Eine Sport- und Ernährungsmedizinerin empfiehlt in einem unterhaltsamen Beitrag ihrer Kolumne auf Focus Online bestimmte Lebensmittel gegen chronische Entzündungen und Arthrose. Die Studien, auf die sie verweist, sind rund zehn Jahre alt und nur wenig aussagekräftig. Eine der Studien wurde von einer Lobbygruppe finanziert und an Laborratten durchgeführt. Doch von all dem erfahren Leserinnen und Leser nichts.
Zusammenfassung
In einem Artikel einer Kolumne empfiehlt eine Sport- und Ernährungsmedizinerin auf Focus Online bestimmte Lebensmittel gegen chronische Entzündungen und Arthrose. In dem unterhaltend und weitgehend verständlich geschriebenen Text werden zwar positive Effekte bestimmter Lebensmittel aufgezählt, dieser aber nicht quantifiziert. Ob es negative Effekte dieser Lebensmittel gibt, bleibt offen. Auch wenn viele verschiedene Lebensmittel genannt werden, bleibt ein echter Vergleich aus. Es werden zwar drei Studien als Belege genannt, diese werden indes in keiner Weise eingeordnet. Dass alle drei Untersuchungen rund zehn Jahre alt sind, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Sie werden auch nicht durch einen weiteren Experten oder eine Expertin eigeordnet, was in diesem Fall (einer ExpertInnen-Kolumne) bitter nötig gewesen wäre. Auf Interessenkonflikte bei einer der Studie wird nicht eingegangen. Verkaufslinks im Artikel werden indes transparent gemacht. Ob Ernährung als Mittel gegen solche Entzündung schon lange ein probates Mittel ist, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Vor allem durch den Verweis auf drei Studien, die nur wenig Aussagekraft besitzen und rund zehn Jahre alt sind, erschließt sich nicht, wodurch der Artikel seine publizistische Relevanz erhielte. Aktuell ist er auf keinen Fall.
Die Kriterien
1. Die positiven Effekte sind ausreichend und verständlich dargestellt.
Die positiven Effekte von Ernährung werden ausgiebig angepriesen: „Kaum etwas hat so einen enormen Einfluss auf unser Wohlbefinden, unsere Fitness und unsere Gesundheit wie die Ernährung. Selbst Krankheiten, die bereits im Anmarsch sind, kann man mit der richtigen Ernährung zuvorkommen. Welche Lebensmittel den schleichenden Prozess von Arthrose in den Gelenken umkehren.“
„ (…) produziert das hinterlistige Bauchfett zusätzlich auch noch pro-entzündliche Botenstoffe, die sich still und heimlich wie kleine Glutnester in unserem Körper ausbreiten. Wir nennen sie „Chronische Entzündungen” oder neudeutsch „Chronic Inflammation”.“
„Kommen zu viele Brandbeschleuniger zusammen (Bauchfett, chronischer Stress, industrielle Ernährung), schlagen die Flammen lichterloh um sich und greifen auf immer weitere Regionen unserer Körper über. Es zeigen sich nicht nur Schmerzen, sondern auch ein ganzes Bündel an Erkrankungen (Arthrose, Arthritis, depressive Verstimmungen, Stoffwechselerkrankungen oder auch Krebs).“
Es bleibt indes völlig offen, welche Mengen in welchem Umfang Entzündungen gelindert werden und ob diese überhaupt klinisch relevant sind. Daher werten wir – wenn auch knapp – „nicht erfüllt“.
2. Die negativen Effekte werden angemessen berücksichtigt.
Der Text enthält einen kurzen Abschnitt über die entzündungsfördernden Auswirkungen von Schweinefleisch und anderen Lebens- und Genussmitteln; jedoch wird darauf nicht näher eingegangen. Mögliche negative Effekte der drei genannten Nahrungsmittel werden nicht thematisiert. Auch wenn es keine gäbe, wäre dies eine Erwähnung wert, etwa im Vergleich zu Arthrose-Medikamenten.
3. Es werden ALTERNATIVE Lebensmittel/Ernährungsformen/Diäten oder andere Maßnahmen vorgestellt/verglichen.
Der Artikel nennt zwar zahlreiche andere Lebensmittel und Inhaltsstoffe, die angeblich gegen Entzündungen helfen könnten, neben den drei Lebensmitteln, die ein wenig näher beschrieben werden. Indes wirkt dies alles sehr beliebig und das einzige Kriterium, dass die drei genannten Lebensmittel hervorgehoben werden, scheinen die Verweise auf die (sehr alten) Studien zu sein (siehe Kriterium Belege). Wie gut Ernährung zudem Entzündungen vorbeugen bzw. lindern kann im Vergleich zu anderen Maßnahmen (Bewegung, Medikamente) bleibt völlig offen. Daher werten wir alles in allem knapp „nicht erfüllt“.
4. Die Belege/Studien werden ausreichend eingeordnet.
Es werden zwar drei Studien als Belege genannt, jedoch erfährt man nichts genaueres über deren Aufbau und ihre Aussagekraft.
Zur Blaubeeren-Studie wird nicht erwähnt, dass es sich um eine Laborstudie an Ratten handelt. In der Frühlingszwiebel-Knoblauch-Studie wurde in erster Linie die Auswirkung gemüse- und obstreicher Kost im Allgemeinen untersucht. In der Sesam-Studie bekamen lediglich 25 Personen Sesam, und sie war nicht verblindet, was das Ergebnis verzerren könnte.
Dass die Untersuchungen aus den Jahren 2010, 2011 und 2013 stammen, erfahren Leserinnen und Leser ebenfalls nicht.
5. Es gibt weitere, unabhängige Experten und die Quellen sind transparent.
Auch wenn es sich um eine Kolumne einer Expertin handelt, kann es durchaus angemessen sein, andere ExpertInnen zu zitieren, die die Informationen etwa zu den Studien einordnen. Angesichts des Alters der Untersuchungen wäre dies sehr nötig gewesen, da die Auswahl der Studien und die Qualität der Studien selbst erklärungsbedürftig ist, was im Text indes nicht geschieht. Positiv ist, dass im Artikel auf die Fachartikel verlinkt wird. Wir werten alles in allem knapp „nicht erfüllt“.
6. Es wird auf mögliche INTERESSENKONFLIKTE eingegangen.
Dass ausgerechnet die eine kleine, elf Jahre alte Studie mit Ratten, die zeigen soll, wie Heidelbeeren helfen soll, von einer US-Heidelbeer-Lobbygruppe finanziert wurde (U.S. Highbush Blueberry Council (Folsom, CA, USA)), hätte im Artikel erwähnt werden müssen. Ein Aspekt, den wir zuvor schon bei einem anderen Artikel kritisiert hatten, der auf diese alte Studie verwiesen hat.
Grundsätzlich macht der Artikel transparent, dass es im Text Verkaufslinks gibt und dass die Expertin selbst Bücher verkauft.
Alles in allem werten wir knapp „nicht erfüllt.
7. Es gibt eine Einordnung in den Kontext (Neuheit/Verfügbarkeit/Kosten/Herkunft etc.).
Kosten werden im Beitrag nicht thematisiert, könnten aber von Interesse sein, weil z.B. Heidelbeeren durchaus etwas teurer sind als andere Lebensmittel. Es bleibt völlig offen, wie etabliert der Ansatz ist, Entzündungen und Arthrose durch Ernährung vorzubeugen oder zu lindern oder seit wann Lebensmittel gegen Arthrose empfohlen werden (auch dafür wäre es wichtig gewesen, das Veröffentlichungsjahr der Studien mitzuteilen).
8. Die FAKTEN stimmen.
Ob wirklich alle Fakten stimmen, ist aus dem Artikel allein nicht ersichtlich, da zu einigen Behauptungen keine Quellen genannt sind. Die entzündungshemmende Wirkung von Heidelbeeren wurde in der zitierten Studie nur bei Ratten, nicht aber beim Menschen, nachgewiesen. Dies erwähnt die Autorin jedoch nicht. Dass Lauchgemüse chronische Entzündungen „löscht“, belegt die zitierte Studie ebenfalls nicht.
9. Der Beitrag ist überwiegend eine JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG.
Die Kolumne basiert nicht auf einer Pressemitteilung, sondern auf eigenen Recherchen der Autorin. Es ist zu vermuten, dass sich die Informationen in dem Artikel bereits in den von der Autorin veröffentlichten Buch zu Gelenken wiederfindet.
10. Der Beitrag vermittelt das Thema ATTRAKTIV.
Die Autorin arbeitet ausgiebig mit Assoziationen, Illustrationen und Bildern (Feuer im Körper, Gesundheitspolizei, siehe auch Kriterium Verständlichkeit)), um Laien medizinische Zusammenhänge attraktiv zu präsentieren. Allerdings kommen manche ihrer „saloppen“ Formulierungen sowie die sehr häufig verwendete direkte Ansprache der Leserschaft etwas sehr „flapsig“ daher („wird’s leider kurz ungemütlich; Starke Liste, oder?“, „mit einer Studie auf den Senkel“), was die Attraktivität der Präsentation für manche Leserinnen und Leser schmälern mag. Zudem kommt die Headline im Vergleich zur Bildsprache des Artikels ziemlich „bieder“ daher und zieht den Leser nicht richtig in die Thematik hinein.
Zu Beginn des Textes sind Leserinnen und Leser etwas verloren, da sich die erste Texthälfte nicht um die drei angekündigten Lebensmittel dreht, die Gelenkproblemen vorbeugen.
11. Das Thema VERSTÄNDLICH erklärt.
Der Text arbeitet ausgiebig mit Bildern und Metaphern: „Wer seinem Körper gutes Baumaterial liefert, der erschafft sich einen robusten Rohbau inklusive schöner Fassade. Ist der Input minderwertig, wird auch unser Körper nicht begeistert sein.“ „Kommen zu viele Brandbeschleuniger zusammen (Bauchfett, chronischer Stress, industrielle Ernährung), schlagen die Flammen lichterloh um sich und greifen auf immer weitere Regionen unserer Körper über.“) Das macht die Hauptkonzepte verständlich, lässt indes Details über molekulare Mechanismen und vor allem die Evidenz vermissen. Alles in allem werten wir knapp „erfüllt“.
12. Das Thema ist AKTUELL, RELEVANT ODER ORIGINELL.
Natürlich sind viele Menschen von Arthrose betroffen, was eine gewisse Relevanz des Artikels erfüllt. Jedoch wird im Beitrag auf drei rund zehn Jahre alte, selektive Studien verwiesen, womit der Artikel in keinem Fall das Kriterium Aktualität und letztlich auch nicht das Relevanz-Kriterium erfüllt. Dass Ernährung gegen Entzündungen helfen kann/soll, ist zudem kein sonderlich originelles Thema mehr.
Journalistische Kriterien: 3 von 12 erfüllt