Bewertet am 29. November 2018
Veröffentlicht von: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. / Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie

Bei sechs Prozent der an Bluthochdruck Erkrankten finde sich eine hormonelle Ursache, hier könne eine Operation helfen, berichtet eine Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) unter Berufung auf eine italienische Studie. Daraus wird die Forderung nach einem Screening für alle Bluthochdruckpatienten abgeleitet, ohne indes den Nutzen mit Zahlen zu belegen.

Zusammenfassung

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) präsentiert eine Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) zu einer italienischen Studie, die darauf hinweist, dass bei rund sechs Prozent der Menschen mit Bluthochdruck eine erhöhte Produktion des Hormons Aldosteron die Ursache sein könnte. Da diese Form durch Medikamente und eine Operation gut therapierbar und sogar „heilbar“ sei, wäre ein bevölkerungsweites Screening auf das Conn-Syndrom sinnvoll, also auf die krankhafte Mehrbildung der Hormons Aldosteron.

Der mögliche Nutzen des Screenings und der angesprochenen Therapien wird nicht ausreichend konkret dargestellt, ebenso wenig die möglichen Risiken und Nebenwirkungen. Die Pressemitteilung beschreibt die Studie noch hinreichend und erklärt, was eine ihrer Stärken ist. Die zitierten deutschen Experten sind nicht an der italienischen Studie beteiligt. Was das Neue dieser Studie ist, wird nicht deutlich gemacht. Der Text erwähnt sowohl die Operation als auch die Behandlung mit Medikamenten als Therapieoptionen. Wie verbreitet der Conn-Test ist und wo er durchgeführt werden kann, erfahren Leser nicht. Auf den Kostenaspekt geht der Text gar nicht ein. Die Bedeutung der Erkrankung wird nicht übertrieben dargestellt.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Die Pressemitteilung berichtet zunächst korrekt und in absoluten Zahlen über die Studie eines Forscherteams aus Italien, die der Anlass für die Pressemitteilung war. Problematisch sind indes die Folgerungen aus dieser Untersuchung. Schon in der Überschrift heißt es dazu: „Hormonell bedingter Bluthochdruck ist heilbar“. In der Folge werden zwei Experten, Präsident und Mediensprecher ihrer Fachgesellschaft, mit der Aussage zitiert, Patienten könnten in solchen Fällen durch Operation geheilt werden bzw. man könne ihnen durch medikamentöse Therapie helfen. Daraus wird die Forderung abgeleitet, „dass alle Hypertoniker zumindest einmal untersucht werden sollten, ob ein Conn-Syndrom vorliegt“. Ob ein solches Screening tatsächlich aber mehr Nutzen als Schaden brächte, ist gar nicht belegt bzw. dies wird einfach nur behauptet, nicht aber durch konkrete Angaben erläutert.

Hinzu kommt: Wie gut Patienten mit hormonell bedingtem Blutdruck geholfen werden kann, wird ebenfalls nicht dargelegt. Senkt die Behandlung des hormonell bedingten Blutdrucks mittels Medikament oder gar Operation tatsächlich die Zahl der Herzinfarkte oder Schlaganfälle? Auch hier fehlen konkrete Zahlen zum Nutzen der Maßnahmen.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Über Risiken und Nebenwirkungen eines Screenings wird nicht berichtet. In der Studie selbst geben die Autoren zu bedenken, falls der in den „Japanese Endocrine Society Guidelines“ empfohlene Bluttest breit eingesetzt werde, könne dies zu einem Anstieg von teuren und invasiven diagnostischen Maßnahmen wie Computertomographien und Katheteruntersuchungen führen; Bestätigungs- oder Ausschlusstests seien kaum standardisiert.

Auch zu den Behandlungsoptionen Operation und Medikamente wird nicht weiter ausgeführt, welche Risiken und Nebenwirkungen sie bergen.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN etc.) wird richtig eingeordnet.

Die Leser erfahren, dass es sich um eine prospektive, also vorausschauende Studie handelt, an der neun Hausarztpraxen teilnahmen. Was der Aspekt des „vorausschauenden“ für die Qualität der Studie bedeutet, wird indes nicht erklärt.

Der Präsident der Fachgesellschaft erläutert die Bedeutung der Studie: Sie liege vor allem darin, „dass die Ergebnisse die Zahlen aus Spezialambulanzen in einem nicht vorselektionierten Krankengut aus der Allgemeinpraxis bestätigen“. (siehe aber auch Kriterien Neuheit und Verständlichkeit).

Von den Studienautoren selbst genannte Begrenzungen der Aussagekraft werden indes nicht erwähnt: Nur 51 Prozent aller Patienten mit Bluthochdruck, die in den teilnehmenden Praxen behandelt wurden, konnten für die Teilnahme an der Studie gewonnen werden. Die Ergebnisse der Blutdruckmessung könnten durch den Weiß-Kittel-Effekt – also die Aufregung beim Arztbesuch – verzerrt sein, da keine 24-Stunden-Messungen durchgeführt wurden. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Die Pressemitteilung zitiert zwei deutsche Experten, die nicht an der Studie beteiligt sind. Die Geldgeber der Studie – die Region Piemont und das italienische Forschungsministerium – werden nicht erwähnt, obwohl dies interessant gewesen wäre. Es handelt sich offenbar um eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Studie. Somit sind die Forscher nicht unmittelbar finanziell abhängig von Firmeninteressen oder Interessen ihrer jeweiligen Hochschule. Wir werten insgesamt „knapp erfüllt“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Da es sich um eine Pressemitteilung handelt, ist dieses Kriterium nicht anwendbar. Die Pressemitteilung liefert bibliographische Angaben zur Studie und einen Link, zusätzlich einen Link zu einem kommentierenden Blogbeitrag des Präsidenten der DGE. Kontaktdaten gibt es indes nur zum Pressebüro der DGE.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz/das Mittel wirklich ist.

Es wird nicht deutlich erklärt, was das Neue dieser Untersuchung ist: Laut Pressemitteilung gab es bereits ähnliche Erkenntnisse, allerdings aus Studien mit Patienten aus Spezialambulanzen. Dies erweckt den Eindruck, das Neue sei, dass Patienten ohne besondere Vorauswahl in Allgemeinpraxen untersucht wurden. Dies stimmt indes nicht, da es laut Fachartikel bereits 12 Studien mit einer ähnlichen Untersuchungssituation gegeben hatte. Tatsachlich ist eine Besonderheit dieser Studie, dass sie streng den Leitlinien der Endocrine Society zur Diagnose und Behandlung von Bluthochdruck folgt, was bei der Mehrheit der älteren Studien nicht der Fall war.

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Als Behandlungsmöglichkeit des Bluthochdrucks werden medikamentöse Therapie oder Operation genannt. In der Studie werden weitere Optionen benannt: „An alternative strategy with patients displaying high ARR and relatively mild hypertensive disease could be strict adherence to a low-sodium diet and low dose MRA therapy.“

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

Man erfährt, dass die Verdachtsdiagnose gestellt wird, indem man den Aldosteron-Renin-Quotienten bestimmt. Bei auffälligem Hormonstatus erfolge „eine weitere Diagnostik in Form von Bestätigungstests, Bildgebung und Nebennierenvenenkatheterisierung“. Wie verbreitet der Test ist, ob er durch einfache Hausarztpraxen in Auftrag gegeben werden kann und wo die weitere Diagnostik durchzuführen wäre, bleibt offen.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Kosten werden nicht erwähnt, dabei wären die Implikationen durchaus interessant, wenn beispielsweise die Forderung erfüllt werden würde: „Für uns ergibt sich daraus die Forderung, dass alle Hypertoniker zumindest einmal untersucht werden sollten, ob ein Conn-Syndrom vorliegt.“

Wer die Kosten für den Bluttest übernimmt, erfahren Leser nicht. Ob sie auch außerhalb eines Screenings von der Krankenkasse übernommen werden, erklärt der Text nicht.

Auch die Kosten für die anschließende Behandlung wären eine interessante Information.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Hormonell bedingter Bluthochdruck ist häufig schwer einstellbar und führt vermehrt zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Insofern wird die Bedeutung der Erkrankung nicht übertrieben dargestellt.

Darstellung

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Die Studie erschien im April 2017, die Pressemitteilung ist von Anfang Mai 2017, also noch recht zeitnah erschienen, wenn auch nicht für eine tagesaktuelle Berichterstattung. Das Thema ist relevant, da hormonell bedingter Bluthochdruck oft schwer einstellbar ist und vermehrt zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen führen kann.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG).

Die Pressemitteilung ist in einigen Punkten unverständlich formuliert bzw. nutzt Fachjargon, über den viele Leser stolpern dürften (prospektive Studie, nicht vorselektioniertes Krankengut, supprimierter Reninspiegel…). Auch die vielen Substantivierungen erschweren die Lesbarkeit (Mehrsekretion,  Nebennierenvenenkatheterisierung, Hormonursache…) Die Leser bekommen  Informationen zu Häufigkeit und Ursachen von Bluthochdruck, es wird erklärt, was hormonell bedingter Bluthochdruck ist und wie man ihn diagnostiziert. Die dafür gebräuchlichen Fachbegriffe wie Hyperaldosteronismus oder Conn-Syndrom werden zwar eingeführt, aber was es mit dem „Aldosteron-Renin-Quotienten“ auf sich hat, wird nicht verständlich erläutert. Ein Satz wie „Die Conn-Wahrscheinlichkeit stieg mit zunehmendem Hypertoniegrad an“ ist wenig leserfreundlich. Mitunter ist die Pressemitteilung zudem bürokratisch formuliert, etwa wenn es heißt: „Bei auffälligem Hormonstatus erfolgte eine weitere Diagnostik in Form von Bestätigungstests, Bildgebung und Nebennierenvenenkatheterisierung.“ Nicht sehr gelungen ist auch die Darstellung des Anteils von Menschen mit Bluthochdruck– erst heißt es über ein Viertel der Gesamtbevölkerung“, dann „jeder dritte Erwachsene“. Insgesamt enthält die Pressemitteilung zwar viele Informationen, sie bemüht sich aber nicht um eine flüssige und allgemeinverständliche Sprache, um diese auch an Laien zu vermitteln.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt.

Faktenfehler sind uns keine aufgefallen.

4 von 9 anwendbaren medizinjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

2 von 3 allgemeinjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

Da zwei der vier erfüllten Kriterien nur knapp erfüllt sind, werten wir um einen Stern ab.

 

 

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar