Bewertet am 20. Mai 2019
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

Chlorparaffine sind die häufigsten persistenten organischen Schadstoffe in der Muttermilch, zeigen Untersuchungen im Auftrag der WHO. Der Deutschlandfunk berichtet, was  über die umstrittenen Substanzen bekannt ist, und auch, wo es noch Informationslücken gibt.

Zusammenfassung

Ein Radiobeitrag im Deutschlandfunk widmet sich den Chlorparaffinen – problematischen Chemikalien, die in sehr vielen Produkten enthalten sind. Anlass des Berichts sind Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Muttermilch-Proben aus mehr als 20 Ländern regelmäßig auf persistente organische Schadstoffe – POPs – untersuchen lässt. Die jüngsten Ergebnisse wurden auf einer Fachtagung präsentiert. Demnach sind Chlorparaffine die weitaus häufigsten dieser langlebigen Umweltgifte in der Muttermilch.

Der Beitrag ist sachlich und gut verständlich, die wesentlichen Quellen werden genannt und es kommen zwei Wissenschaftler aus verschiedenen Forschungseinrichtungen zu Wort. Der Beitrag weist auch auf Grenzen hin, etwa darauf, dass noch nicht genug Daten zur Giftigkeit der Chlorparaffine vorliegen. An Beispielen wird deutlich, auf welchen Wegen sich Chlorparaffine global verbreiten – etwa mit Elektroschrott, der aus Europa nach Afrika exportiert wird, wo die Belastung der Muttermilch besonders hoch ist. Wir hätten uns noch eine genauere Erklärung gewünscht, warum diese gesundheitsschädlichen Substanzen in so großen Mengen verwendet werden. Es ist von einer Überproduktion die Rede, aber deren Ursachen werden nicht hinterfragt.

Der gleiche Beitrag wurde auch von journalistischen Gutachterinnen und Gutachtern des Medien-Doktor UMWELT bewertet.

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Allgemeine Anforderungen

1. Im Beitrag werden Fakten korrekt beschrieben und eingeordnet.

Wir haben keine Hinweise auf faktische Fehler gefunden. Die Größenordnung der Angaben zu Chlorparaffinen in der Muttermilch stimmt mit Messwerten einer älteren Greenpeace-Studie überein.

Die Informationen im Beitrag beziehen sich auf Messungen, die auf einer Fachtagung präsentiert wurden und daher für uns nicht überprüfbar sind. Ob diese Ergebnisse bereits in einer Publikation nachzulesen sind, bzw. wann und wo sie veröffentlicht werden, geht aus dem Beitrag nicht hervor. Daher werten wir insgesamt „eher erfüllt“.

2. Es wird sachgerecht berichtet, ohne bestimmte Positionen unangemessen zu bevorzugen.

Es werden zwei Personen aus verschiedenen Forschungseinrichtungen befragt, die beide die kritische Einstellung zu Chlorparaffinen teilen und dies sachlich begründen. Das lässt die Forschungsergebnisse glaubwürdig erscheinen. Es wird auch klar, dass die Untersuchungen für die WHO durchgeführt wurden.

Allerdings erfahren Hörerinnen und Hörer nicht, welche Vorteile die Substanzen möglichweise haben, bzw. warum sie trotz der genannten Risiken so häufig eingesetzt werden.

Die Frage, ob Mütter trotz der Schadstoffe in der Muttermilch stillen sollten, wird kurz angesprochen und bejaht – die Belastung durch das Stillen sei vergleichsweise gering. Eine Aussage, die mit der Bemerkung „Ob das allerdings wirklich eine Beruhigung für Mütter ist, die stillen wollen, sei einmal dahingestellt“ hinterfragt wird, ohne dies weiter auszuführen.

Insgesamt werten wir „eher erfüllt“.

3. Der Beitrag macht deutlich, auf welche Quellen er sich stützt und benennt gegebenenfalls Interessenkonflikte.

Es ist klar, dass die auf der Tagung vorgetragenen Forschungsergebnisse die Hauptquelle sind. Zitierte Personen werden klar zugeordnet – die Lebensmittelchemikerin Kerstin Krätschmer dem Europäischen Referenzlabor (EURL) in Freiburg und der Chemiker Walter Vetter der Universität Hohenheim. Der Beitrag macht deutlich, dass es um eine Untersuchung der WHO geht, für die Proben im EURL analysiert wurden.

Weitere Quellen sind dagegen nicht eindeutig benannt. Für uns nicht nachvollziehbar ist, auf welche Studien genau sich folgende Aussagen beziehen: „Es gab mal eine Studie, die haben es hochgerechnet, vorsichtig. Stand 2012 war die jährliche Produktion 1,1 bis 1,2 Millionen Tonnen, Tendenz steigend.“ und „Die paar Studien, die es gibt, zeigen halt auf jeden Fall Leberveränderungen und einen Hang zum Auslösen von Krebs.“

Daher werten wir nicht voll sondern „eher erfüllt“.

4. Der Beitrag enthält Informationen, die wesentlich über eine Pressemitteilung hinausgehen.

Wir haben keine Pressemitteilung gefunden, auf der der Beitrag basieren könnte. Auch aus den O-Tönen und der Verwendung mehrerer Quellen wird deutlich, dass hier nicht einfach Pressematerial wiedergegeben wird.

Spezielle Anforderungen Umweltjournalismus

5. Der Beitrag nennt Ursachen / Verursacher der dargestellten Umweltprobleme

Der Beitrag zählt auf, woher die Chlorparaffine kommen bzw. in welchen Produkten sind enthalten sind. Als Ursache für die breite Verwendung wird ein Experte mit der Aussagen zitiert: „Das heißt, die werden heute einfach, um das loszukriegen – es gibt eine Überproduktion – überall eingesetzt.“ Damit ist zwar eine Ursache benannt, aber dazu hätten wir uns eine nähere Einordnung gewünscht: Warum gibt es diese Überproduktion? Da es dazu keine Nachfrage / Information gibt, werten wir „eher nicht erfüllt“.

6. Es wird deutlich gemacht, wie gesichert das dargestellte Wissen zu Umweltfragen ist.

Der Beitrag berichtet, welche Untersuchungen den Aussagen zum Vorkommen und zu den Risiken von Chlorparaffinen zugrunde liegen. Zugleich wird im Radiobeitrag mehrmals auf Einschränkungen der Aussagekraft einzelner Informationen hingewiesen, mit Aussagen wie: „Es ist schwer, die Daten zu kommen, denn die Chlorindustrie hält sich da relativ bedeckt.“ „Bei den langkettigen ist die Datenlage noch ziemlich dünn.“ „Auch wenn ihre toxikologische Bewertung noch immer schwierig ist – Vetter plädiert dafür, die Produktion von Chlorparaffinen einzustellen – schon aus Gründen der gesundheitlichen Vorsorge.“

7. Ein Beitrag bezieht nach Möglichkeit Lösungsansätze für Umweltprobleme ein.

Zwar wird im Beitrag gesagt, in fast allen Fällen gebe es unbedenkliche Alternativen zu Chlorparaffinen  – aber nicht, welche das sind. Bei diesem Punkt fehlen uns konkrete Beispiele. Wenigstens für einige der vielen genannten Anwendungen hätten wir uns gewünscht, dass der Beitrag erläutert, wie die Chlorparaffine zu ersetzen wären .

Interessant wären in diesem Punkt auch Hinweise für Verbraucherinnen und Verbraucher gewesen. Können sie durch ihre Kaufentscheidungen Produkte mit Chlorparaffinen vermeiden – etwa indem sie Naturkosmetik kaufen? Oder, wo die Chlorparaffine im Elektroschrott angesprochen werden: Wie lässt sich der „richtig“ entsorgen, um zu vermeiden, dass diese Stoffe in die Umwelt gelangen?

8. Ein Beitrag soll gegebenenfalls Bezüge der dargestellten Umweltproblematik zum Publikum und dessen Lebensumfeld aufzeigen.

Die Aussage, wir seien den Stoffen, die möglichweise Leberveränderungen und Krebs verursachen könnten, praktisch überall ausgesetzt, stellt klar einen Alltagsbezug dar. Es werden auch zahlreiche alltägliche Produkte benannt („vom Plastikteller über irgendwelche Dichtungen, Yogamatten, Gummitierchen…“), in denen diese Stoffe enthalten sind. Besonders (werdende) Mütter dürften sich angesprochen fühlen, wenn es um die Belastung der Muttermilch geht.

9. Es wird deutlich, wie lokale und globale Umweltentwicklungen/ - ereignisse zusammenhängen.

Ein Zusammenhang zwischen der Entsorgung unseres Mülls und den daraus resultierenden Belastungen auf anderen Kontinenten wird deutlich, wenn es heißt „In Afrika haben wir ja generell das Problem, dass da viel von unserem Elektroschrott hingeht. Und da Chlorparaffine auch zum Beispiel in Computern mitverarbeitet sein können, aber auch in Autoreifen enthalten sind, ist da einfach die Belastung durch dieses Verarbeiten von Müll höher.“ Damit wird exemplarisch der Zusammenhang unseres Konsums bzw. Müllexports mit der globalen Verbreitung der Chlorparaffine deutlich gemacht.

10. Ein Beitrag greift aktuelle Umweltthemen auf, oder aber solche, die über lange Zeiträume bedeutsam („latent aktuell“) sind.

Aktueller Anlass für den Bericht sind Ergebnisse einer Untersuchung von Muttermilch, die kürzlich auf einer Tagung vorgestellt wurden. Auch darüber hinaus bleibt dieses Thema solange relevant, wie in der Industrie gesundheitlich bedenkliche Chlorparaffine in großem Umfang verwendet werden.

11. Auswirkungen eines Umweltereignisses /-problems auf die zukünftige Entwicklung werden angesprochen.

Es wird deutlich, dass die Herstellung von Chlorparaffinen weiter steigt, während andere persistente organische Schadstoffe wie das Pestizid Lindan oder PCB-Trafo-Öle mittlerweile aus dem Verkehr gezogen wurden. Zum Anstieg der Produktion von Chlorparaffinen werden auch konkrete Zahlen genannt, mit dem Hinweis, dass genaue Angaben hier kaum zu erhalten sind. Implizit wird klar, dass damit auch die gesundheitlichen Risiken fortbestehen oder gar wachsen.

Es fehlen Informationen dazu, wie eine künftige Regulierung aussehen könnte, und welche Bestrebungen es in dieser Hinsicht gibt. Wie wahrscheinlich ist ein Verbot von Chlorparaffinen, wie es der Experte fordert? Sind Nutzungseinschränkungen geplant? Daher werten wir nicht voll sondern „eher erfüllt“.

Darstellung

12. Ein Beitrag muss für die Zielgruppe verständlich sein.

Der Beitrag ist insgesamt gut verständlich und verzichtet auf unnötiges Fachvokabular. Der Begriff POP wird kurz erklärt: „persistente organische Schadstoffe“ mit der Erläuterung „langlebige Umweltgifte“. Auch gibt es eine kurze Erklärung zu Paraffinen: „Es geht hier um Gemische hunderter verschiedener Kohlenwasserstoffe. Man unterteilt sie in kurz-, mittel- und langkettige.“ Diese Erläuterung finden wir für das Verständnis der folgenden Textpassage ausreichend. Zahlen werden für Laien eingeordnet: „Muttermilch-Proben aus Belgien und den Niederlanden enthielten nur 40 bis 80 Nanogramm Chlorparaffin pro Gramm Fett. Das sei vergleichsweise wenig.“

13. Ein Beitrag soll Umweltthemen interessant und attraktiv aufbereiten.

Der Einleitungssatz in der Anmoderation führt locker auf das Thema hin, indem erklärt wird, POP stehe nicht nur für eine Musikrichtung. Der Sprecher des Beitrags hat eine angenehme Stimme, eine deutliche Aussprache und spricht weder zu schnell noch zu langsam. Auch die Lautstärke der einzelnen Passagen ist relativ gut aufeinander abgestimmt – die O-Töne der Lebensmittelchemikerin könnten noch minimal lauter sein. Der Beitrag ist eher kurz und vermitteln dabei viele Informationen, sodass man ihn gerne bis zum Ende anhört.

11 von 13 anwendbaren Kriterien sind „erfüllt“ oder „eher erfüllt“

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar