Bewertet am 5. Oktober 2021
Veröffentlicht von: Focus Online

In einem recht ausführlichen Artikel berichtet Focus Online über das Vitamin-B12. Der Text liefert viele interessante Informationen, verwirrt aber teilweise, weil unklar bleibt, welche gesundheitlichen Effekte denn nun wirklich gut belegt sind. Weder ist ein aktueller Anlass erkennbar, noch wird auf aktuelle Studien verwiesen.

Zusammenfassung

Ein ausführlicher Artikel über das Vitamin-B12 auf Focus Online liefert viele interessante Informationen, suggeriert teilweise aber auch positive Effekte, die nicht konkret beschrieben werden und die auch laut aktueller Studien nicht belegt sind. Negative Effekte beleuchtet der Artikel noch hinreichend. Der Text macht deutlich, welche Möglichkeiten es gibt, Vitamin B12 zu sich zu nehmen und was dies kostet. Die angesprochenen Studien werden nicht ausreichend eingeordnet, es wird auch nicht klar, dass es sich um ältere Untersuchungen handelt. Ein aktueller Anlass für den Artikel, der mit vielen Fachbegriffen gespickt und nicht an allen Stellen hinreichend verständlich ist, ist nicht erkennbar. Zumindest gibt es eine Einordnung durch eine Expertin der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), auch wenn die Pressemitteilung zu Vitamin-B12 der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ebenfalls schon wieder zwei Jahre alt ist.

Hinweis: Wir bewerten die Version des Artikels vom 1.4.2021

Title

Die Kriterien

1. Die positiven Effekte sind ausreichend und verständlich dargestellt.

Als positive Effekte werden Vorbeugung vor Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz und möglicherweise auch Krebs genannt. Wie groß diese Effekte konkret sein sollen, erfährt man nicht. Wie stark kann beispielsweise die Einnahme von Vitamin B12 die Wahrscheinlichkeit verringern, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden? Dabei wird auf eine Studie von 2013 verwiesen, die Effekte zeige. Die suggestive Überschrift verstärkt diesen Eindruck noch. Wie groß diese sein sollen wird nicht deutlich. Allerdings zeigen aktuellere Meta-Analysen keine Effekte weder auf Herzkrankheiten noch auf Schlaganfälle (siehe z.B. das Fact Sheet des US-National Institutes of Health).

2. Die negativen Effekte werden angemessen berücksichtigt.

Es wird auf mögliche negative Effekte einer Überversorgung durch Supplemente eingegangen. „Überdosierungen mit den handelsüblichen Vitamin B12-Nahrungsergänzungsmitteln sind bei vernünftiger Handhabung kaum möglich.“ Zu Nahrungsergänzungsmitteln als Tabletten oder in Kapselform heißt es: „‚Verträglichkeit und Bioverfügbarkeit sind gut. Vitamin B12 und dabei Cyanocobalamin als kristalline Substanz, wie es oft in Nahrungsergänzungsmitteln vorkommt, wird sogar von Patienten mit Gastritis besser verwertet als Vitamin B12 aus Lebensmitteln‘, berichtet die Expertin.“ Zwar werden die Symptome einer Unterversorgung beschrieben, was aber bei einer wenn auch seltenen Überversorgung passiert, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

3. Es werden ALTERNATIVE Lebensmittel/Ernährungsformen/Diäten oder andere Maßnahmen vorgestellt/verglichen.

Der Artikel macht deutlich, dass es sich um ein lebensnotwendiges Vitamin handelt, das der Körper nicht selbst bilden kann. Zugleich wird klar, dass es neben bestimmten Lebensmitteln (Fisch, Fleisch, Eier etc.) die Möglichkeit gibt, das Vitamin als Nahrungsergänzungsmittel zu sich zu nehmen oder sogar intravenös per Spritze

4. Die Belege/Studien werden ausreichend eingeordnet.

In dem Text werden zwei Studien genannt, als weitere Quelle diente offenbar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (FAQs). Die Informationen der DGE sind richtig eingeordnet, auch weil eine DGE-Expertin bestimmten Fakten erläutert. Allerdings sind die beiden zitierten Studien nicht hinreichend eingeordnet. Die Studie im Abschnitt „Wer für Vitamin B12-Mangel gefährdet ist“ bezieht sich auf Menschen ab 65 Jahren. Die verlinkte Studie besagt indes, dass Senioren teilweise (27 Prozent) unterversorgt sind. Von einem manifesten Mangel ist nicht die Rede. Ein wichtiger methodischer Schwachpunkt der Studie wird zudem nicht angesprochen: Wie zuverlässig kann ein „self-administered health questionnaire“ bei einer Erhebung unter Senioren sein?

Die zweite Studie untersuchte die Auswirkungen einer Vitamin-B-12- Supplementierung und das Risiko an Schlaganfällen zu leiden. Bei dieser Studie handelt es sich um eine Meta-Studie (also von hoher Aussagekraft, was indes nicht erläutert wird), allerdings stammt sie aus dem Jahr 2013. Ob und wie sich die Evidenz seitdem verändert hat, bleibt offen. Im Fact Sheet des US-amerikanischen NHS wird die Evidenz derzeit als nicht ausreichend beschrieben. Es werden zwar zu einzelnen Punkten Studien angeführt. Doch zentrale Aussagen werden nicht ausreichend belegt und erläutert: Warum wurde der Referenzwert für Vitamin B12 angehoben?

Da es zumindest an einzelnen Stellen Hinweise auf die Widersprüchlichkeit der Studienlage gibt, werten wir nur knapp „nicht erfüllt“.

5. Es gibt weitere, unabhängige Experten und die Quellen sind transparent.

Der Beitrag bezieht sich auf Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und eine Expertin der DGE, die befragt wird, außerdem werden zu mehreren Punkten Studien genannt und verlinkt. Angesichts der Länge des Artikels, hätten wir es für sinnvoll erachtet, weitere Experten miteinzubeziehen, um so nicht nur von einer Expertin abhängig zu sein.

6. Es wird auf mögliche INTERESSENKONFLIKTE eingegangen.

Wir haben keine relevanten Interessenkonflikte gefunden, auf die man hätte eingehen müssen.

Im Artikel gibt es zwei Affiliate-Links zu Amazon, die als „Anzeige“ gekennzeichnet und damit transparent gemacht sind.

7. Es gibt eine Einordnung in den Kontext (Neuheit/Verfügbarkeit/Kosten/Herkunft etc.).

Der Beitrag macht deutlich, dass Vitamin B12 sowohl in vielen Lebensmitteln verfügbar ist – deren Preis kann als bekannt vorausgesetzt werden – als auch als Nahrungsergänzungsmittel. Hier gibt es einen Link zu entsprechenden Präparaten, bei denen auch der Preis angegeben ist. Auch die Kosten von Vitamin B12-Injektionen sind genannt.

8. Die FAKTEN stimmen.

Konkrete Faktenfehler haben wir keine gefunden.

9. Der Beitrag ist überwiegend eine JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG.

Ein Großteil der Informationen stammt aus einer gut zwei Jahre alten Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Es wird zusätzlich eine Expertin der DGE befragt, auch die Nennung mehrerer Studien werten wir als journalistische Eigenleistung.

10. Der Beitrag vermittelt das Thema ATTRAKTIV.

Der Beitrag versucht zwar, mit Elementen wie einem „Tagesplan“ für ausreichende Vitamin-B12-Zufuhr an den Alltag von Leserinnen und Lesern anzuknüpfen. Doch kommen solche Vorschläge erst spät im Text, nach vielen eher schwerverdaulichen Absätzen (siehe Kriterium 11 „Verständlichkeit“). Bis dahin dürften schon viele Leserinnen und Leser abgesprungen sein. Auch enthält der Text zu viele sprachliche Mängel wie z.B. „in weniger Menge“ oder „noch unbekanntes Potential“. Immer wieder eingestreute Fachwörter unterbrechen den Lesefluss. Der Text ist zwar inhaltlich recht umfassend, aber wenig attraktiv.

11. Das Thema VERSTÄNDLICH erklärt.

Der Beitrag verwendet eine Vielzahl von Fachbegriffen und fachlichen Formulierungen, die er nicht oder nicht ausreichend erklärt („Referenzwert“, „Cobalamine, etwa Hydroxy- und Adenosylcobalamin in Fisch und Fleisch, (…) Methylcobalamin“, „Coenzym“, „Holo-TC (Holo-Transcobalamin) im Serum oder Plasma, zusätzlich ein aussagekräftiger Funktionsparameter wie Methylmalonsäure (MMA) oder Homocystein“, „Cyanocobalamin“). An einigen Stellen erklärt der Text zwar korrekt, dass Aussagen ungesichert sind (Der Referenzwert ist ein „Schätzwert“, bezüglich Demenzerkrankungen werde „diskutiert“ und „die Datenlage ist widersprüchlich“). Aber die Überschrift suggeriert, dass durch Vitamin B12-Einnahme Herzkrankheiten und Demenz verhindert werden, was so indes nicht stimmt, und die Expertin im Text auch erklärt. Für Leserinnen und Leser trägt dies jedoch zur Verwirrung bei. Insgesamt müsste noch deutlicher werden, welche Zusammenhänge gesichert sind, und welche nur vermutet werden. Was der Unterschied von Unterversorgung und Mangel ist, wird nicht erklärt.

12. Das Thema ist AKTUELL, RELEVANT ODER ORIGINELL.

Ein aktueller Anlass für den Text ist nicht erkennbar – die Erhöhung des Referenzwertes der DGE liegt laut Artikel schon „einige Zeit“ zurück, tatsächlich ist die Pressemitteilung schon gut zwei Jahre alt. Eine der beiden angesprochenen Studien stammt aus dem Jahr 2013, die zweite aus 2017. Relevanz erhält der Text zwar durch die wachsende Zahl an Vegetariern und Veganern, was indes als Anlass gar nicht so thematisiert wird. Wir werten daher alles in allem – wenn auch knapp –„nicht erfüllt“, weil gar nicht deutlich wird, warum der Artikel als aktueller Nachrichtenbeitrag gerade jetzt erscheint (z.B. bei Google News).

Journalistische Kriterien: 7 von 12 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar