Bewertet am 6. Mai 2013
Veröffentlicht von: Universität Koblenz-Landau

Die Pressemitteilung berichtet über eine „App“ für Mobiltelefone, die im Falle eines plötzlichen Herzstillstands den Weg zum nächsten Defibrillator weist, sowie zeigen soll, was zu tun ist. Die Pressemitteilung ohne erkennbaren Anlass suggeriert dabei einen lebensrettenden Nutzen, der aber wohl noch gar nicht nachgewiesen ist.

Zusammenfassung

Als Mittel gegen einen plötzlichen Herztod wurden in den vergangenen Jahren auch in Deutschland zahlreiche Laien-Defibrillatoren (AED für „Automatisierte Externe Defibrillatoren“) im öffentlichen Raum installiert. Die sprachlich gut lesbare Pressemitteilung berichtet nun über eine – wie deutlich wird – bereits verfügbare und kostenlose App für das Mobiltelefon, die den Weg zum nächstgelegenen öffentlichen AED weisen soll und „Schritt für Schritt zeigt, was zu tun ist“. Dabei wird suggeriert, dass eine beschleunigte Hilfeleistung und ein damit verbundener lebensrettender Nutzen durch die Defi-App bereits sicher nachgewiesen ist, wobei weder Studien noch Experten jenseits der Universität selbst genannt sind. Mögliche Risiken und Nachteile werden ebenso wenig berücksichtigt wie Alternativen. Mangels eines aktuellen Anlasses steigt die Pressemitteilung indes mit einer Tendenz zur Dramatisierung ein, wobei das Problem des plötzliche Herztods zwar nicht grundsätzlich, wohl aber im Detail etwas übertrieben dargestellt wird.

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Umweltjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Der Nutzen, den die Pressemitteilung beschreibt, gliedert sich in zwei Teile: Demnach zeigt die App einerseits „Schritt für Schritt, was im Notfall zu tun ist“, andererseits soll das Programm helfen, die Standorte des nächst erreichbaren öffentlichen Laien-Defibrillators zu finden. Der mögliche Nutzen wird jedoch lediglich allgemein beschrieben („hilft hier effektiv weiter“) und nicht quantifiziert. Um aber die Wirksamkeit der App bewerten zu können, wäre streng genommen z.B. eine Anwendungsbeobachtung notwendig, bei der man die Überlebensrate bei entsprechenden Notfällen mit und ohne den Einsatz der App vergleicht – immerhin verspricht die Überschrift bereits „Rettung bei plötzlichem Herzstillstand“. Mindestens wäre es erforderlich zu wissen, ob es schon Studien oder Simulationen gibt, wie viel schneller Anwender mit Hilfe des Programms tatsächlich einen öffentlichen Defibrillator finden und anwenden konnten als ohne diese Hilfe. Auf all dies geht die Pressemitteilung aber nicht ein. Ebenso wenig wird deutlich, dass bereits der Nutzen von öffentlichen Defibrillatoren selbst durchaus diskutiert wird – und das obwohl die Forscher in einer Publikation schreiben (pdf) „Die vorwiegend medizinische Literatur zum AED-Einsatz durch Laien hat einige ernüchternde Ergebnisse hervorgebracht.“

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Auf Risiken geht die Pressemitteilung nicht ein. Zwar sind gravierende Nebenwirkungen nicht unbedingt zu erwarten, es wäre jedoch beispielsweise interessant zu wissen, inwieweit der Einsatz solcher technischen Hilfsmittel auch von Rettungsmaßnahmen ablenken kann oder sich Erstretter zu sehr auf ihre Rettungs-App verlassen und sich weniger darum kümmern, Wissen zu Erster Hilfe zu erwerben. Auch falsche Maßnahmen oder Zeitverlust durch missverständliche Erklärungen und überholte Daten zu Defi-Standorten wären denkbar.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN etc.) wird richtig eingeordnet.

Wie gut das Verfahren untersucht ist, wird weder für die technische Seite klar (Handelt es sich um ein fertiges Programm oder um eine Beta-Version, wie man aus der Angabe „im Rahmen einer Diplomarbeit (…) entstanden“ schließen könnte), noch erfährt man dies für die Anwendung: Wurde mit Testpersonen untersucht, wie viel schneller sie mit der App einen Defibrillator finden konnten? Wurde – theoretisch oder in einer Studie – die Verbesserung der Überlebensraten bestimmt? Wenn die Forscher selbst in einer Fachpublikation (pdf) jenseits der Pressemitteilung äußerst optimistisch schreiben

„Die generelle Zweckerfüllung des Projektes „Defi Now!“ kann nach Ansicht der Autoren bereits dann hinreichend nachgewiesen werden, wenn auch nur ein einziges Menschenleben mit direkter Unterstützung von „Defi Now!“ oder indirekt durch die Schaffung des Bewusstseins für die Problematik gerettet werden kann.“

wäre es angesichts der Überschrift der Pressemitteilung interessant zu erfahren, ob eine solche Rettung schon nachweislich stattgefunden hat. Für die Effizienz öffentlicher Defibrillatoren selbst scheint es indes durchaus Daten zu geben, die die Autoren in der genannten Publikation selbst nennen und zu denen wir schon bei oberflächlicher Suche eine Übersichtsarbeit gefunden haben, in der es heißt:

“Automated external defibrillators (AEDs) permit defibrillation by trained first responders and laypersons. AEDs are available at most public venues, and vast sums of money are spent installing and maintaining these devices. AEDs have been evaluated in a variety of public and private settings.”

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Weitere Experten oder Quellen jenseits der eigenen Universität werden nicht zitiert. Es bleibt völlig offen, woher die Angaben zum plötzlichen Herzstillstand stammen. Auch im Rahmen einer Pressemitteilung wäre es zudem durchaus möglich, zum Beispiel einen Rettungsmediziner o.ä. zu Wort kommen zu lassen, wo er Vor- und Nachteile solcher Anwendungen sieht.

Ein Interessenkonflikt der Forscher (z.B. Kooperation mit einem Hersteller) wird nicht genannt, in einer Fachpublikation (pdf) wird dieser von ihnen aber auch verneint. Insgesamt entsteht zumindest der Eindruck, dass die Wissenschaftler aus Überzeugung und weniger aus monetären Interessen handeln.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Generell haben wir uns entschieden, dieses Kriterium bei der Bewertung von Pressemitteilungen selbst nicht in die Wertung einfließen zu lassen. Gleichwohl soll hier erwähnt werden, ob neben der Pressemitteilung weitere Materialien (Links, Fachpublikationen, Bild- und Videomaterial zur Verfügung gestellt werden. Im konkreten Fall wird lediglich eine Web-Adresse genannt, unter der man sich die App herunterladen kann und weitere Informationen erhält.)

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz/das Mittel wirklich ist.

Wie lang es die App schon gibt, erfährt man in der Pressemitteilung nicht (laut Webseite existiert das Projekt zumindest seit 2011). Es wird in der Mitteilung auch nicht deutlich, ob es sich bei der App um ein neues Verfahren handelt oder lediglich Vorbilder (etwa aus anderen Ländern) weiterentwickelt wurden. Sucht man selbst danach, so findet man in einer Publikation (pdf) der Koblenzer Forscher zumindest Hinweise auf zwei Vorläufer-Projekte: „Lösungen wie AEDmap (siehe Aichi Automated External Defibrillator Map) in Japan oder das niederländische Projekt AED4.EU (siehe AED4.EU) variieren dabei insofern von „Defi Now!“, als dass sie primär nur auf bestimmte Regionen beschränkt sind oder unzureichende Ansätze für die Mikronavigation bieten.“

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Auf Alternativen zu der App (weitere Apps, bessere Aufklärung, Erste-Hilfe-Kurse, Beschilderungen etc.) und deren Vor- und Nachteile geht der Beitrag nicht ein.

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

Die Pressemitteilung macht klar, dass die betreffende App verfügbar ist und verweist auf eine Internetseite, wo diese heruntergeladen werden kann (dort via Link zu iTunes und für Android-Systeme).

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Die Pressemitteilung weist darauf hin, dass die App kostenlos heruntergeladen werden kann.

Weitere Angaben zu Kosten gibt es nicht. Auf der Webseite findet sich allerdings einen Spendenaufruf zur Unterstützung des Projekts. Dass die Kosten-Effizienz öffentlicher Defibrillatoren selbst durchaus differenziert diskutiert wird, erfährt man nicht (vgl. z.B. hier): “AEDs are cost effective at sites where there is a high density of both potential victims and resuscitators. Placement at golf courses, health clubs, and similar venues is not cost effective; however, the visible devices are good for public awareness of the problem of sudden cardiac death and provide reassurance to patrons.”)

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Der plötzliche Herzstillstand und die Problematik der Ersthilfe mit Defibrillatoren sind ein wichtiges Thema, sodass die Problematik im Grundsatz nicht übertrieben dargestellt wird. Für in der Pressemitteilung verwendete Beschreibungen wie „den Partner, der zuhause unvermutet zusammenbricht“, hat eine Hilfe zum Auffinden eines Defibrillators im öffentlichen Raum aber eigentlich keine Bedeutung, sodass man zumindest bei diesem Beispiel schon von einer unsachlichen Dramatisierung sprechen kann. Auch die ohne Quelle genannte Zahl von 100 000 Fällen von plötzlichem Herzstillstand pro Jahr ist bereits insofern als Übertreibung anzusehen, als es sich um die Gesamtsumme handeln soll und nicht um die Zahl jener Fälle, die tatsächlich im Einzugsbereich öffentlicher Defibrillatoren verzeichnet wurden. Wir werten dennoch knapp “erfüllt”.

Darstellung

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Das Thema ist durchaus relevant, die App selbst scheint jedoch nicht in einem Entwicklungsstadium zu sein, in dem eine Berichterstattung dringend erscheint. Ein aktueller Anlass für eine Pressemitteilung ist nicht erkennbar. Die App ist vor mehr als einem Jahr auf einer großen Konferenz vorgestellt worden (pdf) und auch das Universitätsinstitut hat die Öffentlichkeit schon damals via Webseite der Universität informiert In der Fachöffentlichkeit wurde das Projekt vor noch längerer Zeit vorgestellt (pdf). Und ausreichend originell, um ohne Anlass sofort darüber zu berichten würde, sind Apps zur Orientierung oder zur Anwendung in der Medizin inzwischen nicht mehr.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG).

Die Pressemitteilung ist verständlich geschrieben, neigt weder zu langen Sätzen noch zu Nominalstil und vermeidet Fachausdrücke. Die Überschrift verspricht mit dem Claim „Rettung“ mehr als die geschilderten Daten/Resultaten derzeit halten, was für eine Pressemitteilung aus der Wissenschaft zumindest diskussionswürdig ist.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt.

Uns sind – jenseits der zu diskutierenden Todesfallzahl (siehe Kriterium Krankheitsübertreibung) – keine Faktenfehler aufgefallen.

3 von 9 anwendbaren medizinjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

2 von 3 allgemeinjournalistischen Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

 

 

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar