Bewertet am 28. Oktober 2021
Veröffentlicht von: SWR3.de

Fünf Portionen Obst und Gemüse empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) seit Jahren für ein gesunde Ernährung. Der Artikel auf SWR3.de erklärt auf plakative Art und Weise, warum das zweifelhaft ist.

Zusammenfassung

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) propagiert seit vielen Jahren mit der Kampagne „5 am Tag“, dass Menschen täglich etwa fünf Portionen Gemüse und Obst essen sollten, weil dies verschiedene positive Effekte für die Gesundheit habe. Ein Artikel auf SWR3.de – einer leicht angepassten Textversion eines Videobeitrags der Faktencheck-Reihe des Senders – setzt sich kritisch mit den Behauptungen auseinander. Die behaupteten positiven Effekte werden zwar beschrieben, indes wird nicht klar, um welches Ausmaß es dabei gehen soll. Probleme, die mit einer solchen Ernährungsform auftreten können, werden ansatzweise angesprochen. Als Alternative wird die „personalisierte Ernährung“ beschrieben, ohne jedoch irgendwelche Informationen zu den Belegen dafür und zum Ausmaß der Effekte zu liefern. Der Artikel erklärt vor allem, dass die Belege für die gesundheitlichen Effekte von „5 am Tag“ auf schwachen Füßen stehen, weil der Typ der Studien („Beobachtungsstudien“) nicht dazu geeignet sei, kausale Zusammenhänge zu belegen. Neben der Vertreterin der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt es einen unabhängigen Experten, der die plakativ die Gegenposition vertritt. Nichts ganz deutlich wird, ob es sich um eine aktuelle oder schon länger geführte Debatte handelt. Der Text ist weitgehend verständlich und durch die plakative Gegenüberstellung der beiden Positionen und das Fokussieren auf das Problem der Studien interessant zu lesen und weitgehend verständlich, auch wenn es einige Ungenauigkeiten zu bemängeln gibt und nicht ganz klar wird, warum der Artikel gerade jetzt erscheint. Alles in allem handelt es sich um einen durchaus gelungenen Beitrag.

Hinweis: Unsere Bewertung bezieht sich nur auf den Artikel nicht auf das Video der Faktencheck-Reihe des Senders.

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Die Kriterien

1. Die positiven Effekte sind ausreichend und verständlich dargestellt.

Es heißt am Anfang sehr allgemein, dass es um „gesunde“ Ernährung gehe, die sich die Menschen wünschten. Was damit aber gemeint ist, bleibt zunächst vage. Später heißt es: „Ergebnisse einiger Studien zeigen, dass Obst und Gemüse das Risiko von Herzkrankheiten, Schlaganfällen oder verschiedenen Krebserkrankungen reduzieren können. Am University College of London haben Forscherinnen und Forscherherausgefunden, dass bei steigendem Konsum, vor allem von Gemüse, die Sterberate sinkt.“ Das verdeutlicht in welchen Bereichen positive Effekte erwartet werden. Leider gibt der Artikel keinerlei konkrete quantitative Angaben zum Ausmaß dieser Effekte. So wird nicht deutlich, um welche Größenordnungen es denn überhaupt geht, hier wären einige wenige Zahlen schon hilfreich gewesen. Daher werten wir das Kriterium, wenn auch knapp „nicht erfüllt“.

2. Die negativen Effekte werden angemessen berücksichtigt.

Auch wenn bei Obst und Gemüse oft ignoriert wird, dass diese auch negative Effekte haben können, zumal wenn sie in großen Mengen konsumiert werden, versucht der Artikel dies zumindest anzureißen: „Obst beispielsweise ist gar nicht so unproblematisch. Stichwort: Zucker. Auch zu viel Fruchtzucker kann bei Diabetes eine Rolle spielen oder zu Übergewicht führen. Mal ganz abgesehen von Beschwerden, wenn eine Unverträglichkeit vorliegt.“ (siehe aber auch Kriterium Fakten). Wir werten knapp „erfüllt“.

3. Es werden ALTERNATIVE Lebensmittel/Ernährungsformen/Diäten oder andere Maßnahmen vorgestellt/verglichen.

Als Alternative zu „5 am Tag“ wird auf eine individuelle („personaliserte Ernährung“), ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung verwiesen, bei der man die Mengen im Blick behalten sollte („und von allem nicht zu viel.“). Einen Vergleich der beiden Strategien gibt es indes nicht, da im Beitrag generell keine quantitativen Angaben gemacht werden. Zudem bleibt offen, welche Belege es dafür gibt. Da diese beiden Ernährungsformen so plakativ gegenübergestellt werden, hätten wir hier mehr Informationen für nötig gehalten.

Welche anderen Maßnahmen vergleichbare Effekte abseits von Ernährungsempfehlungen möglich wären, erfahren Leserinnen und Leser nicht.

Alles in allem werten wir nur knapp „erfüllt“.

4. Die Belege/Studien werden ausreichend eingeordnet.

Der zentrale Punkt des Artikels ist die Problematik, dass die Belege für die Kampagne vor allem aus Beobachtungsstudien stammen, was ein generelles Problem in den Ernährungswissenschaften ist: „Die DGE verweist darauf, dass es zu Beginn nur Beobachtungsstudien gegeben habe: ‚Das heißt wir können anhand dieser Studien in der Ernährungswissenschaft Zusammenhänge – also Assoziationen oder Zusammenhänge – belegen, nachweisen, aber keine kausalen Zusammenhänge.‘“ Dies wird später durch ein Beispiel eindrücklich erklärt.

„Deutlich wird aber, dass diese große Kampagne, finanziert durch Krankenkassen, Ministerien, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und vielen andere, sich auf Studien stützt, die mehr als zweifelhaft sind, weil sie sich hauptsächlich auf Beobachtungen berufen.“

Es gibt indes keinerlei Informationen, welche Studien belegen, dass die Alternative „personalisierte Ernährung“ positive Effekte erzielt.

Dass so etwas wie Studientypen überhaupt thematisiert wird, finden wir sehr gelungen, hätten indes auch einen etwas differenzierteren Blick hilfreich gefunden, da es ja laut Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) heißt, dass die Problematik vor allem auf die Anfangszeit zutreffe. An dieser Stelle wären Informationen zur aktuellen Studiensituation hilfreich, ob es inzwischen etwa mehr Untersuchungen in einem Studiendesign gibt, das kausale Zusammenhänge nachweisen kann. Hinzu kommt: Es gibt auch Verfahren, die helfen, solche Zusammenhänge unter ganz bestimmten Voraussetzungen auch mit Beobachtungsstudien zu belegen. Angesichts der Länge des Artikels, verstehen wir indes, dass solche Aspekte nicht erörtert werden.

Alles in allem werten wir knapp „erfüllt“.

5. Es gibt weitere, unabhängige Experten und die Quellen sind transparent.

Neben der Pressesprecherin der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) wird ein davon unabhängiger Experte zitiert, der seit vielen Jahren als vehementer Kritiker der Ernährungsempfehlungen der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) auftritt. Er wird indes lediglich als „Ernährungswissenschaftler“ beschrieben, wodurch der Eindruck entsteht, es handele sich um einen forschenden Experten. Tatsächlich ist er seit zwei Jahrzehnten publizistisch und als PR-und Kommunikationsberater im Ernährungsbereich tätig.

Daher wäre ein dritter Experte/eine dritte Expertin aus dem Forschungsbereich sicherlich eine gute Ergänzung gewesen.

Die angesprochenen Studien sind transparent dargestellt und verlinkt.

6. Es wird auf mögliche INTERESSENKONFLIKTE eingegangen.

Es wird erklärt, wer hinter der Kampagne „5 am Tag“ steckt: „Hinter der Kampagne 5 am Tag steht ein eingetragener Verein mit Mitgliedern wie der Deutschen Krebsgesellschaft, einigen Krankenkassen, Ministerien, Stiftungen und Partnern aus der Wirtschaft. Einer der wichtigsten Beteiligten ist eine Art selbst ernannte Stiftung Warentest für Essen: die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die DGE.“

Es wird deutlich, dass die Pressesprecherin für ihre Organisation, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) spricht.

Ein wenig deutlicher hätte man im Beitrag machen können, dass der zweite Experte seit Jahren in Vorträgen und Büchern mit einer besonders pointierten Gegenposition in der Öffentlichkeit auftritt und damit naturgemäß auch den Buchverkauf und die Zahl seiner Vorträge ankurbelt.

7. Es gibt eine Einordnung in den Kontext (Neuheit/Verfügbarkeit/Kosten/Herkunft etc.).

Der Artikel macht nur indirekt deutlich, dass die Kampagne „5 am Tag“ seit langem durchgeführt wird, was indes vielen bekannt sein dürfte. Informationen zur Verfügbarkeit von Obst und Gemüse sind nicht erforderlich, indes hätten wir die Aspekte wie Kosten oder auch Herkunft der Lebensmittel (Bio oder konventionell?) noch für hilfreiche Informationen gehalten. Vor allem aber wird nicht klar, ob es sich um eine aktuelle Debatte handelt oder ob diese bereits seit ein paar Jahren geführt wird. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

8. Die FAKTEN stimmen.

Es gibt mehrere Ungenauigkeiten, die zusammengenommen dazu führen, dass wir das Kriterium als knapp „nicht erfüllt“ werten.

Es heißt im Artikel: „Es gibt bei den ganzen Studien also folgendes Problem: Die meisten Zusammenhänge, die Studien finden können, sind relativ schwach, weil es sich um Beobachtungsstudien handelt.“ Das stimmt insofern nicht, weil die Zusammenhänge ja nicht „schwach“ sind, weil es mit einem bestimmten Studiendesign untersucht wurde. Es ist tatsächlich so, dass die Effekte von Ernährung wahrscheinlich gering sind, und diese lassen sich dann mit einem Beobachtungsstudien nicht sicher nachweisen, eben weil dieser Typ nicht dafür geeignet ist. Fallen solche Effekte groß aus, geht dies durchaus: Tatsächlich beruht zum Beispiel das Wissen der gesundheitsschädlichen Effekte des Rauchens auf zahllosen Beobachtungsstudien, da die Effekte sehr groß und eindeutig sind und es aus ethischen Gründen nicht möglich ist, diese in einem experimentellen Langzeitdesign nachzuweisen.

Dass viel Fruktose aus Obst zu Unverträglichkeiten führen kann und für Diabetiker nur teilweise zu empfehlen ist, ist zwar richtig. Obst erhöht aber nicht das Risiko für Übergewicht, wie es im Artikel heißt („Auch zu viel Fruchtzucker kann … zu Übergewicht führen.“) Es ist etwas anderes, wenn es sich um Säfte, Nektar oder Soft Drinks handelt.

Die DGE ist keine „selbst ernannte“ Stiftung Warentest, sie wird zu 3/4 von Bund und Ländern finanziert. Die Empfehlungen sind also Teil eines politischen Auftrags. Es gibt in allen Ländern ähnliche Institutionen.

Der Experte wird als „Ernährungswissenschaftler“ bezeichnet als handele sich um einen forschenden Experten. Er hat zwar Ökotrophologie studiert und mit Diplom abgeschlossen, arbeitet seitdem aber als PR- und Kommunikationsberater und Publizist im Ernährungsbereich.

9. Der Beitrag ist überwiegend eine JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG.

Der Artikel basiert offensichtlich nicht auf Pressematerial, sondern auf den Interviews, die mit den beteiligten Personen gehalten wurden. Der Artikel selbst beruht auf einem Videobeitrag des Senders.

10. Der Beitrag vermittelt das Thema ATTRAKTIV.

Es handelt sich um die eingetextete Version eines Videobeitrags des Senders. Das ist durchaus gelungen, weil abwechslungsreich, mit weitgehend kurzen Sätzen, guten Erklärungen, Links zu Studien, Zwischenüberschriften und pointierten Positionen. Lediglich bei den teils sehr langen Zitaten wäre ein wenig Überarbeitung des gesprochenen Wortes sinnvoll gewesen. Durch die plakative Darstellung geht indes auch einiges an Differenzierung verloren.

11. Das Thema VERSTÄNDLICH erklärt.

Der Artikel ist grundsätzlich zu verstehen. Ein etwas unverständliches Zitat der DGE-Expertin etwa wird gut erklärt: „Dazu ein konkretes Beispiel: Hat man zu einem Thema viele Studien, die zeigen, dass Menschen, die rote T-Shirts tragen länger leben, können wir ja auch nicht dazu raten, dass alle jetzt rote T-Shirts tragen sollen, weil das unser Leben verlängert. Alle Probanden der Studien haben, vielleicht auch Brot gegessen. Woher weiß man also, ob nicht das Brot den lebensverlängernden Effekt hatte? Dass bedeutet, dass auch andere Einflüsse und Lebensumstände den Zusammenhang erklären können. Zum Beispiel könnte es daran liegen, dass Menschen, die viel Obst oder Gemüse essen auch oft mehr Sport machen, auf ihre Gesundheit achten und sich grundsätzlich besser ernähren. Und dass umgekehrt Menschen, die mehr Sport machen, auch mal öfter zum Apfel als zum Kuchen greifen.“

Unklar bleibt leider, was genau eigentlich „Beobachtungsstudien“ sind und warum keine Studiendesigns verwendet wurden, mit denen man „kausale Zusammenhänge“ nachweisen kann.

12. Das Thema ist AKTUELL, RELEVANT ODER ORIGINELL.

Ein aktueller Anlass (aktuelle Studie, aktueller Änderung der Kampagne) ist nicht erkennbar, eine gewisse Relevanz ergibt sich durch die seit vielen Jahren bundesweit durchgeführte Kampagne „5 am Tag“, die Menschen zu einem höheren Konsum von Gemüse und Obst verleiten soll und die in der Bevölkerung durchaus bekannt sein dürfte. Dass sie seit einigen Jahren auch kritisiert wird, ist indes keine Neuigkeit oder besonders originell. Wir werten alles in allem nur knapp „erfüllt“.

Journalistische Kriterien: 10 von 12 erfüllt

Wir werten um einen Stern ab (von 5 auf 4 Sterne), weil fünf Kriterien nur knapp erfüllt sind, während zwei Kriterien nur knapp „nicht erfüllt“ wurden.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar