem Filchner-Ronne Schelfeis, eintreten kann. Die globale Erwärmung könnte ihn in Zukunft auslösen. Diese regional-globale Konstellation wird ausreichend verständlich dargestellt. Wo die verschiedenen in der Pressemitteilung genannten Regionen der Antarktis liegen, wird durch die beigefügte Kartengrafik verdeutlicht. Auch die Größe des Filchner-Ronne Schelfeises wird angegeben, wobei hier ein Vergleich hilfreich gewesen wäre.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Die Autoren der vorgestellten Studie kommen zu dem Schluss, dass der Feedbackprozess, der das Schelfeis stark schrumpfen ließe, von etwa 2070 an ablaufen und Jahrhunderte anhalten könnte. Die Pressemitteilung macht deutlich, dass es sich dann um einen unumkehrbaren, sich selbst verstärkenden Prozess handeln würde. Außerdem erwähnt die Pressemitteilung, dass „erste Anzeichen der Entwicklung“ schon heute zu sehen seien, und derartige Vorgänge in anderen Regionen (Amundsenmeer) bereits zu beobachten sind. Insgesamt wird die zeitliche Dimension des geschilderten Problems ausreichend klar beschrieben.

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Die Pressemitteilung berichtet über die Ergebnisse der Studie, ohne diese in einen größeren Kontext einzuordnen. Die Projektion der Studie basiert auf Klimadaten, die einem bekannten Szenario des UN-Klimarats (IPCC) ähneln. Der Studie zufolge kann das klimapolitische Ziel, die Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau zu begrenzen, nicht garantieren, dass das Filchner-Ronne-Eisschelf gegen Ende des 21. Jahrhunderts nicht zerfällt. Hier wäre ein Hinweis wichtig gewesen, ob es Szenarien gibt, die eine solche Entwicklung verhindern könnten. Wie etwa sähe es aus, wenn die Erwärmung um nicht mehr 1,5 Grad Celsius zunimmt? Wäre eine solche Begrenzung noch möglich, und was würde sie ökonomisch bedeuten (siehe z.B. hier )? Mit keinem Satz geht die Pressemitteilung auf die möglichen Folgen ein, die der Zerfall des Schelfeises haben könnte, etwa auf den Anstieg des Meeresspiegels oder die Ökologie der betroffenen Region der Antarktis. Auch wenn es hier um Grundlagenforschung geht, hätten wir uns in dieser relativ langen Pressemitteilung zumindest eine kurze Einordnung gewünscht. Daher werten wir „knapp nicht erfüllt“.

Darstellung

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Die Pressemitteilung greift eine am Tag zuvor erschienene Studie auf und ist somit aktuell. Wie die Eisschilde der Antarktis sich entwickeln, wird sich u.a.auf den Anstieg des Meeresspiegels auswirken, das Thema ist damit hochrelevant.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Die Pressemitteilung bietet für vorinformierte Leserinnen und Leser interessante Informationen, bereitet diese aber nicht immer für Laien verständlich auf. Es wird zwar klar, dass es sich um einen sich selbst verstärkenden Prozess handelt, doch um zu verstehen wie er zustande kommt, werden einige Kenntnisse vorausgesetzt. So ist es nicht selbsterklärend, dass die Bildung von Meereis die Salzkonzentration im Wasser erhöht. Fachbegriffe wie „hydrografische Barriere“ oder die „Aufsetzlinie“ der Eisplatte erschweren die Lesbarkeit. Zumindest missverständlich ist das Zitat des Wissenschaftlers Frank Kauker, in dem es heißt, dass mit den Klimadaten wie im „weiter-so-Szenario“ des Weltklimarats gerechnet wurde, und dabei gezeigt, dass auch das Einhalten des Zwei-Grad-Ziels den Zerfall des Schelfeises nicht aufhält. Das kann für Laien so klingen, als führe das „weiter-so-Szenario“ zu einer Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

5 von 7 anwendbaren umweltjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

2 von 3 allgemeinjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

 

 

 

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar