Den Klimawandel zu bekämpfen bringe global erheblichen Nutzen für die Gesundheit – über diese Schlussfolgerung einer internationalen Expertenkommission berichtet ein Beitrag in der taz. Dabei wird jedoch zu wenig deutlich, worauf diese Einschätzung beruht.
Zusammenfassung
Der taz-Artikel berichtet über einen aktuellen Report der Lancet-Kommission für Gesundheit und Klimawandel. Er behandelt die Risiken des Klimawandels für die menschliche Gesundheit sowie die Chancen, die in einer Bekämpfung des Klimawandels liegen. Der Artikel spricht einerseits von der „größten Chance für die globale Gesundheitsversorgung im 21. Jahrhundert“, andererseits von einer Bedrohung der Gesundheit durch „Allergien, Seuchen, Armut, Hunger …“. Leider fehlt es an Hintergrundinformationen, um Chancen und Risiken gewichten und bewerten zu können. Die Datengrundlage für den Bericht der Lancet-Kommission bleibt unklar. Auch die zweite Quelle, die im letzten Absatz des Artikels genannt wird, ist nicht geeignet, die Aussagen des Lancet-Reports einzuordnen, da sie sich mit einem anderen Thema beschäftigt, nämlich mit den CO2-Emissionen der europäischen Krankenhäuser. Der Artikel greift ein interessantes und wichtiges Thema auf, doch auch in einem solchen eher kurzen Beitrag hätten wir uns zu einigen Punkten genauere Informationen gewünscht. Insgesamt erweckt der Beitrag den Eindruck, als sei er unter großem Zeitdruck entstanden.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
Der Beitrag nennt sowohl Gefahren des Klimawandels für die Gesundheit („der Klimawandel gefährde die Gesundheit von Millionen“) als auch die Chancen für Verbesserungen, die mit dem Klimaschutz einhergehen („der Kampf gegen den Klimawandel könne ‚die größte Chance für die globale Gesundheitsversorgung im 21. Jahrhundert‘ sein“). Beispielsweise würde die Abkehr von der Kohle auch Atemwegserkrankungen massiv reduzieren. Der Beitrag wählt für beides nachdrückliche Worte, wobei der Lancet-Bericht die Risiken eher stärker hervorhebt als der journalistische Artikel („The implications of climate change (…) threatens to undermine the last half century of gains in development and global health.“). Doch vorrangig widmet sich der Lancet-Bericht den gesundheitlichen Chancen, die mit vielen Maßnahmen gegen den Klimawandel verbunden sind – dies ist im Beitrag angemessen gewichtet.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Die genannten Zahlen illustrieren die erwähnten Beispiele korrekt. Allerdings lässt der Artikel dabei offen, wie die „Lancet Kommission für Gesundheit und Klimawandel“ zu ihren Einschätzungen kommt. Mal wird von einer Studie geredet, mal von einem Report; Leserinnen und Leser erfahren nicht, ob die Wissenschaftler selbst Untersuchungen angestellt haben, ob sie neue Daten ermittelt oder – wie tatsächlich der Fall – bereits vorhandenes Wissen ausgewertet haben. Es wird weder etwas darüber gesagt, von welchem Klimaszenario die Kommission ausgeht, noch erfahren Leserinnen und Leser etwas über die Sicherheit der angestellten Prognosen.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
Hauptquelle ist der Bericht der „Lancet-Kommission für Gesundheit und Klimawandel“. Der erste Satz des Artikels erweckt den Anschein, dass es sich um eine Mediziner-Organisation handelt („… melden sich nun auch die Mediziner (…) zu Wort“); auch die Überschrift trägt zu diesem Eindruck bei. Später konkretisiert der Text, dass in der Lancet-Expertengruppe Mediziner, Klimaforscher, Biologen und Ökonomen vertreten sind. Wie die Gruppe allerdings zusammengesetzt wurde, und wer die Arbeiten finanziert hat, erfährt man nicht. Im letzten Absatz nennt der Artikel noch eine zweite Studie, die von der britischen Organisation HCWH stammt. Dieses Kürzel dürfte den wenigsten Laien bekannt sein. Es handelt sich dabei um die non-profit-Organisation „Health Care without Harm“, der Krankenhäuser und andere Organisationen des Gesundheitswesens angehören. Der Artikel berichtet, dass nach deren Angaben die Krankenhäuser der EU für fünf Prozent der europäischen CO2-Emissionen verantwortlich sind. Der Absatz wird mit einem „allerdings“ eingeleitet, was einen Bezug zum Report der Lancet-Kommission suggeriert, der jedoch kaum vorhanden ist. Diese zweite Studie ist nicht geeignet, die Ergebnisse des Lancet-Berichts einzuordnen.
4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
Der Beitrag nennt einerseits Risiken des Klimawandels, andererseits zu erwartende Vorteile für die Gesundheit durch Klimaschutzmaßnahmen. Der Schwerpunkt liegt auf letzteren, wie auch im Beitrag der Lancet-Kommission. Dass die Experten in ihrem Bericht aber auch massiv baldige Maßnahmen anmahnen, hätte stärker herausgestellt werden können. Risiken werden nur stichwortartig aufgezählt: „Wenn es heißer wird, leidet die Gesundheit“, heißt es im Text. Weshalb das so ist, wird nicht gesagt. Im selben Absatz heißt es außerdem, „der Klimawandel bringe auch Allergien, Seuchen, Armut, Hunger, Flucht vor Katastrophen und psychischen Stress mit sich“. Bei einigen Punkten sind die Zusammenhänge naheliegend, bei anderen vermissen wir eine Erklärung, etwa zu der Frage, wie der Klimawandel Allergien fördert. Auch in einem so kurzen Beitrag wäre hier eine Erläuterung nötig (oder aber der Verzicht auf Punkte, die in diesem Rahmen nicht angemessen erklärt werden können). Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.
Der Beitrag referiert vor allem die Aussagen des Lancet-Berichts. Eine Übernahme von Pressematerial ist dabei für uns nicht erkennbar. Auch mit dem Zitat der HCWH-Studie (siehe dazu Kriterium 3) geht der Beitrag über vorliegende Presseerklärungen verschiedener Organisationen zum Lancet-Report hinaus.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
Der Bericht der Lancet-Kommission wird zeitlich korrekt eingeordnet ( „…melden sich nun auch die Mediziner (…) zu Wort“, „ein halbes Jahr vor der entscheidenden Klimakonferenz“). Dass der Klimawandel als zugrunde liegendes Problem seit langem andauert, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Interessant wäre zusätzlich gewesen, dass bereits 2009 eine andere Lancet-Kommission zu dem Schluss kam, der Klimawandel sei “the biggest global health threat of the 21st century” (siehe Zitat auf S. 2 des aktuellen Reports). Diese Einschätzung wurde jetzt, sechs Jahre später, durch die neue Expertenkommission bestätigt und um die Einschätzung ergänzt, dass die Bekämpfung des Klimawandels zugleich die größte Chance für die globale Gesundheitsversorgung sei.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
In Übereinstimmung mit dem Bericht der Lancet-Kommission nennt der Artikel Handlungsoptionen zur Bekämpfung des Klimawandels, die zugleich gesundheitliche Vorteile bringen, zum Beispiel ein „grüneres Verkehrssystem“ und „eine „Abkehr von der Kohle“. Im Rahmen eines solch kurzen Beitrags sind diese u.E. ausreichend ausgeführt.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
Der Artikel beschäftigt sich mit einem globalen Problem, das aber regional sehr unterschiedliche Auswirkungen hat. Auf diese regionalen Differenzierungen geht der Beitrag kaum ein. Als ein Beispiel wird die Stromversorgung der Krankenstationen im südlichen Afrika genannt, auch den Stromverbrauch in den Krankenhäusern der EU spricht der Beitrag an. Ansonsten aber werden pauschal Wirkungen des Klimawandels aufgezählt, die für manche Regionen zutreffen, für andere aber nicht. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
Der Beitrag nennt Auswirkungen des Klimawandels (Allergien, Seuchen, Armut, Hunger usw.), ohne zu erklären, in welchem Ausmaß und in welchem Zeitraum diese Folgen eintreten werden. Als Beispiel wird berichtet, dass ab 2030 ohne Abkehr von der Kohle 250.000 zusätzliche Tote zu erwarten seien. Diese Zahl bleibt unverständlich: Wären das 250.000 zusätzliche Todesfälle weltweit? In welchem Zeitraum – pro Jahr? Woher stammt diese Zahl?
Wenn von der größten Chance für die Gesundheitsversorgung im 21. Jahrhundert gesprochen wird, müsste man erfahren, bis wann bestimmte Veränderungen umgesetzt werden müssen, um die genannten Effekte zu erzielen. Im Bericht wird eine Bestandserhebung alle zwei Jahre gefordert, auch diese Information fehlt im Beitrag.
10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Die Frage der Bekämpfung des Klimawandels wird massiv von politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekten bestimmt. Solche Faktoren spricht der Artikel nicht an, z.B.: Was würden die geforderten Maßnahmen kosten? Auch wenn dies in einem solchen Artikel gewiss nicht umfassend dargestellt werden kann, wären doch exemplarischen Angaben wichtig gewesen. Im Lancet-Bericht ist von großen Kosteneinsparungen die Rede („These strategies will also reduce pressures on national health budgets, delivering potentially large cost savings, and enable investments in stronger, more resilient health systems.“) Wenn die Chancen so groß sind, warum werden sie dann nicht ergriffen? Zumindest kurz hätte dieser Punkt unserer Meinung nach angesprochen werden müssen.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
Der Beitrag greift tagesaktuell einen hochrangig publizierten Expertenbericht zum Thema Klimawandel und Gesundheit auf. Zudem ist dies ein dauerhaft relevantes Thema.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
Der Text ist routiniert geschrieben und verständlich. Etwas unglücklich angefügt ist allerdings der letzte Absatz, der Zusammenhang mit den zuvor ausgeführten Problemen bleibt vage.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.