Bewertet am 21. Juli 2020
Veröffentlicht von: GQ-Magazin.de

Ein Start-up-Unternehmen veröffentlicht eine Pressemitteilung zu einer Auswertung, die zeigt, wie sich verschiedene Getränke auf den Blutzucker der Teilnehmerinnen und Teilnehmer seines Abnehmprogramms auswirken. Die Onlineseite von GQ fasst die Pressemitteilung zusammen, statt sie kritisch einzuordnen.

Zusammenfassung

Ein Start-up-Unternehmen, das ein individualisiertes Abnehmprogramm anbietet, hat bei seinen Nutzerinnen und Nutzern ausgewertet, wie sich verschiedene Getränke auf den Blutzuckerspiegel auswirken. Die Ergebnisse präsentieren sie in einer Pressemitteilung. Die Onlineseite des GQ Magazins beschränkt sich weitgehend darauf, die Pressemitteilung zusammenzufassen, um Leserinnen und Lesern zwar verständlich, aber auch völlig unkritisch zu erklären, dass sich letztlich Wasser als der beste Durstlöscher erwiesen hat, während Apfelschorle entgegen vieler Empfehlungen, gar nicht so gut geeignet sein soll, weil es den Blutzuckerspiegel vergleichsweise hoch ansteigen lässt. Der Artikel fasst die Ergebnisse noch hinreichend gut zusammen, erklärt aber in keiner Weise, wie aussagekräftig die Untersuchung ist, oder ob sie anderen Studien widerspricht oder sie bestätigt. Es kommt lediglich ein Ernährungsmediziner der Firma zu Wort, deren Geschäftsmodell im Artikel nicht erklärt wird. Dass das Abnehmprogramm u.a. auf der Analyse der Bakterienbesiedlung des Darms und der Blutzuckermessung beruhen, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Dass Apfelschorle laut dieser Untersuchung eher weniger als Durstlöscher geeignet sei, wird nicht eingeordnet. Damit stellt sich letztlich auch die Frage, warum man über diese Untersuchung berichten sollte, die vor allem dazu dienen soll, Medien und deren Leserinnen und Leser auf das Abnehmprogramm aufmerksam zu machen.

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Die Kriterien

1. Die positiven Effekte sind ausreichend und verständlich dargestellt.

Als positive Effekte werden Getränken vorgestellt, die den Blutzuckerspiegel vergleichsweise wenig ansteigen lassen. Dies wird auch jeweils konkret in Zahlen beschrieben, wenn es etwa heißt: „Es wurden (…) Kaffee-Getränke ausgewertet, (…). Alle führten im Schnitt nur zu einem moderaten Anstieg des Blutzuckers, der im Mittel zwischen 13,4 (Kaffee schwarz) und 17,8 mg/dl (Cappuccino) lag. Günstiger im Hinblick auf die Reaktion des Blutzuckers schneiden Cola Zero (11,7 mg/dl) und verschiedene Teesorten (9,9 mg/dl) sowie überraschender Weise auch Rotwein und Weißwein (12,4 und 12,8 mg/dl) ab.“ Die Angaben sind als Durchschnittswerte, Wasser wird als bester Durstlöscher beschrieben: „Wasser hat keinerlei Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel. ‚Medizinisch betrachtet ist und bleibt Wasser der beste Durstlöscher‘, sagt Schröder. Aus Sicht des Stoffwechsels erfüllt es nach der Analyse als einziges Getränk die Voraussetzung, dass es bei keinem Menschen eine Blutzuckerreaktion auslöst.“ Problematisch ist, dass sich die Werte nicht auf gleiche Verzehrmengen beziehen, sondern eher ­– aber auch nicht immer – Portionsgrößen zu entsprechen scheinen. Damit ist die Vergleichbarkeit nur bedingt gegeben. Darauf hätte man im Beitrag hinweisen müssen. Letztlich wird auch nur sehr allgemein beschrieben, warum geringe Blutzuckererhöhungen besser sind als starke Erhöhungen (siehe Kriterium negative Effekte). Alles in allem werten wir nur knapp „erfüllt“.

2. Die negativen Effekte werden angemessen berücksichtigt.

Als negative Effekte werden Getränken vorgestellt, die den Blutzuckerspiegel vergleichsweise stark ansteigen lassen. Die Mengen werden auch quantifiziert, einerseits als Durchschnittswert, zum anderen gibt es vereinzelte Extremwerte. „Unter den Teilnehmern bei „MillionFriends“ zeigte Apfelschorle im Schnitt einen ähnlichen hohen Anstieg des Blutzuckerspiegels wie die Cola, die ja gemeinhin als Zuckerbombe gilt (Apfelschorle 31,1 mg/dl, Cola 32,3 mg/dl). Die mittleren Werte von Apfelschorle lagen bei der Untersuchung sogar über denen von purem Apfelsaft (25 mg/dl).“

Problematisch ist, dass sich die Werte nicht auf gleiche Verzehrmengen beziehen, sondern eher – aber auch nicht immer – Portionsgrößen entsprechen. Damit ist die Vergleichbarkeit eingeschränkt. Die konsumierten Durchschnittsmengen waren bei Apfelsaftschorle (325 ml) zum Beispiel deutlich höher als bei Apfelsaft (198 ml), wie der Tabelle der Pressemitteilung zu entnehmen ist. Darauf hätte man im Beitrag eingehen müssen. Eher allgemein wird beschrieben, warum geringe Blutzuckererhöhungen besser sind als erhöhte. „Schwankt der Blutzuckerspiegel stark, bedeutet das Stress für den Körper. Die Folge eines steigenden Blutzuckerspiegels: Man fühlt sich müde und abgeschlagen, neigt zu Heißhungerattacken und bekommt womöglich sogar Migräne. Schwankt der Blutzuckerspiegel durch eine falsche Ernährung über einen längeren Zeitraum hinweg stark, kann das sogar das Risiko für Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht, Herzinfarkt und auch für einige Krebsarten erhöhen.“ Alles in allem werten wir knapp „erfüllt“.

3. Es werden alternative Lebensmittel/Ernährungsformen/Diäten vorgestellt/verglichen.

Es handelt sich um einen Vergleich unter zahlreichen Getränken, daher ist das Kriterium formal erfüllt. Interessant wäre für Leserinnen und Leser auch ein Vergleich mit anderen Nahrungsmitteln gewesen.

4. Die Belege/Studien werden ausreichend eingeordnet.

Der Artikel berichtet die Ergebnisse einer „Untersuchung“, die das Start-Up Perfood im Rahmen seines Abnehmprogramms „MillionFriends“ durchgeführt hat. Dabei wird weder genau erklärt, was die Firmenforscher gemacht haben (Welche Probanden, über welchen Zeitraum, wie oft gemessen?) noch wie aussagekräftig dies alles ist (Sind die Ergebnisse repräsentativ oder nicht?). Da es auch keine Einordnung in die Studienlandschaft gibt, bleibt völlig offen, ob es vergleichbare Daten gibt, die die Ergebnisse bestätigen oder ihnen widersprechen. Leserinnen und Leser erfahren auch nicht, ob die Ergebnisse in einem Fachmagazin veröffentlicht werden oder wurden.

5. Es gibt weitere, unabhängige Experten und die Quellen sind transparent.

Außer dem Mitarbeiter (Ernährungsmediziner) der Firma, die die Untersuchung durchgeführt hat, gibt es keine weiteren und somit auch keine unabhängigen Experten. Die einzige externe Quelle ist das Statistische Bundesamt, nach dem jeder Deutsche/jede Deutsche 164 Liter Wasser pro Jahr trinkt.

6. Es wird auf mögliche Interessenkonflikte eingegangen.

Es ist klar, dass dies eine Untersuchung einer Firma ist, und dass der einzige Experte ein Mitarbeiter dieser Firma bzw. des Programms ist. Offen bleibt indes, was das Geschäftsmodell der Firma Perfood und seinem Abnehmprogramm „MillionFriends“ ist, da es im Artikel nicht erklärt wird. Es handelt sich um ein Abnehmprogramm (349,00€) auf der Grundlage personalisierter Ernährungsempfehlungen, die das individuelle Mikrobiom (Bakterienbesiedlung) im Darm einer Person berücksichtigen soll, zudem wird mittels eines Sensors regelmäßig der Blutzucker gemessen: „Beobachte live deine Blutzuckerreaktion“. Da überrascht es nicht, dass „PerFood“ eine solche Auswertung zu Blutzuckerwerten in einer Pressemitteilung vorstellt.

Auch der Verweis auf Migräne als Folge eines steigenden Blutzuckerspiegels erscheint in einem anderen Licht, wenn man weiß, dass das Programm auch spezifisch Migränepatienten anspricht, für die ab Herbst 2020 eine Digitale Gesundheitsanwendung angeboten wird: https://millionfriends.de/sincephalea/

Das erfahren Leserinnen und Leser indes an keiner Stelle im Beitrag. Stattdessen wird am Ende des Artikels darauf verwiesen, dass der Körper letztlich sehr individuell auf Getränke reagiert, wozu es allerdings eine Lösung gäbe: „Wer ganz sicher sein möchte, kann auch seine persönliche Reaktion auf einzelne Getränke testen lassen.“ Einen Link zur Webseite gibt es indes nicht. Daher werten wir alles in allem nur knapp „nicht erfüllt“.

7. Es gibt eine Einordnung in den Kontext (Neuheit/Verfügbarkeit/Kosten/Herkunft o.a.)

Kosten oder die Verfügbarkeit der Getränke müssen nicht erklärt werden, da diese den meisten Menschen bekannt sein dürften. Ob indes die Ergebnisse wirklich neu sind, oder was genau das Neue an diesen Ergebnissen ist, wird leider nicht vollends deutlich, denn, dass Wasser der beste Durstlöscher ist, ist sicherlich keine Neuheit, ebenso wenig, dass ungesüßte Tees geeignet sind, während stark zuckerhaltige Getränke eben weniger geeignet sind. Dass zugleich nach dieser Auswertung Apfelschorle nicht geeignet sein soll, weil es fast die höchste durchschnittliche Reaktion auf den Blutzuckerspiegel auslöste, ist überraschend, wird dann aber überhaupt nicht eingeordnet, obwohl Saftschorlen seit Jahren als gute Alternative zum Durstlöschen empfohlen werden. Hier wäre eine Einordnung in den Kontext sehr wichtig gewesen.

8. Die Fakten stimmen.

Im Artikel heißt es: „Es wurden bei der Untersuchung mehr als 3.000 Kaffee-Getränke ausgewertet.“ Tatsächlich wurden die Werte von 3347 Getränken insgesamt ausgewertet.
Im Artikel heißt es: „Damit haben sich die Ernährungsmediziner des Start-ups „MillionFriends“ beschäftigt. Tatsächlich heißt das Start-up PerFood GmbH, eine Firma, die das Abnehmprogramm „MillionFriends“ vertreibt. Da wir keine weiteren Faktenfehler im Rahmen unserer Möglichkeiten gefunden haben, werten wir – wenn auch knapp – „erfüllt“.

9. Der Beitrag ist überwiegend eine journalistische Eigenleistung.

Der Artikel geht nicht maßgeblich über die Pressemitteilung der PerFood GmbH zur Auswertung der MillionFriends-Daten hinaus. Es gibt keine kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Untersuchung. Das Magazin reicht die Botschaft der Firma an die Leserinnen und Leser unkritisch weiter.

10. Der Beitrag vermittelt das Thema attraktiv.

Der Artikel ist gut strukturiert, der Lesefluss wird kaum gestört, die locker formulierten Sätze sind angenehm kurz, mit maximal einem Nebensatz. Zudem gibt es kaum Passivkonstruktionen. Eine besondere Dramaturgie ist indes nicht gegeben, auch wenn der Teaser durchaus neugierig gemacht auf einige „Überraschungen“. Dass sich dann Wasser am Ende des Artikels schließlich als bester Durstlöscher entpuppt, ist indes wenig überraschend. Einige Formulierungen sind stark an die Pressemitteilung angelehnt, sodass wir alles in allem nur knapp „erfüllt“ werten.

11. Das Thema ist verständlich erklärt.

Im Großen und Ganzen ist der Artikel für Leserinnen und Leser verständlich, trotz der vielen Zahlen, es gibt keine Fachbegriffe oder komplizierten Sätze. Etwas verwirrend ist der Beginn, v.a. der Titel, der Leserinnen und Leser auf einen Artikel über „Durstlöscher“ einstimmt, dann indes auf das Thema „Einfluss auf den Blutzuckerspiegel“ umschwenkt, ohne zu erklären, welcher Zusammenhang zwischen „Durst löschen“ und Blutzuckerspiegel besteht. Die Erklärung, wie der Zuckergehalt, die Kohlenhydrate, die Darmbakterien und der Blutzuckerspiegel zusammenhängen erscheint ein wenig oberflächlich, es wird indes auch klar gemacht, dass in diesem Bereich viele Zusammenhänge noch nicht verstanden sind. Es wird eigentlich nicht klar, was die hohen Blutzuckerwerte mit generell hohem Blutzucker zu tun haben, weil es der Artikel nicht erklärt. Leserinnen und Leser können es nur vermuten.

Der letzte Satz „Wer ganz sicher sein möchte, kann auch seine persönliche Reaktion auf einzelne Getränke testen lassen.“ wird sich vielen Leserinnen und Leser nicht erschließen, vor allem nicht, weil nicht erklärt wird, was „MillionFriends“ eigentlich genau macht. Alles in allem werten wir knapp „erfüllt“.

12. Das Thema ist aktuell, relevant oder originell.

Es handelt sich lediglich um eine Auswertung von Kundenergebnissen eines Abnehmprogramms, bei dem völlig unklar ist, wie repräsentativ diese Werte für die Allgemeinheit sind und auch nicht deutlich wird, wie valide die Daten sind, die zudem nur in der Pressemitteilung veröffentlicht sind (wie uns auf Nachfrage mitgeteilt wurde), aber bisher nicht in einem wissenschaftlichen und begutachteten Fachartikel. Dass Getränke einen unterschiedlichen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel haben, ist zudem keine neue Erkenntnis, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Wasser der beste Durstlöscher ist.

Journalistische Kriterien: 6 von 12 erfüllt

Wir werten aufgrund mehrerer nur knapp erfüllter Kriterien und der unkritischen Übernahme der Inhalte des Pressematerials der Firma um einen Stern ab.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar