Bewertet am 7. August 2021
Veröffentlicht von: inFranken.de

Ein „aktuelle“ Studie soll belegen, dass Obst und Gemüse das Risiko für einen verfrühten Tod senken können. Doch die Untersuchung ist schon sieben Jahre alt und wird völlig falsch dargestellt.

Zusammenfassung

Der Artikel auf inFranken.de greift einen Artikel auf der Gesundheitsseite HealthNewsnet.de auf, und berichtet über eine Studie, nach der Obst und Gemüse das Risiko für einen verfrühten Tod senken könne. Die positiven Effekte werden dabei nicht ausreichend korrekt dargestellt, negative Effekte praktisch gar nicht angesprochen. Welche anderen Lebensmittel oder Maßnahmen ähnliche Effekte auf die Gesundheit hätten, wird ebenfalls nicht erklärt. Die Studie wird falsch beschrieben und als aktuelle Untersuchung vorgestellt, obwohl sie aus dem Jahr 2014 stammt. Eine Einordnung durch unabhängige Experten findet nicht statt. Der Text ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung des HealthNewsnet-Artikels. Positiv ist, dass Verkaufslinks als solche erkennbar sind. Der Artikel suggeriert eine Genauigkeit der Effekte, die so nicht gegeben ist und verkennt völlig, dass bei der Untersuchung gar keine kausalen Effekte nachgewiesen werden können. Dass eine sieben Jahre alte Untersuchung als „aktuell“ dargestellt wird, betrachten wir als besonders ärgerlichen Umstand, der in Frage stellt, ob es dem Medium wirklich darum geht, Leserinnen und Leser gut zu informieren, oder vor allem Einnahmen durch Verkaufslinks zu erzielen.

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Die Kriterien

1. Die positiven Effekte sind ausreichend und verständlich dargestellt.

Der Artikel berichtet über positive Effekte von Obst und vor allem Gemüse auf das Risiko, verfrüht zu sterben: „Die Teilnehmer, die die fünf Portionen aßen, hatten ein um 13 Prozent geringeres Risiko für einen vorzeitigen Tod. An Herz-Kreislauf-Erkrankungen starben sie zu 12 Prozent seltener und die Wahrscheinlichkeit, an einer Atemwegserkrankung zu sterben, sank um 35 Prozent. Die Studie kam abschließend zu dem Ergebnis, dass die empfohlene Menge von Obst und Gemüse das generelle Sterberisiko für Menschen jeden Alters um bis zu 42 Prozent reduzieren kann.

(…) Besonders frisches Gemüse senkt das Sterberisiko um 16 Prozent im Durchschnitt.  Salat bringt 13 Prozent Risikoreduktion, während es Obst nur auf ein 4 Prozent niedrigeres Risiko pro Portion bringt.“ Insbesondere grünes Gemüse würde das Sterberisiko senken.

Obwohl der Artikel also zahlreiche konkrete Zahlen nennt, werten wir das Kriterium als „nicht erfüllt“. Zum einen handelt es sich nur um die Darstellung relativer Risikoreduktionen, die dazu führen, dass Effekte erheblich überschätzt werden. Es bleibt völlig unklar, auf was sich die Prozentangaben beziehen und was die Werte in absoluten Werten bedeuten (absolute Risikosenkung oder konkrete Lebenszeit in Jahren).

Das Grundproblem indes ist: Der Beitrag präsentiert das Ergebnis so, als sei der kausale Zusammenhang zwischen Obst und Gemüse und einer Senkung des Risikos vorzeitig zu versterben, völlig eindeutig. Dies kann aber mit einer solchen Art von Studie (einer Korrelationsstudie) gar nicht so eindeutig gezeigt werden, eine solche Studie kann höchstens Hinweise liefern (wie die Autoren auch selbst schreiben: „This study has found a strong association, but not necessarily a causal relationship.“). Dies wäre zwar möglich mit einem Studiendesign wie es im journalistischen Artikel beschrieben wird, indes ist diese Beschreibung völlig irreführend (siehe Kriterium Belege).

2. Die negativen Effekte werden angemessen berücksichtigt.

Negative Effekte werden eigentlich nur in einem Satz angesprochen, wenn es heißt: „Gezuckertes Obst wird hier nicht miteingeschlossen, da es einen negativen Effekt auf die Gesundheit haben kann.“ Welcher dies wäre, können Leserinnen und Leser nur vermuten. Zugleich heißt es bei Fruchtsäften, sie hätten keinen positiven Effekt, „da in ihnen nicht mehr genügend Nährstoffe enthalten sind.“ Negative Effekte durch Zucker in den Fruchtsäften, der im Bereich des Zuckergehalts von Cola und Limo liegen, werden hingegen nicht angesprochen.

Das Obst und Gemüse einigen Menschen auch Probleme bereiten, weil sie allergische Reaktionen auslösen oder Verdauungsbeschwerden erzeugen, thematisiert der Artikel auch nicht. Daher werten wir alles in allem knapp „nicht erfüllt“.

3. Es werden ALTERNATIVE Lebensmittel/Ernährungsformen/Diäten vorgestellt/verglichen.

Es werden lediglich unterschiedlich Mengen von Obst und Gemüse verglichen. Ob dies durch Erhöhung oder Verzicht anderer Lebensmittel (z.B. Fleisch) zu ähnlichen Risikoreduktionen oder zum Beispiel durch Sport oder Medikamente möglich ist, erfahren Leserinnen und Leser nicht.

4. Die Belege/Studien werden ausreichend eingeordnet.

Der Artikel beschreibt die Studie als eine aktuelle Untersuchung, die die Forscherin Dr. Oyinlola Oyebode „durchgeführt hat“: „Die britische Forscherin Oyinlola Oyebode und ihr Team vom Londoner University College führte eine Studie durch, an der fast zwei Millionen Menschen teilnahmen. (…) Die Teilnehmenden wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine der Gruppen nahm täglich nur zwei Portionen Obst und Gemüse zu sich, wogegen die zweite Gruppe die empfohlenen fünf Portionen verzehrte.“

Tatsächlich handelt es sich aber um eine nachträgliche Auswertung längst vorhandener Daten: Die Grundlage ist eine wiederkehrende Umfrage in der britischen Bevölkerung, genannt National Health Survey. Diese Erhebung wird seit 1991 jedes Jahr durchgeführt und erfasst Daten zu Gesundheit und Ernährung in der britischen Bevölkerung. Die Ergebnisse dieser jährlichen Untersuchung von 2001 bis 2013 hat die im Artikel genannte Forscherin Dr. Oyebode neu ausgewertet, und zwar bereits 2014. Es handelt sich also um eine Sichtung bereits vorhandener Daten, eine Sekundärstudie. Die Ergebnisse aus dieser Nachauswertung wurden 2014 veröffentlicht (https://jech.bmj.com/content/68/9/856.long). Der Artikel spricht mehrfach von einer „aktuellen Studie“ und suggeriert damit, dass es sich um Forschung neuesten Datums handelt. Die Einordnung fehlt völlig und ist zudem irreführend.

Wie die Studie im Vergleich zu anderen Studien mit ähnlichem Thema einzuordnen ist, wird nicht erklärt.

5. Es gibt weitere, unabhängige Experten und die Quellen sind transparent.

Leider gibt es keinerlei Einordnung durch weitere, unabhängige Experten, sodass wir das Kriterium als „nicht erfüllt“ werten. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass Bezug genommen wird auf einen Artikel der Gesundheitsseite Healthnewsnet.de, die im März über die Studie berichtete. Einen Link gibt es weder zur Studie, noch zum HealthNews-Artikel.

6. Es wird auf mögliche INTERESSENKONFLIKTE eingegangen.

In der Studie ist nachzulesen, dass keine Interessenkonflikte vorliegen, daher muss dies im Artikel auch nicht thematisiert werden. Im Artikel selbst gibt es zwei Links mit thematisch passenden Buchtipps auf Amazon, die aber als Affiliate-Links transparent gemacht sind. Daher werten wir das Kriterium als „erfüllt“.

7. Es gibt eine Einordnung in den Kontext (Neuheit/Verfügbarkeit/Kosten/Herkunft etc.)

Die Verfügbarkeit oder die Kosten der angesprochenen Lebensmittel muss nicht erläutert werden. Ein Aspekt wie die Herkunft der Lebensmittel (bio oder nicht) könnte Leserinnen und Leser zwar auch interessieren, war aber nicht Gegenstand der Untersuchung. Dass hingegen so getan wird, als ob das Ergebnis aus dem Jahr 2014 im 2021 eine echte Neuheit wäre, ist nichts anderes als ärgerlich.

8. Die FAKTEN stimmen.

Obwohl der Artikel behauptet, es handele sich um eine aktuelle Studie („Eine aktuell ausgewertete Studie“), stimmt dies nicht. Sie ist aus dem Jahr 2014 https://jech.bmj.com/content/68/9/856.long

Die Studie wurde nicht so durchgeführt wie im Artikel beschrieben (siehe Kriterium Belege).

Im Artikel wird behauptet: „Fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag erzielen beste Ergebnisse“. In der Pressemitteilung heißt es dazu hingegen: „Eating 7 or more portions of fruit and vegetables a day reduces your risk of death by 42 percent.“ 

Im Artikel wird behauptet: „Sterberisiko kann bis zu 42 Prozent verringert werden“. Auch wenn es manch einer wünschenswert fände, aber das Risiko zu sterben, kann nicht verringert werden, lediglich das Risiko, verfrüht zu sterben. An einigen Stellen wird dies auch so berichtet, leider nicht durchgängig.

9. Der Beitrag ist überwiegend eine JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG.

Der Artikel ist eine in wesentlichen Teilen wortgleiche, aber gekürzte Zusammenfassung eines längeren Artikels auf healthnewsnet.de. Durch die Kürzungen schleichen sich zudem Unrichtigkeiten ein (siehe Kriterium Fakten).

10. Der Beitrag vermittelt das Thema ATTRAKTIV.

Neben der vorgetäuschten Aktualität versucht der Artikel durch konkrete Hinweise welche Lebensmittel gesünder sind als andere, Leserinnen und Leser Tipps für den Alltag mitzugeben, die sich aber durch grotesk genaue Angaben zur möglichen Risikoreduktion auszeichnen: „Besonders frisches Gemüse senkt das Sterberisiko um 16 Prozent im Durchschnitt.  Salat bringt 13 Prozent Risikoreduktion, während es Obst nur auf ein 4 Prozent niedrigeres Risiko pro Portion bringt.“ Dabei wird so getan, als wären die Ergebnisse dieser einen Studie gleichbedeutend mit den realen Effekten, die man durch den Verzehr von Obst und Gemüse erreichen könne.

Zusammen mit einigen auch sprachlich schwachen Stellen („Woraus bestand denn nun eigentlich die Studie?“ „Die Teilnehmenden entsprachen dabei dem Bevölkerungsschnitt von Großbritannien.“ „Ob ein langes Leben durch eine bestimmte Lebens- oder Ernährungsweise herbeigeführt werden kann, (…).)  und Allgemeinplätzen, vermittelt der Artikel in übertriebener Art und Weise und nur scheinbar genau, was Verbraucherinnen und Verbraucher essen sollten, um das Risiko zu senken, frühzeitig zu versterben. Dazu trägt dann auch bei, dass es dann in einer eigentlich praktischen Auflistung wichtiger Punkte dieses Artikels zum Beispiel heißt: „Sterberisiko kann bis zu 42 Prozent verringert werden“, was zudem falsch und unfreiwillig komisch ist, da natürlich nicht das generelle Risiko zu sterben verringert wird.

11. Das Thema VERSTÄNDLICH erklärt.

Es wird verständlich, dass Obst und Gemüse möglicherweise zu einer gesunden Ernährung dazu gehört, und mehr Obst und Gemüse das Risiko frühzeitig zu versterben, senken könnte. Da aber offensichtlich die gesamte Studie nicht verstanden wurde, kann der Artikel auch nicht verständlich erklären, was die Forscher eigentlich gemacht haben.

12. Das Thema ist AKTUELL, RELEVANT ODER ORIGINELL.

Im Jahr 2021 einen Artikel über eine einzelne Studie aus dem Jahr 2014 zu veröffentlich, ist weder aktuell, noch relevant noch originell.

Journalistische Kriterien: 1 von 12 erfüllt

Wir werten das Gesamtergebnis um einen Stern ab, da eine Studie aus dem Jahr 2014 als aktuelle Studie dargestellt wird, und das Studiendesign völlig falsch dargestellt wird (von 1 Stern auf 0 Sterne).

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar