Eine Autorin des BILD-Gesundheitsmagazins „Besser Leben“ berichtet in einer Art „Erlebnisbericht“ über ihre Erfahrungen mit den Vorsorgeuntersuchungen währende der Schwangerschaft. Der Artikel macht die möglichen Sorgen in dieser Zeit nachvollziehbar, aber der Text kann auch viele werdende Eltern unnötig verunsichern, trotz einiger hilfreicher Informationen.
Zusammenfassung
Eine Journalistin beschreibt für das Magazin „Besser Leben“ der BILD-Zeitung, wie sie in der Zeit der Schwangerschaft verschiedene Pränatalverfahren durchgeführt hat, und was sie dabei erlebt und gefühlt hat. Die Aussagekraft der angesprochenen Tests/Verfahren (insbesondere des nicht invasiven Praenatests) werden nicht ausreichend dargestellt, das Thema Risiken und Nebenwirkungen gerade noch hinreichend. Wie gut Aussagen zur Vorhersagekraft durch Studien belegt sind, erfahren LeserInnen nicht. Experten werden im Beitrag zwar nicht direkt zitiert, standen aber laut Informationen im Text zumindest beratend zur Seite. Es werden verschiedene Tests und Verfahren vorgestellt und auch verglichen. Es wird deutlich, dass keines der Verfahren völlig neu ist und dass sie generell verfügbar sind. Angaben zu den Kosten gibt es nur zum Praenatest, nicht aber zu den anderen Verfahren. Die eindringliche Darstellung des Erlebten der Journalistin ist spannend und nachvollziehbar zu lesen, kann aber auch dazu führen, dass das Risiko für eine Chromosomenstörung übertrieben hoch wahrgenommen wird – trotz der sachlich gehaltenen Informationen in den begleitenden Infoboxen.
Medizin-ExpertIn
Der Artikel bietet für einige Aspekte hinreichende Informationen, kann durch die Darstellung aber auch Angst bei Betroffenen auslösen. … Mehr
StudentInnen-Teams
Der Artikel im Stil eines Erlebnisberichts bietet einige hilfreichen Informationen, zeigt aber einige Schwächen im Detail. … Mehr
Medizinjournalistische Kriterien
1. Die Aussagekraft/der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.
Der Test beschreibt zwar kurz mehrere Untersuchungen, die in Anspruch genommen wurden („Tripple Test“ „Feinultraschall“, „Blutuntersuchung“) und auch solche, über die die Autorin und ihr Partner lediglich nachgedacht haben („Fruchtwasseruntersuchung“), aber eine verständliche Erklärung, welche Aussagekraft diese Untersuchungen haben, gelingt weder im Reportage artigen Artikel, noch im zusätzlichen Infokasten.
Hinsichtlich der Aussagekraft gibt es im Infokasten beispielsweise lediglich die Auskunft, das Ersttrimester-Screening habe nur eine „eingeschränkte Aussagekraft bezüglich der Trisomien (unter 90 Prozent)“, was weitergeführt wird mit der Information „Die invasiven Methoden haben eine hohe Aussagekraft (über 99 Prozent)“. Um welche Werte es sich dabei handelt – Sensitivität, Spezifität oder positiver bzw. negativer prädiktiver Wert bleibt völlig offen.
2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.
Thema des Artikels ist eigentlich ein falsch-positives Ergebnis: das fehlende Nasenbein deutet auf eine Störung hin, die sich später aber nicht bestätigt. Lesern wird somit möglicherweise vermittelt, dass Ergebnisse auch falsch sein können. Indes hätten wir es besser gefunden, die Problematik falsch-positiver, aber auch falsch-negativer Ergebnisse noch einmal expliziter zu erklären. Die pauschale Aussage, dass Ergebnisse einer Schwangeren keine Sicherheit geben können, ist zwar wichtig, aber nicht ausreichend.
Vor allem der Kasten geht dann aber an verschiedenen Stellen auf Risiken und Nebenwirkungen ein. So heißt es etwa, es gebe: „invasive Methoden, bei denen mittels einer Punktion über die Bauchdecke Fruchtwasser (Amniozentese) oder Gewebe des Mutterkuchens (Chorionzottenbiopsie) entnommen wird. Die invasiven Methoden (…) bergen jedoch das Risiko einer durch den Eingriff ausgelösten Fehlgeburt (unter ein Prozent)“.
Für den relativ neuen Bluttest wird klar, dass er für das ungeborene Kind keine Risiken bietet (abgesehen davon, abgetrieben zu werden). Und auch die Sorge von Kritikern, dass Frauen sich mit dem Test womöglich noch häufiger gegen ein potentiell krankes Kind entscheiden, wird aufgegriffen. Wichtig ist der Hinweis, dass nur eine kleine Bandbreite von Störungen beurteilt wird.
Wir werten alles in allem nur „knapp erfüllt“.
3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN) wird richtig eingeordnet.
Auf die Studienlage zur Pränataldiagnostik und zu den unterschiedlichen Verfahren, die konkret angesprochen werden, wird im Artikel gar nicht eingegangen, beziehungsweise nur nebenbei, beispielsweise zum verkürzten Nasenbein, zu dem es heißt „Die Aussagekraft ist (…) unter Wissenschaftlern umstritten“. Es bleibt aber ansonsten offen, wie gut die Aussagen zu den Verfahren, insbesondere dem Praenatest belegt sind.
4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.
Es kommen in dem Artikel keine Experten im eigentlichen Sinne zu Wort. Es werden lediglich namenlose Ärzte zitiert, um deren Vorgehen zu demonstrieren. Für den Infokasten wurden indes zwei Experten zu Rate gezogen, auch wenn nicht ersichtlich ist, welche Information tatsächlich von diesen Experten stammt. Wir werten nur knapp „erfüllt“.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.
Eine Pressemitteilung spielte bei diesem Artikel erkennbar keine Rolle, daher wenden wir das Kriterium nicht an.
6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz wirklich ist.
Beim „Bluttest“ wird explizit gesagt, dass dieser seit 2012 zugelassen ist. Auch bei der Suche nach „Markern“ wie „Nackenfalte“ und „Nasenbein“ wird klar, dass nach diesen schon einige Jahre geschaut wird. Es wird somit hinreichend klar, dass es nicht um irgendwelche ganz neuen Tests geht, sondern solche, die schon seit Jahren üblicherweise werdenden Eltern angeboten werden.
7. Es werden ALTERNATIVE Tests vorgestellt.
Es werden gleich eine ganze Reihe unterschiedlicher alternativer und auch zum Teil sich ergänzender Tests erwähnt. Ebenso wird auf die Möglichkeit explizit hingewiesen, diese Tests nicht wahrzunehmen. Es wird nicht ganz klar, wofür der NIPT-Bluttest eine Alternative ist. Soll er die Nackenfalten-Untersuchung, die Fruchtwasseruntersuchung und Chorionzottenbiopsie komplett oder nur in Teilen ersetzen?
8. Es wird klar, ob oder wann ein Test VERFÜGBAR ist.
Es wird deutlich, dass sämtliche Verfahren verfügbar sind. Es wird klar, dass die Tests von Frauenärzten und Pränataldiagnostikern angeboten werden. Der Text hätte besser erklären können, ob das die übliche Vorgehensweise ist und ob wirklich jeder Frauenarzt den Test in Zusammenarbeit mit einem Labor anbietet. Dass manche Verfahren bei Mehrlingsgeburten nicht anwendbar sind, wäre ein durchaus wichtig Information. Wir werten nur „knapp erfüllt“.
9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.
Angaben zu den Kosten für den Praenatest werden zwar genannt mit zwischen 300 und 1000 Euro. Ebenso wird klar, dass der Test nur in Sonderfällen von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden. Zu den anderen Tests gibt es keinerlei Angaben zu den Kosten, manche werden übernommen, sobald die Einstufung einer Risikoschwangerschaft (ab 35 Jahren) erfolgt. Dies wären wichtige Informationen gewesen. Deshalb werten wir knapp „nicht erfüllt“.
10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).
Das Risiko als sogenannte Risikoschwangere, das heißt ab einem Alter von 35 Jahren, ein Kind mit einer Chromosomenstörung zu bekommen, wird sehr undifferenziert und übertrieben dargestellt: „Wenn man sich die Wahrscheinlichkeiten ansieht (…) wird einem Angst und Bange.“ Das wäre eigentlich hinnehmbar, weil es lediglich das Gefühl der Protagonistin/Autorin wiedergibt. Da diese Einordnung aber nirgends im Artikel wieder eingefangen wird, findet eine deutliche Krankheitsübertreibung statt. Auch der Hinweis, dass viele Erkrankungen sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können, manchen Kindern ihre Behinderung kaum anmerkt, andere ihr Leben lang pflegebedürftig sein können, wäre für eine differenzierte Betrachtung wichtig gewesen.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.
Laut Statistischem Bundesamt gibt es jährlich etwa 100.000 Abtreibungen. Das Thema betrifft damit fast alle Frauen und viele Familien zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben in irgendeiner Weise. Zudem beriet der Gemeinsame Bundesauschuss, das oberste Gremium im Gesundheitswesen, Anfang 2017 als der Artikel erschien, ob der neue NIPT-Bluttest von den Krankenkassen bezahlt werden soll.
2. Die journalistische Umsetzung des Themas ist gelungen? (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Die Form des Artikels ist gut gelungen. Die persönlichen Erfahrungen der Autorin machen die Ängste und Unsicherheiten von Müttern in dieser Situation auch für andere Leser spürbar. Risiken und deren Wahrnehmung sind das zentrale Thema des Artikels. Dabei vermittelt der Artikel gut, wie hilflos Betroffene sich angesichts des Zahlengewitters fühlen, das Ärzte und Labore den werdenden Müttern zumuten, oftmals ohne es ihnen ausreichend zu erklären. Zugleich schafft es der Text dann aber selbst nur in geringem Maße Klarheit beim Thema „Wahrscheinlichkeiten und Risiken“ zu vermitteln. Es werden zahlreiche Wahrscheinlichkeitswerte und Risikozahlen genannt („1:900“, „1:60“, „1:4420“, „1:150“, „1:80“, „98-prozentig“, „unter ein Prozent“, „150-mal höheres Risiko“). Diese hätten aber auf jeden Fall besser erklärt werden müssen. Was bedeutet ein Risiko von 1: 4420? Worauf beziehen sich die Werte?
Positiv ist, dass grundsätzlich versucht wird, die fehlende Objektivität des „Erlebnisberichts“ durch die Info-Kästen auszugleichen, in denen verschiedene Verfahren erläutert werden. Alles in allem werten wir „knapp erfüllt“.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt?
Faktenfehler haben wir keine gefunden.
Medizinjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt
Zusammenfassung