Bewertet am 26. Mai 2021
Veröffentlicht von: Merkur.de

Merkur.de berichtet über eine Studie, nach der Weißmehl-Produkte das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen „enorm“ erhöhen können. Der Artikel übertreibt das Risiko offenbar nur, um Leserinnen und Leser unbedingt in den Artikel zu ziehen.

Zusammenfassung

Das Vollkornprodukte gesünder sein sollen als Lebensmittel, die nur aus Weißmehl hergestellt werden, ist keine so neue Erkenntnis. Dennoch berichtet Merkur.de über eine Studie, nach der Menschen, die vergleichsweise viele Nahrungsmittel auf Weißmehlbasis essen auch ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Menschen, die wenige solcher Produkte essen. Dabei wird durchaus noch deutlich, dass Weißmehl auch positive Effekte hat. Die Nachteile werden zwar konkret beziffert, indes nur in relativen Zahlen und insgesamt stark übertrieben. Auf die Grenzen der Studie und die generelle Kritik geht der Artikel gar nicht ein. Es gibt keine unbeteiligten Expertinnen, die die Ergebnisse einordnen, stattdessen hinterlässt der Text den Eindruck als gebe er nur die Zusammenfassung eines anderen Mediums wieder. Alternativen nennt der Beitrag erfreulicherweise, macht dafür aber nicht deutlich, dass die Erkenntnis, dass Vollkornprodukte gesünder sein sollen als Weißmehlprodukte, gar kein neues Ergebnis ist. Stattdessen greift der Artikel zu fragwürdigen stilistisch Mitteln, die nur dazu dienen, Leserinnen und Leser in den Text zu ziehen und zu halten, anstatt sie angemessen zu informieren, zumal die Studie nicht mal zeitnah berichtet wird.

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Die Kriterien

1. Die positiven Effekte sind ausreichend und verständlich dargestellt.

Der Artikel berichtet über negative Effekte von Weißmehl, die in einer Studie gefunden wurden, daher erwarten wir keine quantifizierten positiven Effekte. Es wird nur ein einziger positive Effekt berichtet: „Der Körper kann diese gut und schnell verdauen, (…).“ Welche anderen positive Effekte Weizenmehl haben könnte, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Wir werten daher nur knapp „erfüllt“.

2. Die negativen Effekte werden angemessen berücksichtigt.

Ausführlicher geht der Artikel auf negative Effekte von Weißmehl ein „Dabei fiel den Forschern auf, dass vor allem der Konsum einer Gruppe von Lebensmitteln mit erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. So hatten diejenigen Menschen, die mehr als 350 Gramm Weißmehl-Produkte pro Tag (etwa sieben Portionen) aßen, ein um 27 Prozent höheres Risiko für einen vorzeitigen Tod durch Herzerkrankungen wie Herzinfarkt als die Studienteilnehmer, die weniger als 50 Gramm raffiniertes Getreide pro Tag verzehrten.“ Darüber hinaus wird erklärt: „(…) führte ein Mehr an Weißmehl-Produkten auch zu erhöhten Blutdruck-Werten. (…) Ein hoher Verzehr von raffiniertem Getreide war mit einem höheren Risiko für Mortalität und schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden.“

Nur in einem Fall wird also die Risikoerhöhung quantifiziert. In diesem einen Fall wird indes nur eine relative Risikoerhöhung berichtet: „ein um 27 Prozent höheres Risiko für einen vorzeitigen Tod.“ Was dies indes genau bedeutet, bleibt offen, weil keine absoluten Zahlen genannt werden. Da dies indes das Hauptthema des Artikels ist, wäre eine genauere Einordnung wichtig gewesen. Daher werten wir trotz der Quantifizierung knapp „nicht erfüllt“.

3. Es werden ALTERNATIVE Lebensmittel/Ernährungsformen/Diäten oder andere Maßnahmen vorgestellt/verglichen.

Die Studie beschäftigt sich auch mit weißem Reis und Getreideprodukten aus Vollkorn und hat dort keinen Zusammenhang zwischen höherem Konsum und Herz-Kreislauferkrankungen festgestellt. Das gibt der Artikel wieder und stellt damit auch alternative Ernährungsformen vor.

4. Die Belege/Studien werden ausreichend eingeordnet.

Im Beitrag wird aus einer Auswertung der PURE-Studie zitiert, ohne weitere Einordnung. Rund um diese Studie gibt es seit Jahren Kontroversen, u.a. geführt von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Ob die PURE-Studie tatsächlich Auswirkungen auf Ernährungsempfehlungen haben sollte, ist umstritten, da sie Daten aus sehr heterogenen Gruppen von Menschen mit unterschiedlichem Einkommen, Ernährungsstatus und unterschiedlichen Esskulturen und Gesundheitsversorgung umfasst. Das hätte der Beitrag in einer Einordnung erwähnen müssen. Auch die von den Studienautoren und in der Pressemitteilung erwähnten Limitationen der Studie – Rücksendung der Fragebögen, heterogene Gruppen, Beobachtungsstudie ohne Kausalaussage – wurden im Beitrag nicht wiedergegeben. Zugleich suggeriert die Wortwahl einen kausalen Zusammenhang, obwohl eine solche Studie (allein) diesen gar nicht herstellen kann (Titel des Artikels: „Wer dieses Lebensmittel täglich isst, erhöht sein Herzinfarkt-Risiko enorm“).

5. Es gibt weitere, unabhängige Experten und die Quellen sind transparent.

Andere Experten außer den Forschern der Studie werden nicht genannt. Der Beitrag erwähnt außerdem das Portal „heilpraxis.net“, das über die aktuelle PURE-Auswertung „berichtete“. Dabei scheint es so, als ob dieser Beitrag die einzige Quelle für diesen Artikel war, da er sehr ähnlich aufgebaut ist. Es wird nur vage auf den Norddeutschen Rundfunk verwiesen, wenn es um das Thema Blutzucker geht.

Am Ende des Artikels gibt es noch einen Link ohne weitere Erklärung, der zur Webseite des Statistischen Bundesamtes führt auf eine alphabetisch geordnete Tabelle mit einer Todesursachenstatistik, wahrscheinlich als Beleg für den allerersten Satz („Herzkrankheiten sind in Deutschland die häufigste Todesursache, noch vor Krebserkrankungen.“)

6. Es wird auf mögliche INTERESSENKONFLIKTE eingegangen.

Wir haben keine Hinweise für Interessenkonflikte gefunden, daher werten wir „erfüllt“.

7. Es gibt eine Einordnung in den Kontext (Neuheit/Verfügbarkeit/Kosten/Herkunft etc.).

Studien über die negativen Auswirkungen von einfachen Zuckern und Kohlehydraten sind in den vergangenen Jahren häufig erschienen, die Forschungslage hat sich längst in den Ernährungsempfehlungen beispielsweise der DGE niedergeschlagen, die gleichlautend zu den Empfehlungen der Studie sind (Vollkornprodukte bevorzugen). Der Artikel tut so, als sei die Erkenntnis, dass Produkte auf Vollkornmehl mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden sein könnten, eine Neuigkeit, was indes nicht der Fall ist.

8. Die FAKTEN stimmen.

Der Titel ist irreführend. „Wer dieses Lebensmittel täglich ist, erhöht sein Herzinfarkt-Risiko enorm“. Die Behauptung, vielmehr das Versprechen ist falsch, sowohl generell als auch bezogen auf die Studie, auf die sich der Artikel stützt. Denn erstens sind die risikoerhöhenden Effekte bei raffiniertem Weißmehl ausdrücklich auf mehr als sieben Portionen bezogen – sie sind also mengenabhängig. Das bedeutet: Nicht diejenigen, die täglich Weißmehl konsumieren erhöhen ihr Risiko – sondern – wenn überhaupt – diejenigen, die täglich mehr als sieben Portionen davon essen. Sie haben ein erhöhtes Risiko, dies ist aber nicht „enorm“ oder „immens“. Folglich ist klar: Täglicher Verzehr von Weißbrot, Toastbrot etc. erhöhen nicht per se das Risiko „enorm“. Es ist ohnehin die Frage, ob die Studie, überhaupt so viel aussagen kann. Ins Extreme übertrieben geht es im nächsten Absatz des Artikels weiter: „Wer nur eine Ernährungsgewohnheit umstellt, soll dem Herzinfarkt immens vorbeugen“ – auch das ist falsch. Erstens sagt das die Studie nicht aus. Zweitens trifft ein solcher Zusammenhang auf kein einziges einzelnes Lebensmittel oder eine einzige Ernährungs- oder Verzehrgewohnheit zu, allenfalls auf andere Lebensstilfaktoren, wie Rauchen, Alkoholkonsum und Bewegungsarmut. In der zitierten PURE-Auswertung ist diese Behauptung auch nicht nachweisbar. Die Forscher formulieren in der Zusammenfassung vorsichtig, dass ein verringerter Verzehr von raffiniertem Weißmehl in Betracht gezogen werden könnte, mehr nicht.

 

Sachlich falsch ist die verkürzte Angabe „Herzkrankheiten“ statt „Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, da unter „Herzkrankheiten“ ganz andere Syndrome erfasst werden, etwa angeborene Herzfehler, Herz-Rhythmusstörungen u.a.

9. Der Beitrag ist überwiegend eine JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG.

Der Beitrag geht über den Inhalt der Pressemitteilung nicht ausreichend hinaus – allerdings ist die Frage, ob die Pressemitteilung überhaupt als Quelle herangezogen wurde, denn genannt oder zitiert wird sie nicht. Zitiert wird nur ein Artikel aus dem Heilpraktiker-Portal heilpraxis.net. Eine wesentliche eigene Rechercheleistung ist dabei nicht zu erkennen.

10. Der Beitrag vermittelt das Thema ATTRAKTIV.

Der Text arbeitet mit starken Übertreibungen und („enorm“, „immens“), um Leserinnen und Leser das Thema „schmackhaft“ zu machen. Zudem sollen die Leserinnen und Leser in den Artikel hingezogen werden, in dem der Artikel zunächst vermeidet, Weißmehl als mögliche Ursache für die Risikoerhöhung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu nennen („Wer nur eine Ernährungsgewohnheit umstellt, soll dem Herzinfarkt immens vorbeugen. (…) Ein internationales Forscherteam hat jetzt ein Nahrungsmittel identifiziert, (…).“) Es dauert zweieinhalb Absätze nach dem Vorspann, bis „Weißmehl“ erstmal genannt wird. Dies mag verhindern, dass Leserinnen und Leser zu schnell aus dem Artikel wegklicken, erscheint indes unnötig hinhaltend, da es einem die eigentliche Information vorenthält. Zumal dies, wenn man es in mehreren Artikeln in dieser Form präsentiert bekommt, nur noch störend wirkt.

11. Das Thema VERSTÄNDLICH erklärt.

Der Text ist weitgehend verständlich geschrieben, gegen Ende wird deutlich, in welchen Produkten „Weißmehl“ zu finden ist. Etwas anschaulichere Erklärung hätte die Beschreibung aus der Studie erfordert, was man sich denn unter „sieben Portionen“ an „Weißmehl“-Produkten vorstellen muss (mehr als 350 Gramm).

Der Text verwendet häufig die direkt übersetzte Begrifflichkeit „raffiniertes Mehl“ (für „refined grains“), die im normalen Sprachgebrauch eher unüblich ist, indes nicht erklärt wird, zumal „raffiniert“ durchaus auch eine positive Konnotation haben kann.

12. Das Thema ist AKTUELL, RELEVANT ODER ORIGINELL.

Es handelt sich um einen Bericht über eine große Auswertung einer Studie, die Anfang Februar in einem renommierten Fachmagazin veröffentlicht wurde. Indes erscheint der Artikel erst drei Wochen nach dem Fachartikel, obwohl es sich um ein tagesaktuelles Medium handelt. Auch ist das Ergebnis keine neue Erkenntnis, sodass wir, wenn auch knapp „nicht erfüllt“ werten.

Journalistische Kriterien: 4 von 12 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar