Bewertet am 29. Juli 2019
Veröffentlicht von: Wiesbadener Tagblatt

Der Beitrag zum Welt-Aids-Tag 2017 berichtet wesentliche Aspekte zum HIV-Selbsttest leider nicht und gibt eine Falschinformation an die LeseInnen weiter, sodass der Artikel sowohl bei den Medien-Doktor Gutachtern wie auch bei der Medizin-Expertin nicht gut wegkommt. Die StudentInnen-Teams haben den Text etwas besser gesehen. Der Artikel versäumt es, klar zu machen, dass der Test vor allem für bestimmte Risikogruppen geeignet ist.

Zusammenfassung

Das Wiesbadener Tagblatt berichtete am Welt-Aids-Tag 2017 (am 1. Dezember) über HIV-Heimtests. Zur Aussagekraft der Tests gibt es keine konkreten Angaben, auf Risiken und Nebenwirkungen wird ausführlicher eingegangen, wenn auch mit einer fehlerhaften Aussage. Wie gut die Tests in klinischen Studien untersucht sind, erfahren LeserInnen nicht. Es kommt lediglich ein Sexualtherapeut der Aidshilfe zu Wort, weitere Experten oder Quellen gibt es nicht. Wie alt oder neu der Heimtest in Deutschland ist, wird nicht hinreichend erläutert, auf Alternativen wird zu wenig eingegangen. Auch wird die Verfügbarkeit von Heimtests nicht richtig erklärt. Die Kosten vorhandener Tests im Internet werden an einem Beispiel erläutert. HIV wird nicht übertrieben dargestellt. Der Welt-Aids-Tag ist international anerkannt und für einen aktuellen Anlass noch ausreichend, stützt sich jedoch zu sehr nur auf Aussagen des Experten, stellt einen Sachverhalt zu falsch-negativen Ergebnissen falsch dar und macht nicht deutlich, für wen der Test tatsächlich am besten geeignet ist.

Medizin-ExpertIn

Der Artikel bietet viel zu wenige der wichtigen Informationen zum HIV-Selbsttest. … Mehr

StudentInnen-Teams

Der Artikel bietet meist nur knappe aber zumindest zu einigen Aspekten noch hinreichende Informationen. … Mehr

Title

Medizinjournalistische Kriterien

1. Die Aussagekraft/der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Der Artikel macht keine konkreten Angaben zu Sensitivität und Spezifität bzw. prädiktiven Werten des Tests. Zudem fehlt der wichtige Hinweis, dass das Ergebnis erst zwölf Wochen nach dem möglichem Infektionszeitpunkt zuverlässig ist. Auch ein Hinweis, dass der Test vor allem für Menschen aus Gruppen mit erhöhtem Risiko wichtig ist, weil in diesen Gruppen die falsch-positive Rate nicht so hoch ausfällt, wäre sehr wichtig gewesen (siehe Kriterium Themendarstellung).

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Es wird – auch schon in der Überschrift ­– davor gewarnt, den Test ganz alleine zu machen. Die damit verbundenen Risiken werden dann aber nur ganz kurz benannt: Wer dies tue, könne nach dem Ergebnis „tief verzweifelt sein und geschockt“ sein.

Dafür wird erläutert, dass es zu falschen Ergebnissen kommen könne („(…) denn es gibt – zwar selten, aber es kommt vor – falsch-positive Testergebnisse. Falsch-negative Ergebnisse gibt es nicht.“ Die Aussage zu falsch-negativen Ergebnissen stimmt so nicht. Da wir dies indes beim Kriterium Faktentreue in der Bewertung berücksichtigen werten wir – wenn auch knapp – „erfüllt“.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN) wird richtig eingeordnet.

Studien oder andere Quellen – außer dem ausführlich zitierten Experten Peter Hofacker – werden nicht herangezogen. Damit bleibt völlig offen, wie gut die Angaben zum Test in Studien untersucht ist, wie sicher also das Wissen über den Test ist.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Als einziger Experte kommt der Sexualtherapeut Peter Hofacker zu Wort. Dass er bei der Aidshilfe Wiesbaden arbeitet, ist für LeserInnen nur schwer erkennbar, weil es nicht ausdrücklich erklärt wird. Seine Ausführungen werden nicht hinterfragt oder durch andere Quellen oder Experten gestützt. Auch erfährt man über den Experten, dessen Zitate einen Großteil des Beitrags ausmachen, nichts Näheres – etwa, welche Qualifikation er hat, wo er beschäftigt ist, oder ob er zum Thema eigene Forschungsarbeiten unternommen hat usw. Das halten wir in diesem Fall für nicht ausreichend, um Informationen zum Test zu vermitteln.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beitrag eine Pressemitteilung zugrunde liegt.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz wirklich ist.

Leser erfahren zwar, dass HIV-Selbsttests nicht neu seien – es gebe sie „längst“, heißt es im Beitrag. Das ist indes eine sehr vage Aussage, hier hätten wir genauere Angaben erwartet. Auch durften HIV-Schnelltests zur Eigenanwendung zum Zeitpunkt, als der Artikel erschien, noch gar nicht legal in Deutschland vertrieben werden (erst seit dem 29.9.2018; Quelle: RKI).

7. Es werden ALTERNATIVE Tests vorgestellt.

Es wird nur klar, dass man sich bei der Aidshilfe testen lassen kann. Der Beitrag erläutert indes nicht, dass es mehrere Selbsttests auf dem Markt gibt. Er informiert auch nicht darüber, dass Labortests, die nicht als Selbsttests angeboten werden, schon deutlich früher – bereits sechs Wochen nach einer Infektion – zuverlässige Ergebnisse liefern. (Quelle: PEI).

8. Es wird klar, ob oder wann ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Text macht zwar klar, dass ein Test verfügbar ist (Amazon), indes macht er keine Angaben dazu, ob er in Deutschland legal verfügbar ist, da HIV-Schnelltests zur Eigenanwendung zum Zeitpunkt, als der Artikel erschien, noch gar nicht in Deutschland vertrieben werden durften, außer einem französischen Test, der eine europäische Zulassung besitzt. (siehe auch hier und hier)

Auch die Frage, ob der Test in Apotheken verfügbar wäre, bleibt völlig offen.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Der Beitrag nennt die Kosten für den – nicht genauer bezeichneten – HIV-Test, auf den er Bezug nimmt (44,38 Euro). Besser hätten wir eine Angabe der Preisspanne verfügbarer Selbsttests gefunden. Ob der bei einem positiven Test angeratene Bestätigungstest beim Arzt oder Gesundheitsamt von der Krankenkasse gezahlt wird oder selbst zu tragen ist, erläutert der Beitrag nicht. Daher nur knapp erfüllt.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Eine HIV-Infektion wird nicht übertrieben dargestellt „Längst können dank sehr guter Medikamente, die nur noch wenige Nebenwirkungen haben, HIV-Infizierte ein ganz normales Leben führen.“

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Das Thema ist dauerhaft relevant, der Welt-Aids-Tag liefert eine gewisse Aktualität, hinzu kommt in dieser Region die Ankündigung einer Veranstaltung (Ballnacht) anlässlich des Welt-Aidstages, auf die in einem separaten Kasten hingewiesen wird.

2. Die journalistische Umsetzung des Themas ist gelungen? (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag besteht zu großen Teilen aus einer Aneinanderreihung von Zitaten des Experten. Diese folgen nicht immer einer nachvollziehbaren Dramaturgie. Was etwa soll die Bemerkung, dass der Experte „regelmäßig mit wildfremden Menschen über ’sehr intime Details ihres Sexuallebens‘ spricht“? Das tun Sexualtherapeuten gemeinhin, und es hat mit den Selbsttests nichts weiter zu tun. Auch die Passage zu den Besuchen des Experten in Schulen kommt ohne näheren Zusammenhang mit dem Test-Thema daher. Einzelne Formulierungen im Beitrag sind misslungen, etwa wenn es heißt: „Längst hat die Krankheit in unseren Breitengraden ihren Schrecken verloren.“ Große Teile Russlands, wo es ein massives HIV-Problem gibt, liegen auf der geografischen Breite Deutschlands. Gemeint ist wohl „in westlichen Industrieländern“.

Von Grund auf problematisch ist die Ausrichtung des Textes: Er bietet keine Orientierung dabei, für wen sich dieser Test eignen könnte. Dabei ist er wegen der Gefahr von falsch-positiven Befunden nur bei Risikogruppen sinnvoll. Nur 2700 Heterosexuelle Menschen in Deutschland leben geschätzt unerkannt mit einer HIV-Infektion, würden die alle getestet, käme man auf 100.000 falsch Positive (Quelle: GPSP). Dies ist eine zwingende Einordnung, weil der Text ansonsten zu vollkommen falschen Schlüssen führt.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt?

Dass es bei HIV-Selbsttests niemals falsch-negative Ergebnisse gibt, wie es im Beitrag kategorisch heißt, trifft so allgemein nicht zu. So kann der Text falsch-negativ ausfallen bei Menschen, die eine Präexpositionsprophylaxe (PREP) und Postexpositionsprophylaxe (PEP) anwenden (siehe hier und hier).  Auch wenn der Test zu früh durchgeführt wird, kann er falsch-negativ ausfallen (Quelle siehe Kriterium 1). Bei der Deutschen Aidshilfe heißt es vorsichtiger, ein guter HIV-Heimtest solle „annähernd 100% sensitiv sein“. In Gebrauchsanweisungen für HIV-Selbsttests wird ausdrücklich auf die Möglichkeit falsch-negativer Ergebnisse hingewiesen, z.B. hier.

Medizinjournalistische Kriterien: 4 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt

Wegen der Mängel in den allgemeinjournalistischen Kriterien werten wir um einen Stern ab.

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Zusammenfassung

Dem Artikel fehlen zahlreiche wichtige Informationen, damit LeserInnen ausreichend über den Test informiert sind: Konkrete Angaben zur Aussagekraft des Tests fehlen völlig, Informationen zu Risiken und Nebenwirkungen sind unzureichend. Belege werden keine angesprochen. Die Hinweise zur Verfügbarkeit erscheinen gerade noch hinreichend, zu den anderen Kriterien sind die Angaben indes nicht ausreichend. HIV/Aids wird nicht übertrieben dargestellt. Der Welt-Aids-Tag ist ein aktueller Anlass für eine Berichterstattung. Es fehlen Hinweis zu den Risikogruppen. Die Aussage, dass der Test keine falsch-negativen Testergebnisse produziere, ist ein klarer Faktenfehler. Es werden einige allgemeine ethisch-moralische Aspekte (u.a. Umgang mit Aids, Homosexualität, Sexualität) thematisiert, jedoch nur mit teilweisem Bezug konkret auf den Selbsttest für zuhause. (Bewertung: 1 Stern)

Der Artikel bietet meist nur knappe, aber hinreichende Informationen zumindest zu Aspekten wie Alternativen, Kosten oder Verfügbarkeit. HIV wird nicht übertrieben dargestellt. Die Beschränkung bei Risiken und Nebenwirkungen auf die psychologische Belastung erscheint angemessen. Die Aussagekraft und die Belege zum Test sind nicht ausreichend beschrieben, auch hätte es neben dem Sexualtherapeuten weiterer Experten für eine Einordnung gebraucht. Dass es keine falsch-negativen Ergebnisse gebe, ist falsch. Der Artikel ist leicht verständlich geschrieben, erklärt indes Begriffe wie falsch-positiv und -negativ nicht. Thematisch verwirrt er zeitweise mit Aspekten, die nicht zum Thema gehören, sodass es am Ende nur knapp zu drei Sternen reicht. Ethische Aspekte werden im Text nicht erörtert, psychosoziale Konsequenzen als Folge der Testsituation alleine zu Hasue werden kurz angesprochen. (Einzelwertungen der Teams: 2 Sterne, 3 Sterne, 3 Sterne)

 

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar