Bewertet am 2. Oktober 2020
Veröffentlicht von: Hessische / Niedersächsische Allgemeine

Die HNA möchte ihre Leserinnen und Leser über eine „neue Studie“ zum möglichen Krebsrisiko durch Milch unterrichten. Indes ist die Studie gar nicht aktuell, sondern eineinhalb Jahre alt, eine weitere vorgestellte Untersuchung wurde vor über 15 Jahren veröffentlicht. Leserinnen und Leser erfahren in beiden Fällen nichts davon.

Zusammenfassung

Der Artikel auf der Webseite der „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“ („HNA“) berichtet, eine aktuelle Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) weise auf eine Erhöhung des Krebsrisikos durch Milch hin. Der Artikel verweist auf Aussagen eines Experten und auf eine weitere Studie, und eine Entwarnung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hinsichtlich des Konsums von Milch.

Positive Effekte von Milch beschreibt der Artikel gar nicht, negative Effekte werden nicht hinreichend deutlich gemacht. Auch Alternativen zur Milch stell der Text nicht vor. Die Aussagekraft der angesprochenen Studien wird nur teilweise eingeordnet, vor allem wird nicht deutlich wie alt vor allem die „Harvard-Studie“ ist. Es wird ein unbeteiligter Experte und mehrere Institutionen zitiert, indes ist nicht ganz nachvollziehbar, um welche Studie es sich bei der „Harvard-Studie“ handelt. Überhaupt nicht deutlich wird, dass es sich gar nicht um eine neue Studie handelt, wie im Titel behauptet, sondern dass diese eineinhalb Jahre alt ist. Auch die vorgestellte „Harvard-Studie“ ist nicht neueren Datums, sondern über fünfzehn Jahre alt. Aber auch das macht der Text nicht deutlich. Positiv ist, dass der Text die Untersuchung des DKFZ und die Stellungnahme des BfR direkt verlinkt.

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Die Kriterien

1. Die positiven Effekte sind ausreichend und verständlich dargestellt.

Auf positive Effekte geht der Beitrag nicht ein. Zwar stehen negative Gesundheitseffekte im Zentrum des Berichts, daher erwarten wir keine konkrete Beschreibung in Zahlen, dennoch wären Informationen zu positiven Gesundheitseffekten durchaus auch interessant, um zu verstehen, warum Milch so populär ist. Eine Abwägung für oder gegen Milch braucht beide Seiten, die liefert der Beitrag leider nicht.

2. Die negativen Effekte werden angemessen berücksichtigt.

Mögliche negative Effekte werden zwar vielfach beschrieben: „Ernährungswissenschaftler warnen nun vor einer erhöhten Krebs-Gefahr (…)”, „(…) unsere Verwendung der Milch allerdings gesundheitsschädigend (…)”, „Milch fördert möglicherweise die Entstehung von Krebs (…)“, „ (…) in Ländern mit hohem Milch- und Rindfleischkonsum hohe Darmkrebsraten herrschen“, “(…) chronische Entzündungen zu verursachen, die wiederum ein höheres Risiko für Krebs im Darm, Brust und Prostata zur Folge haben könnten.” Allerdings werden die beobachteten (epidemiologischen) Effekte in keiner Weise konkret in Zahlen beschrieben, obwohl diese Gesundheitseffekte im Zentrum dieses Artikels stehen. Damit bleibt zunächst völlig offen, auf welchen konkreten Daten diese Aussagen fußen und welches Ausmaß diese haben.

Problematisch finden wir zudem den unkommentiert eingebetteten Tweet der Tierschutzorganisation peta, der ohne jegliche Verweise auf Belege behauptet: „Milch macht krank und erhöht das Risiko für Krebs, Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen.“

Im hinteren Teil der Artikel wird dann deutlich, dass man Milch – zumindest laut BfR – weiterhin bedenkenlos konsumieren könne abgesehen vom ersten Lebensjahr eines Kindes. Das konterkariert indes fast alles, was zuvor im Artikel beschrieben wurde und wird für manche Leserinnen und Leser überraschend sein.

3. Es werden alternative Lebensmittel/Ernährungsformen/Diäten vorgestellt/verglichen.

„Vegane Alternativen“ werden im Artikel leider nur sehr kurz erwähnt. Mögliche Alternativen zur Kuhmilch werden nicht konkret benannt, dazu müsste man das zusätzlich eingebettete Sat-1-Video sehen. Daher werten wir, wenn auch knapp, „nicht erfüllt“.

4. Die Belege/Studien werden ausreichend eingeordnet.

Der Artikel schafft es nur im Zusammenhang mit den Erregern als Krebsauslöser deutlich zu machen, „dass diese Erkenntnisse auf einer dünnen Datengrundlage basieren, und es bisher an ‚validen, evidenzbasierten Untersuchungen‘ fehle.“ Indes stellt sich dazu schon die Frage – da die Ergebnisse auch schon wieder eineinhalb Jahre alt sind – ob es inzwischen keine neueren Daten gibt, die die These stützen.

Völlig offen bleibt, wie gut andere im Artikel angesprochenen Belege sind, wie etwa zu den Wachstumshormonen. Dazu wird überhaupt nicht deutlich, wie gut Zusammenhänge belegt sind, der Text verlässt sich nur auf die Aussagen des „Milch-Kritikers“. Bei der vorgestellten Harvard-Studie wird nicht mal genau erklärt, was die Forscher gefunden haben und wie aussagekräftig zugleich eine solche Korrelationsstudie nur sein kann. Dass es sich um wirklich alte Ergebnisse handelt, erfahren Leserinnen und Leser gar nicht, sodass auch nicht erklärt werden muss, ob es seitdem bestätigende oder widersprechende Ergebnisse gab.

Dass all diese Einschränkungen nicht erklärt werden (sondern nur sprachlich durch den Konjunktiv abgemildert werden), der Artikel sich zugleich aber auch nur in Andeutungen verliert („Mit Blick auf Krebserkrankungen etwa ist Wachstum eine negative Stimulation“ bzw. „Bezüglich der Östrogenbelastung für Menschen besorgt Kuhmilch uns am meisten, da sie eine große Menge an weiblichen Geschlechtshormonen enthält“.), macht es für Leserinnen und Leser außerordentlich schwer, einzuschätzen, was davon zu halten ist, da sich die Erklärung des BfR nur auf die Erreger bezieht.

5. Es gibt weitere, unabhängige Experten und die Quellen sind transparent.

Es wird eine Vielfalt von durchaus vertrauenswürdigen Quellen zitiert wie etwa dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) oder dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Die Erwähnung der BfR-Stellungnahme zu den neuen „Erregern“ ist wichtig, zumal der Hinweis mit aufgenommen wurde, dass weitere Studien dazu nötig sind. Professor Melnik als „Zeuge“ für die gesundheitsschädigende Wirkung von Milch ist grundsätzlich gut, wenngleich es besser gewesen wäre, wenn er seine Beobachtungen mit Daten untermauert hätte bzw. etwas dazu hätte sagen könnte, was zum Beispiel die Ganmaa-Studien nach wie vor aktuell macht oder durch welche anderen Studien sie bestätigt wurden. Um welche Untersuchung es sich bei der „Harvard-Studie“ genau handelt, wird nicht deutlich.

6. Es wird auf mögliche Interessenkonflikte eingegangen.

Es konnten keine relevanten Interessenkonflikte bei Melnik ausgemacht werden, daher werten wir „erfüllt“.

7. Es gibt eine Einordnung in den Kontext (Neuheit/Verfügbarkeit/Kosten/Herkunft o.a.)

Die Verfügbarkeit von Milch wird kurz thematisiert und ist auch eigentlich nicht erklärungsbedürftig. Auch die Kosten spielen bei Milch keine bedeutende Rolle, höchsten im Vergleich zu Alternativen. Ähnlich verhält es sich mit der Herkunft. Der Artikel vermittelt hingegen den Eindruck, als handelte es sich um eine neue Erkenntnis, dass Milch, das Krebsrisiko erhöhen könne. Dieser hätte vermieden werden könne, wenn deutlich gemacht worden wäre, dass etwa die „Harvard-Studie“ aus den Jahren 2002 und 2005 stammen. Das zeigt schon, wie lange dem Thema nachgegangen wird. Dass die Ergebnisse des BfR und des DKFZ aus dem vergangenen Jahr sind, wird nicht explizit erklärt, ist aber zumindest für die DKFZ und BfR-Stellungnahmen im eingebetteten Tweet erkennbar. Alles in allem werten wir daher nur knapp „erfüllt“.

8. Die Fakten stimmen.

Im Artikel heißt es: „ (…) so Dr. Ganmaa Davaasambuu, Leiterin der Studie.“ Die Forscherin heißt eigentlich Davaasambuu Ganmaa.

Im Titel heißt es: „Neue Studie – Milch hat Einfluss auf das Krebs-Risiko (…).“ Keine der vorgestellten Untersuchungen ist neu. Die Harvard-Studie ist mindestens 15 Jahre alt, die DKFZ-Studie eineinhalb Jahre. Der Titel ist somit irreführend.

Im Titel heißt es (Version vom 2.9.): „Das Bundesinstitut für Risiko äußert sich.“ Das BfR heißt tatsächlich „Bundesinstitut für Risikobewertung“.

HINWEIS: Der Titel wurde inzwischen geändert in: „Neue Studie: Milch hat Einfluss auf das Krebs-Risiko – Experten warnen“.

9. Der Beitrag ist überwiegend eine journalistische Eigenleistung.

Der Artikel ist reich an verschiedenen Quellen, sodass wir davon ausgehen, dass der Artikel nicht allein auf einer Pressemitteilung oder Pressematerial beruht.

10. Der Beitrag vermittelt das Thema attraktiv.

Positiv finden wir, dass es direkte Links zur Studie des DFKZ, der Stellungnahme des BfR gibt und zu den Empfehlungen des Netzwerks „Gesund ins Leben“, nicht jedoch zur „Harvard-Studie“.

Weniger gelungen finden wir, dass zunächst ein Bedrohungsszenario aufgebaut wird, das sich bis zum Ende hin weitgehend auflöst. Es ist eine alte journalistische Praxis, solch ein Mittel zu wählen, um Leserinnen und Leser in den Artikel zu ziehen, aber gerade bei Gesundheitsthemen ist bei dieser Technik Zurückhaltung ratsam. Im Pressekodex heißt es etwa dazu unter Ziffer 14: „Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte.“

Hinzu kommt, dass der Text zwar insgesamt mit lockerer Sprache Aspekte erklärt, dann aber zu ungelenken Formulierungen greift wie: „Wie jeder wissen dürfte (…).“ Oder „Dazu sei gesagt (…).“ Statt Milch „zu verwenden“, wären Milch „zu trinken“ oder „zu verarbeiten“ die eleganteren Varianten. Die Zwischentitel sind mehrfach nicht passend zu den Inhalten platziert. Und schließlich ist für Leserinnen und Leser nicht ganz eindeutig erkennbar, ob sich die Entwarnung des BfR nicht nur auf die Erreger bezieht (auf die das DKFZ anspielt), sondern ganz allgemein als Entwarnung zu verstehen ist. Hier wäre etwas mehr Klarheit ebenfalls hilfreich gewesen. Der eingebettete Tweet der Tierschutzorganisation ist ohne jede Erläuterung platziert, vor allem wird er nicht kritisch beleuchtet.

11. Das Thema ist verständlich erklärt.

Die Thematik ist durchaus verständlich erklärt. Es ist nachvollziehbar, warum der Verdacht aufkommt, dass Milch das Krebsrisiko erhöhen könnte (Wachstumsfaktoren, Erreger) und dass es epidemiologische Muster gibt, die diesen Verdacht nahelegen. Etwas deutlicher hätte man beim Übergang von Wachstumsfaktoren zu Erregern klar machen müssen, dass dies unterschiedliche Aspekte sind.

12. Das Thema ist aktuell, relevant oder originell.

Sowohl die Harvard- als auch die DKFZ-Studie liegen schon länger zurück (die Harvard-Untersuchung ist von 2002 bzw. 2005, die DKFZ-Studie von April 2019), ebenso wie die BfR-Stellungnahme (April 2019), dies wird indes an keiner Stelle kenntlich gemacht. Der Artikel ist damit leider weder aktuell, noch das Thema ungewöhnlich. Wir erfahren auch nicht, ob nach der Harvard-Studie größere Folgestudien durchgeführt wurden, wie die Autoren es selbst vorschlagen. Das Thema Milch und Gesundheit ist zwar in gewisser Weise immer interessant, aber ohne eine neue Entwicklung ist der Artikel nicht ausreichend relevant. Wichtiger noch: Hier werden alte Informationen als Neuheit verkauft. Möglicherweise handelt es sich um einen älteren Artikel, der aus SEO-Gründen mit einem aktuellen Datum versehen wurde, ohne kenntlich zu machen, dass es sich um einen alten Artikel handelt.

Journalistische Kriterien: 5 von 12 erfüllt

Da Leserinnen und Leser vorgetäuscht wird, es handele sich um eine aktuelle Studie, werten wir das Gesamtergebnis um einen Stern ab.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar