Der Artikel auf einer Lokalseite des Bonner General-Anzeigers berichtet über die Arbeit der Aids-Hilfe vor Ort. Es werden zu viele verschiedene Themen angesprochen, sodass die Informationen zum HIV-Selbsttest, der im Titel herausgestellt wird, fast immer zu knapp ausfallen, um LeserInnen ausreichend zu informieren.
Zusammenfassung
Der Bonner General-Anzeiger berichtet im Juli 2017 über die Aids-Hilfe-Rhein-Sieg, die über ihre Arbeit aufklärt und einen HIV-Schnelltest für zu Hause vorstellt. Der Nutzen und die Aussagekraft des Tests werden nicht hinreichend erklärt, ebenso wenig wie die Risiken und Nebenwirkungen. Wie gut die Aussagen zum Test durch Studien belegt sind, erfahren LeserInnen auch nicht. Es gibt insgesamt Einschätzungen von drei MitarbeiterInnen der Aids-Hilfe, Quellen darüber hinaus gibt es nicht. Auf den zu erwartenden Kostenrahmen geht der Text gar nicht ein. Eine HIV-Erkrankung wird nicht übertrieben dargestellt. Der Text ist zwar leicht lesbar, spricht aber zu viele verschiedene Themen an, wodurch die Informationen zum im Titel angesprochenen Heimtest viel zu kurz und teilweise verwirrend ausfallen. Auch fehlt die wichtige Einordnung, für wen der Test eigentlich geeignet ist.
Medizin-ExpertIn
Der Artikel bietet kaum hilfreiche Informationen zum Test, es fehlen wesentliche Informationen. … Mehr
StudentInnen-Teams
Der Text gibt manche Informationen zum Test, die aber in der Regel sehr knapp ausfallen. … Mehr
Medizinjournalistische Kriterien
1. Die AUSSAGEKRAFT/der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.
Obwohl die Überschrift des Artikels suggeriert, dass der neue „HIV-Schnelltest für zu Hause“ das Thema ist, widmet der Autor diesem nur wenige Zeilen, die zudem wenig erhellend sind. Der wichtigste Nutzen des Tests wird gar nicht erwähnt: Wenn eine Infektion frühzeitig erkannt wird, kann der Betroffene auch frühzeitig behandelt werden und hat eine annähernd gleiche Lebenserwartung wie ein nicht-Betroffener. Zudem können Sexualpartner geschützt werden.
Wie hoch die Aussagekraft des Tests ist, wir nur angedeutet, wenn es heißt: dass es „zwölf sogenannte reaktive HIV-Schnelltestergebnisse gegeben“ habe und dass von diesen zwölf nach Analyse durch einen Arzt „auch tatsächlich elf der Tests positiv, nur einer (…) ‚falsch positiv‘“ war. Dies reicht bei weitem nicht aus, um die Aussagekraft des Tests zu erläutern. Hier wären insgesamt ausführlichere und besser verständliche Informationen nötig gewesen (siehe auch Kriterium Darstellung).
2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.
Es gibt zwar den kurzen Hinweis, dass der Test auch ein „falsch positives“ Ergebnisse produzieren kann. Was das aber genau bedeutet, bleibt leider offen, insbesondere wird nicht erklärt, welche gravierenden Folgen „falsch-positive“ und „falsch-negative“ Testergebnisse (die gar nicht angesprochen werden) gerade in einem solchen Setting ohne persönliche Beratung haben können. Bei einem falsch-negativen Ergebnis könnten sich Betroffene zu Unrecht in Sicherheit wähnen und aufhören, Safer Sex zu praktizieren. Dass es zu technischen Problemen und damit falschen Ergebnissen kommen kann, wird an einer Stelle angedeutet, wenn die Sorge berichtet wird, dass Betroffene zu Hause möglicherweise keine ausreichende Menge Blut gewinnen, weil sie aufgeregt sind. Ob es ansonsten direkte Risiken und Nebenwirkungen durch die Blutabnahme geben kann, wird nicht angesprochen. Die psychologische Belastung eines positiven Testergebnisses mit einem Heimtest wird nicht hinreichend angesprochen. Informationen zur Neuheit und zu Alternativen des Tests fallen knapp aus, dass er (zum Zeitpunkt des Artikels im Juli 2017) noch nicht zugelassen ist und damit auch nicht verfügbar, wird deutlich.
3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN) wird richtig eingeordnet.
Die Leser erfahren, dass bisher zwölf Schnelltests in einer HIV-Schwerpunkt-Praxis analysiert worden seien. Elf der Tests seien positiv, einer „falsch-positiv“ gewesen. Das ist eine Zufallsbeobachtung aus der Praxis. Die Leser erfahren nicht, welche Studien die Wirksamkeit des Tests belegen. Sie erfahren auch nicht, ob das Ziel des Selbsttests, mehr möglicherweise infizierte Personen zum Testen zu bewegen, erreicht wird. Dazu liegt etwa eine Studie aus Australien aus dem Mai 2017 vor.
4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.
Es handelt sich um einen Bericht von einer Vortragsveranstaltung bzw. einer Pressekonferenz, deutlich wird dies nicht. Neben dem Leiter der Beratungsstelle, Martin Dohmstreich, werden die zwei Frauen zitiert, die die Testberatungen durchführen, die im Test indes nur mit kurzen Aussagen zu Wort kommen.
Darüber hinaus werden leider keine externen Quellen oder Experten zitiert (etwa des RKI oder der BzgA). Interessenkonflikte sind nicht erkennbar. Alles in allem werten wir daher nur „knapp erfüllt“.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.
Eine Pressemitteilung haben wir dazu nicht gefunden.
6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz wirklich ist.
Es wird klar, dass es sich bei dem Schnelltest für zu Hause um ein neues Angebot handelt: „Dohmstreich stellte zudem auch einen neuen Schnelltest für zu Hause vor, der indes noch nicht offiziell zugelassen ist.“ Wir werten nur „knapp erfüllt“, weil keinerlei Angaben dazu gemacht werden, ob es sich dabei um ein grundsätzlich neues Testverfahren handelt, oder ob lediglich der Rahmen neu ist, in dem der Test durchgeführt wird: zu Hause statt in der Beratungsstelle oder beim Arzt.
7. Es werden ALTERNATIVE Tests vorgestellt.
Es wird der nicht näher beschriebene Schnelltest in der Beratungsstelle der Aids-Hilfe angesprochen. Zumindest implizit wird auch klar, dass derartige Testungen auch bei Ärzten möglich sind. Damit ist das Kriterium formal – wenn auch nur sehr knapp – erfüllt. Ob es weitere Tests für zu Hause gibt, bleibt offen.
8. Es wird klar, ob oder wann ein Test VERFÜGBAR ist.
Es wird klar gesagt, dass der neue HIV-Schnelltest für zu Hause zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht zugelassen und folglich auch noch nicht erhältlich war. Zudem gibt es die Einschätzung, dass der Test im laufenden Jahr zugelassen werden soll.
9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.
Die Kosten für den Test werden nicht thematisiert. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wie viel der Test konkret kosten soll oder in welchem Rahmen dies zu erwarten wäre.
10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).
Die Folgen der HIV-Infektion werden nicht übertrieben dargestellt, weil sie überhaupt nicht thematisiert werden, offenbar, weil angenommen wird, die Krankheit, ihre Folgen und die Verbreitung seien bekannt. Hier hätten wir uns zumindest einige Basisinformationen gewünscht, gerade weil die Erkrankung inzwischen wesentlich besser behandelbar ist als noch vor vielen Jahren. Deshalb werten wir „knapp erfüllt“.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.
Es handelt sich um einen aktuellen Bericht einer Lokalseite zu einem gesundheitlich und regional relevanten Thema.
2. Die journalistische Umsetzung des Themas ist gelungen? (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Dem Autor gelingt es nicht die unterschiedlichen Themen, die er in seinem Artikel anreißt, sauber zu trennen. Es wird weder klar, was es mit den zwei unterschiedlichen Tests (Schnelltest/Heimtest) auf sich hat, noch was die Aids-Hilfe oder behandelnde Ärzte für Betroffene und vermeintlich Betroffene tatsächlich leisten. Formulierungen wie „Statistisch gesehen hat es bei den Schnelltests in der Troisdorfer Gesundheitsagentur zwölf sogenannte reaktive HIV-Schnelltestergebnisse gegeben. (..)“ wirken unpassend. Man kann auch nicht voraussetzen, dass jeder Leser weiß, was „falsch-positiv“ heißt oder was „reaktive HIV-Schnelltests“ sind. Auch dass der Test für zu Hause im Titel angekündigt wird, die Informationen dazu indes spärlich ausfallen, ist für Leser unbefriedigend. Auch wenn es sich um einen Bericht einer Veranstaltung handelt, wäre es wichtig, Kerninformationen zum angekündigten Thema an seine LeserInnen zu vermitteln, auch wenn dies möglicherweise bedeutet, weitere Quellen miteinzubeziehen.
Von Grund auf problematisch ist die Ausrichtung des Textes: Er bietet keine Orientierung dabei, für wen sich dieser Test eignen könnte. Dabei ist er wegen der Gefahr von falsch-positiven Befunden nur bei Risikogruppen sinnvoll. Nur 2700 Heterosexuelle Menschen in Deutschland leben geschätzt unerkannt mit einer HIV-Infektion, würden die alle getestet, käme man auf 100.000 falsch Positive (Quelle: GPSP). Dies ist eine zwingende Einordnung, weil der Text ansonsten zu vollkommen falschen Schlüssen führt.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt?
Faktenfehler haben wir keine gefunden.
Medizinjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt
Weil vier medizinjournalistische Kriterien nur knapp erfüllt wurden, werten wir um einen Stern ab.
Zusammenfassung