Bewertet am 23. November 2018
Veröffentlicht von: Medizinische Hochschule Hannover

Ein bislang unbekannter Wachstumsfaktor könne die Heilung des Herzmuskels nach einem Infarkt verbessern, berichtet die Medizinische Hochschule Hannover. Damit werden voreilig Hoffnungen geweckt, denn das Verfahren wurde nicht in klinischen Studien sondern nur an Mäusen und in Zellkulturen untersucht, was die Pressemitteilung erst ganz am Ende beiläufig erwähnt.

Zusammenfassung

Die Pressemitteilung der Medizinische Hochschule Hannover berichtet über eine Studie, die im Fachmagazin „Circulation“ veröffentlicht wurde. Die Forscher hätten ein Protein entdeckt, das möglicherweise helfen könne, die Folgen eines verspätet behandelten Herzinfarktes (z.B. verstärkte Vernarbung) zu lindern, um so eine Herzschwäche zu verhindern. Die Experimente führten sie an Mäusen und teils an menschlichen Herzzellen durch.

Der mögliche Nutzen des Mittels wird übertrieben dargestellt, die Ergebnisse der Studie werden nicht konkret berichtet. Risiken und Nebenwirkungen thematisiert die Pressemeldung gar nicht. Die Aussagekraft der Studie wird Lesern nicht verdeutlich, über große Teile des Beitrags hinweg ist nicht einmal klar, dass es sich um Mausexperimente handelt. Weder die Finanzierung noch mögliche Interessenkonflikte werden erklärt. Ob es sich um einen alten oder neuen Ansatz handelt, bleibt offen. Es wird zumindest deutlich, dass die frühzeitige Eröffnung der Blutbahn die Methode der Wahl ist, um Vernarbung zu verhindern. Auf Kosten geht der Beitrag nicht ein. Ein Herzinfarkt wird nicht übertrieben dargestellt. Über die Studie wird noch recht aktuell berichtet. Generell versäumt der Text es aber, Lesern ausreichend zu verdeutlichen, wie vorläufig die Ergebnisse sind, weil nicht hinreichend erklärt wird, dass es sich um Experimente an Mäusen und Zellen handelt.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Der mögliche Nutzen des Ansatzes wird übertrieben dargestellt. Obwohl es in der Untersuchung im Fachmagazin lediglich um Untersuchungen an Mäusen geht (abgesehen von einer Teilstudie an menschlichen Zellen), wird mehrfach behauptet oder suggeriert, das Protein EMC10 sorge dafür, dass die Narben bei Menschen nach einem Herzinfarkt kleiner ausfielen, und damit die Entwicklung einer Herzinsuffizienz gemildert oder gar verhindert werden. Studien mit Menschen hat es indes dazu noch gar nicht gegeben. Lediglich am Ende des Textes wird klar, dass der Nutzen für Patienten nur eine vage Hoffnung ist: „Es besteht die Hoffnung, dass durch eine solche Therapie auch bei Patienten eine Herzmuskelschwäche nach Infarkt verhindert werden kann.“ Konkrete Ergebnisse zu den Mausexperimenten gibt es nicht. Die simple Frage, um wie viel die Narben kürzer werden, bleibt völlig offen.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Während bereits über einen Nutzen für Patienten spekuliert wird, wird das Thema möglicher Risiken und Nebenwirkungen völlig ausgespart.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN etc.) wird richtig eingeordnet.

Es wird viel zu wenig deutlich gemacht, dass die Pressemitteilung lediglich über die Ergebnisse einer Studie mit Experimenten an Mäusen berichtet. Damit ist es für Leser kaum möglich, die Aussagekraft und vor allem die Übertragbarkeit auf den Menschen einzuschätzen. Erst im letzten Absatz gibt es einen Hinweis auf Mäuse („Bei Mäusen mit Infarkt klappt das schon sehr gut.“), der indes nicht einmal eindeutig ist, weil gar nicht klar wird, ob das angesprochene Verfahren in der Studie oder zuvor getestet wurde.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Es wird in der Pressemitteilung lediglich erwähnt, dass sich die Forscher künftig mit der Industrie zusammen tun werden, um die Wachstumsfaktoren in größeren Mengen zu produzieren. Indirekt könnten Leser der Pressemitteilung zwar den Schluss ziehen, dass es auch kommerzielle Interessen hinter dem Projekt gibt. Aber dass die Forscher ganz konkrete Interessenkonflikte haben, weil zwei Autoren (einer der Erstautoren und der Seniorautor) zum Beispiel ein Patent auf das beschriebene Verfahren besitzen, und zwei weitere Forscher Angestellte eines Pharmaherstellers sind, wird nicht berichtet.

Wer diese Studie finanziert hat, legt die Pressemitteilung ebenfalls nicht offen.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Da es sich bei dem Text um eine Pressemitteilung handelt, ist das Kriterium nicht anwendbar.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz/das Mittel wirklich ist.

Der Text macht zwar deutlich, dass es sich um ein erst von den Autoren entdecktes Protein handelt, das zuvor in diesem Zusammenhang kaum bekannt war. Ob indes der Ansatz, Wachstumsfaktoren zusätzlich zu verabreichen, um eine bessere Regenerierung des Herzens zu bewirken, neu oder bereits bekannt ist, wird nicht deutlich.

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Kurz nach einem Herzinfarkt wie auch bei einer später einsetzenden Behandlung ist die Therapie der Wahl die Wiedereröffnung der Herzkranzgefäße. Dieses Verfahren wird im Beitrag erwähnt.

Ob es aber andere Ansätze gibt, um bei Menschen, die erst spät zur Behandlung eines Herzinfarktes kommen, Narben möglichst klein zu halten und somit eine Herzschwäche zu verhindern, bleibt offen. Es wird lediglich erklärt, dass derzeit daran in einem Projekt geforscht wird.

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

Da Leser erst ganz am Ende des Textes erfahren, dass es sich bei den Experimenten um Mausstudien handelt, entsteht immer wieder der Eindruck, ein Mittel stünde alsbald zur Verfügung oder es wäre schon verfügbar. Erst durch den Hinweis, im letzten Absatz, dass nun ein Industriepartner gesucht werde, um den Wachstumsfaktor in großen Mengen herzustellen, wird klar, dass das Mittel noch nicht verfügbar ist. Hier wären eindeutigere Informationen wichtig gewesen. Denn auch der Hinweis auf den gesuchten Industriepartner suggeriert, dass dies schon ausreichen würde, um den Wachstumsfaktor auf den Markt zu bringen. Dabei fehlt jeder Hinweis, dass nicht die Herstellung der beschränkende Faktor ist, sondern zunächst jahrelange klinische Studien die Wirkung beim Menschen belegen müssten. Insgesamt wird so der Eindruck erweckt, dass das Mittel in naher Zukunft verfügbar sein wird, obwohl tatsächlich alles andere als sicher ist, ob es jemals verfügbar sein wird.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Obwohl bereits von einer Herstellung des Wachstumsfaktors in großen Mengen mit einem Industriepartner berichtet wird und zugleich ein Therapieerfolg suggeriert wird, spielt das Thema Kosten im gesamten Text keine Rolle. Tatsächlich ist zu einem solch frühen Zeitpunkt wahrscheinlich auch noch kaum eine Aussage dazu möglich, dies hätte aber ebenfalls berichtet werden können. Daher werten wir das Kriterium, wenn auch knapp, „nicht erfüllt“.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Der Herzinfarkt und seine möglichen Folgen werden nicht übertrieben dargestellt.

Darstellung

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Die Pressemitteilung ist noch recht zeitnah (zwei Tage) nach Veröffentlichung des Fachartikels erschienen. Es handelt sich um ein bedeutendes Fachmagazin mit einer interessanten Forschungsarbeit. Daher lässt sich eine Pressemitteilung durchaus rechtfertigen, auch wenn diese eben viel deutlicher hätte machen müssen, dass es sich um eine „Mausstudie“ handelt. Wir werten nur knapp „erfüllt“. Grundsätzlich sollte man sich gut überlegen, ob die Ergebnisse einer Mausstudie wirklich von solcher Relevanz sind, dass es sinnvoll ist, sie in der Öffentlichkeit zu berichten.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG).

Positiv ist, dass der Beitrag einen Herzinfarkt, die Ersttherapie danach und den Mechanismus, wie Wachstumsfaktoren helfen könnten, verständlich erklärt. Indes benötigt er dafür etwa die Hälfte des Textes. Bis dahin ist völlig offen, was genau die Ergebnisse der Studie sind, die dann auch nur angedeutet werden. Dass erst im letzten Absatz überhaupt erklärt wird, dass Mäuse bei dieser Studie eine Rolle spielen und eigentlich nicht ein einziges Mal eindeutig erklärt wird, dass es in der Studie vor allem um Mausexperimente geht, gibt Journalisten und anderen Lesern keine Chance, die Bedeutung der Ergebnisse wirklich zu verstehen. Es entsteht der Eindruck, dass es darum geht, so gut wie möglich zu kaschieren, dass es sich um eine Mausstudie handelt.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt.

Klare Faktenfehler haben wir keine gefunden.

1 von 9 anwendbaren medizinjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

2 von 3 allgemeinjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

Abwertung um einen Stern, weil über den gesamten Text hinweg nicht ausreichend erläutert wird, wie vorläufig diese Ergebnisse sind, und weil nicht hinreichend deutlich wird, dass es sich um Experimente an Mäusen und Humanzellen handelt, wodurch viele wichtige Informationen nicht richtig eingeordnet werden können.

 

 

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar